FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Kom Gordon

Beggars Group

Kim Gordons erster Solo-Wurf „No Home Record“

Nach vierzig Jahren im Musikbusiness veröffentlicht Multi-Künstlerin Kim Gordon jetzt ihr erstes Solo-Album. „No Home Record“ ist ein Werk übers Sich-Nicht-Zuhause-Fühlen, mit all den darin zugrunde liegenden unheimlich-unheimeligen Facetten.

von Michaela Pichler

Als Sonic-Youth-Legende ist sie in die Musikgeschichtsbücher eingegangen; als „Girl In A Band“ hat sie sich zuletzt selbstironisch in ihrer Autobiografie bezeichnet. Dazwischen wirkte sie noch als Modedesignerin, Schauspielerin und Produzentin über die Grenzen der Popwelt hinaus: Kim Gordon symbolisiert vieles, was wichtig war für alles, was nach Punk gekommen ist.

Nach Jahrzehnten des kollektiven Musikmachens in diversen Bandformationen ist für sie jetzt die Zeit gekommen, sich auch als Solo-Musikerin zu präsentieren. Auf ihrem Alleingängerinnen-Debüt „No Home Record“ singt Kim Gordon ein Lied auf die Heimatlosigkeit. Oder eigentlich sogar ganze neun Lieder. Passend zum Thema hat Gordon ihre Solo-Scheibe an dem Ort ihrer Kindheit aufgenommen – in Los Angeles, das sich nach Jahrzehnten an der Ostküste mittlerweile auch wie ein Nicht-Ort anfühlt. Um dem Konzept treu zu bleiben, ist das Werk gänzlich im Studio und nicht zuhause im Wohnzimmer entstanden - produziert von Justin Raisen, der auch schon gemeinsame Sache mit Charli XCX, Sky Ferreira oder Angel Olsen gemacht hat.

Kom Gordons Soloalbum "No Home Record"

Beggars Group

„No Home Record“ ist am 11. Oktober via Matador Records erschienen.

Musik als Installationskunst

Kim Gordon hat sich immer schon als visuelle Künstlerin verstanden. Das findet sich auch auf „No Home Record“ wieder: Musikalisch setzt Gordon das Gefühl der Heimatlosigkeit aus Versatzstücken collagenhaft um. Dabei arbeitet sie mit Geräusch-Samples, aus denen sie sich ihre Song-Gerüste zusammenschustert. In „Sketch Artist“ - dem Album-Opener - perfektioniert Gordon diese Technik. Deshalb könnte sich „Sketch Artist“ auch gut als Klanginstallation im Contemporary-Museum machen.

Das dazugehörige Musikvideo strotzt nur so vor Referenzen des 21. Jahrhunderts. Kim Gordon nimmt im Video die Rolle einer Taxifahrerin ein, die für das Unternehmen „Unter“ durch die Gegend kurvt. Sie hat dabei die volle Kontrolle, das Lenkrad fest im Griff, und bringt sämtliche Passant*innen, an denen sie vorbei fährt, nur mit ihrem Blick zu Fall. Eine Anspielung auf den Male Gaze? „Sketch Artist“ ist ein Paradebeispiel für den Raum, den Gordon mit ihrem Solo-Werk für Interpretationen eröffnet. Zwischen all den Spekulationen darf man sich auch über einen kleinen Auftritt von Broad-City-Masterbrain Abbi Jacobson freuen, die eine „Unter“-Kundin in Gordons Taxi mimt.

Auch textlich verlässt sich Kim Gordon auf die Collagen-Technik. Die Lyrics erzählen keine Geschichten, sondern bilden als sloganhafte Fragmente jede Menge Projektionsfläche für gesellschaftliche Kapitalismus-Kritik im 21. Jahrhundert. Das passiert zum Beispiel, wenn Gordon über Air BnBs singt, wahllos Inspirational Quotes zitiert und damit den ohnehin schon fragwürdigen Sinn dieser inhaltslosen Marketing-Farce karikiert. Die Anti-Haltung der No-Wave-Bewegung hat Gordon also auch nach vierzig Jahren nicht verloren.

Außerhalb der Komfortzone wird es erst so richtig spannend

Zwischen all der heimatlosen Dystopie findet man aber trotzdem auch ein bisschen „Gordon-Zuhause“ in den Songs – wenn Zuhause auch einfach Musik sein kann. Musik, mit der für Kim Gordon alles begonnen hat. Verzerrte Gitarren und ein treibender Beat untermalen den Titel „Hungry Baby“. Ein Funke Erinnerung an das verschwitzte Musik-New-York in den 1980ern. Soundtechnisch kann Gordon aber auch anders: In „Paprika Pony“ klingt die Drum Machine nach Lo Fi Hip Hop, was auf den zweiten Blick für Gordon gar nicht so weit hergeholt erscheint. Immerhin hat sich ihr Gesang immer schon mehr nach rhythmischem Spoken Word angefühlt als nach Melodie-orientiertem Stimmvolumen.

Die Irritation als musikalischer Kunstgriff ist ständige Begleiterin auf Gordons Solowerk. Egal ob es sich wie Lo-Fi-Trap anhört, Elektro-Avantgarde, ob jemand im Hintergrund aus voller Kehle schreit oder manche Songs dann doch in Post-Punk-Rock-Tage zurückrutschen, in denen Kim Gordon doch für alle sichtbar auf den Bühnen der Welt musikalisch sozialisiert wurde. Das irritierende Moment ist einer der Gründe, warum „No Home Record“ kein „Easy Listening“ für zwischendurch ist. Unheimliches Unbehagen macht sich breit, wenn es rumpelt und kracht, wenn kleine Dystopien gemalt werden. Das entspricht dem Duktus der Multimedia-Künstlerin, die immer schon um die Macht von Musik gewusst hat: im Inneren aufzuwühlen und Gängiges ins Wanken zu bringen; so lange zu kratzen, bis es ganz schön bröckelt.

mehr Musik:

Aktuell: