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Hund mit Jacke

CC0

Was braucht man um glücklich zu sein?

Einige sagen Liebe. Andere meinen, man bräuchte nur billigen Wein.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Jonas gehört zur zweiten Sorte. Geboren wurde er in Schweden, wo genau hat er schon lange vergessen. Seine letzte Adresse war in Manchester, England. Doch diese Adresse gibt es nicht mehr, meint er. Ich frage ihn warum. Er antwortet, dass das Haus zu dieser Adresse abgebrannt sei. Er sagt das mit so einem Lächeln im Gesicht, dass ich mich frage, ob er vielleicht was mit diesem Brand zu tun hatte. Dann fängt er an zu singen: „Manchester, England, England, across the Atlantic Sea!“. Jonas singt die ganze Zeit. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so viel und so falsch singt.

Er kennt sehr viele Lieder und singt sie nie zu Ende. Ich frage ihn, warum er seine Lieder nie zu Ende singt. „Das Leben ist viel zu kurz, um alle Lieder zu Ende zu singen! Ich lebe in der Zeit, die ich gespart habe, weil ich die letzte Strophe nicht singe.“ Seine Stimme ist tief und rau. Eine Mischung aus Tom Waits, Serge Gainsbourg und Wladimir Wyssozki. Er schreit und heult genau wie diese Künstler. In solchen Momenten pulsiert das Blut in seinem Nacken. Er singt aus den Tiefen seiner Seele.

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Mit Akzent: Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Alle Folgen der Kolumne gibt es hier als Podcast.

Für viele ist er nur ein Versager, der vor dem Supermarkt bettelt. Die meisten verabscheuen ihn. Eines Tages sah ich ein Kind, das vor dem Supermarkt auf seine Eltern wartet. Es hielt ein Hündchen, angezogen in einem dicken Pullover, an der Leine. Es war Winter, es war kalt, doch Jonas saß mit offenem Hemd da und sah so aus, als ob er schwitzt. Er unterbrach sein Lied und fragte das Kind: „Geht er mit dir spazieren?“ und zeigte auf den Hund. „Nein. Ich gehe mit ihm spazieren!“, antwortete das Kind. „Bist du sicher, dass es nicht umgekehrt ist?“, fragte Jonas.

Das brachte das Kind zum Schweigen und Jonas zum Strahlen. Kurz danach fing er zu lachen an. Sein Lachen sprang auf das Kind über und es lachte auch. In diesem Moment kam seine Mutter. „Was gibt es da zu lachen?“, fragte sie. Ihr Sohn versuchte, ihr Jonas Witz zu erzählen. Sie schaute ihn mit Abscheu an. „Kinder sollen so erzogen werden, dass sie lieb und verantwortungsvoll gegenüber Tieren sind!“ „Sie haben Recht, gnädige Frau, ich liebe meine Haustiere und bringe sie überall hin mit mir! Es sind um die zwei Hundert!“ „Um die zwei Hundert?“, wunderte sich die Mutter. „Ich habe sie nicht genau gezählt, und sie sind immer in Bewegung!“. „Wie geht denn das?“, fragte das Kind. Jonas kratzte sich am Nacken. „Läuse bleiben ja nie still!“

Die Mutter und das Kind verschwanden in Lichtgeschwindigkeit. Jonas lachte. Er lachte wie ein Baby, von innen strahlend, grundlos zufrieden, dass er noch am Leben ist.

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