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Holly Humberstone

Phoebe Fox

„A little dark-edged Pop“: die britische Newcomerin Holly Humberstone

Holly Humberstone gehört mit ihrer Musik zu den neuesten Pop-Sensationen aus UK. Matty Heally von The 1975 und Glass Animals sind unter den Fans.

Von Lisa Schneider

Wessen erster Festivalbesuch zum legendären britischen Glastonbury führt, und dann nicht nur vor, sondern gleich auf die Bühne, war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Oder hat, zeitgemäß, die richtige Datei an den richtigen Menschen geschickt. Als Holly Humberstone 16 Jahre alt war, hat sie Demos auf die „BBC Music Introducing“-Website hochgeladen, eine Plattform für englische Newcomer*innen, die auf Airplay hoffen, auch, wenn das erstmal „nur“ in regionalen Radiostationen passiert. Das Team hinter „BBC Introducing Music“ vergibt jedenfalls auch besagte, heiß begehrte Slots am Glastonbury Festival.

Ziemlich zeitgleich mit den Musikspürnasen des BBC ist sowieso schon Popstar Lewis Capaldi auf Holly Humberstone und ihre Musik aufmerksam geworden. Er hat sie gebeten, ihn auf seiner Arenatour durch Europa als Support-Act zu begleiten. Erstmals steht Holly Humberstone nicht vor fünfzehn mehr oder weniger interessierten Menschen in einem Pub beim „Open Mic Call“, sondern unter anderem in Londons Wembley Arena vor 12.000 Menschen auf der Bühne.

Home-Recordings

Zu dem Zeitpunkt hat Holly Humberstone zwar schon Songs geschrieben und fertig produziert, der Debüt-EP-Release folgte aber erst im August 2020. Sie heißt „Falling Asleep At The Wheel“ und erscheint in einem guten Moment. „I think because I didn’t have any music out whilst on that tour, people were waiting for me to put stuff out, they already knew who I was. It was all damn luck, I guess“, erzählt Holly Humberstone im FM4-Interview. Sie sitzt vor dem Computerscreen, eingemummelt in einen dicken, schwarzen Kapuzenpulli. So gemütlich wie der sieht eigentlich nur der verknautschte, etwas hässliche Ohrensessel im Hintergrund des Bildes aus, das von der österreichischen Seite aus zu sehen ist. Holly ist eine begeisterte Interviewpartnerin, begeistert, durch die Welt zu telefonieren und begeistert davon, was alles gerade um sie herum passiert.

Holly Humberstone EP Cover "Falling Asleep At The Wheel"

Platoon

Die erste EP von Holly Humberstone heißt „Falling Asleep At The Wheel“ und ist letztes Jahr via Platoon erschienen.

Holly Humberstone wuchs in Grantham, in den East Midlands von England auf. „We’re about twenty minutes drive from the nearest town, we have loads of space, and if you go outside and shout and scream, no one will be up to hear you. We’re in the middle of nowhere, honestly“. Ist das nicht auch ein bisschen gruselig? „Not really“. Das Haus, in dem Holly Humberstone mit ihren Eltern und ihren drei Schwestern lebt - bzw. gelebt hat, mittlerweile ist sie 21 und nach London gezogen - ist nach Eigenbeschreibung „a really old house which is falling down, it’s quite characterful“. Man muss es sich großartig vorstellen, die englische Einöde, ein gutes, leicht gespenstisches Haus und „basically a creative mass, we hord loads of stuff, lots of instruments my dad bought“. In diesem Haus gibt es eigene Kreativ-Räume, wo die vier Schwestern sich ausprobieren können. Die eine im Upcycling alter Kleider, die andere eben im Songwriting.

Erste Liebe, mental health, Selbstakzeptanz

Man will es schon auch glauben, dass so etwas passiert. Dass jemand in der scheinbar perfekten Welt aufwächst, der neue Singer/Songwriter-Popstar zu werden. Die sechs Lieder der „Falling Asleep At The Wheel“-EP klingen wie Coming-Of-Age-Stories, die Holly zuallererst wohl weniger ihren Eltern, vielmehr ihren Schwestern ins Ohr geflüstert hat.

„Oh, you never smoked this much before we met
Light up, light up another cigarette
I can tell you’re drinking only to forget
Don’t know how I got you in such a mess“

So die ersten Zeilen des titelgebenden Songs „Falling Asleep At The Wheel“, es geht ein bisschen um Liebe, vielmehr aber darum, was danach passiert. Wie sich Holly Humberstone neben ihrer klaren, nur an den richtigen Stellen leicht brüchigen Stimme (vergleiche: AVEC) von anderen Songschreiber*innen unterscheidet, sind feine Nuancen. Genau hier etwa macht die Wiederholung der Worte „light up“ alles aus und alles anders. Holly Humberstone hat ihre Vorbilder studiert, sie zählt Bon Iver, Damien Rice und natürlich die große Phoebe Bridgers dazu. Bridgers’ introspektive, nicht selten charmant-makabre Erzählweise hat jetzt schon, und das, obwohl sie selbst erst 26 Jahre alt ist, die ihr nachfolgende Musiker*innengeneration geprägt. Kompliziert ist das alles nicht, es ist Popmusik; der kleine, schräge Funke, das seltsame Wort, eine so nicht gehörte Dopplung oder ein schlichtes Geräusch müssen in dieser grungig angehauchten Indiepop-Nachfolge aber sein. Arbeitstitel „popsongs, but with a little edge“.

„Quite a lot of the time when I’m writing I overcomplicate things, I want the lyrics to be really meaningful, and I don’t wanna put something in that’s really easy so it’s just a popsong. But I also want people to sing along to it, to have it stick to their head, which is equally important.“ Ein Balanceact. Am besten gelingt er am Song „Drop Dead“.

Gute Lieder kommen sehr oft mit einem nur einmal wiederholten (unbedingte Empfehlung: „Martyn“ von Car Seat Headrest), oder sogar gar keinem Refrain aus (unausweichlich: „Thunder Road“). Oder mit einem, der nicht mal aus einem Wort, sondern nur aus einem Ton besteht. „Drop Dead“ ist ein radikaler, und deshalb nicht weniger weicher Break-Up-Song. Auf dem Fuße folgt „Vanilla“, ein überraschend upbeat-iges Lied, hier ist alles Kraft und Rückeroberung. Nicht die des Typen, die des Selbst. „Falling Asleep At The Wheel“ ist eine EP wie eine nächtliche Autofahrt, bei der man hineinschlüpfen darf in die Gedanken der Beifahrerin. Die Stimmung ist gedrosselt, aber auf gute, sehr nahbare Weise.

Danke, Social Media

Holly Humberstone hat in den letzten Monaten gute Kontakte geknüpft. Meist über Instagram. Da wundert man sich an einem Tag noch, wenn Glass Animals eines ihrer Postings herzen, aber schon beim nächsten wird klar, wieso: Sie haben in einer gemeinsamen Session den Song „Heat Waves“ neu aufgenommen. Es ist überhaupt ein für alle Fans der britischen Popwelt interessanter Feed, den Holly Humberstone da aufbaut und pflegt. Matty Healy grinst mit.

„Matty Healy is the best writer in the world and the coolest guy“, so Holly Humberstone voller wohl berechtigtem Überschwang über die gemeinsamen Writing Sessions mit dem The 1975-Frontmann. Ergebnisse sollen sehr bald zu hören sein, Holly Humberstone will ihre zweite EP im Laufe des Jahres veröffentlichen.

„I’m on fire“ wäre übrigens eine der Songzeilen, die sich Holly Humberstone ohne Zögern sofort tätowieren lassen würde. „There will be a lot of Bruce Springsteen references on the next EP, also Fleetwood Mac. I love it ’cause it sounds like really weird and really cool.“ Klingt gut.

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