FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Symbolbild Klimawandel: Autorreifen zerdrückt eine kleine Erdkugel

CC0 von Jeyaratnam Caniceus auf Pixabay

EU Klimaziele: „Es braucht deutlich mehr“

Die EU hat ihre Klimaziele für 2030 festgelegt. Geeinigt hat man sich auf eine Reduzierung der Treibhausgase um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990. Das sind weit höhere Ziele als bisher. Dennoch sprechen Umweltschutzorganisationen und auch die Grünen im EU-Parlament von einem enttäuschenden Ergebnis.

Von Paul Pant

Mit einer Reduzierung der Treibhausgase um 55% unter den Wert von 1990 seien die Pariser Klimaziele und das Ziel, die Erderwärmung unter 1,5° zu halten, nicht erreichbar, sagt Johannes Wahlmüller, der Klimasprecher der Klimaschutzorganisation Global 2000. Im Interview mit FM4 spricht er über die Bremser bei den Verhandlungen, die Situation in Österreich und warum es wichtig ist, dass sich gerade in den nächsten Jahren etwas bewegt.

Johannes Wahlmüller

Stephan Wyckoff

Johannes Wahlmüller von Global 2000

FM4: Vertreterinnen und Vertreter der EU-Staaten und des EU-Parlaments haben sich auf eine Verschärfung des Klimaziels für 2030 geeinigt. Die Treibhausgase der Europäischen Union sollen um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 gesenkt werden. Wie beurteilen Sie dieses Ergebnis?

Johannes Wahlmüller: Die Verhandlungen waren zwischen dem EU-Rat, also den Staats- und Regierungschefs oder deren Vertretungen, und dem EU-Parlament. Das EU-Parlament hat höhere Klimaziele angestrebt und wollte eine Reduktion um 60 Prozent erreichen. Dem hat der EU-Rat leider nicht zugestimmt, sondern es bleibt bei einer Reduktion um 55 Prozent bis 2030.

Das klingt zwar vielleicht nach viel, aber in Wahrheit bräuchte es deutlich mehr, damit die Pariser Klimaziele, die Temperaturziele auch eingehalten werden können.

Wir sehen das durchaus als eine verpasste Chance. Wir denken auch, dass mit höheren Klimazielen die Schaffung von vielen Arbeitsplätzen und die Schaffung einer sauberen Energiezukunft sehr rasch gelingen könnte. Da haben die Parlamentarier im Europaparlament das Problem sicher besser verstanden als die Vertreter der Staats- und Regierungschefs.

FM4: Was bedeutet das nun konkret im Hinblick auf den Klimawandel?

Johannes Wahlmüller: Das bedeutet, dass wir riskante Klimaentwicklungen in Kauf nehmen, dass wir Gefahren ausgesetzt sind wie dem Überschreiten von Kipppunkten, dass ganze Klimasystemelemente kollabieren und Kettenreaktionen ausgelöst werden können, die dann auch nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Deshalb ist es so wichtig, hier auf die Sicherheit zu achten und wirklich ambitionierte Klimapolitik zu betreiben. Vor dem Gipfel mit dem US-Präsidenten Joe Biden ist jetzt vielleicht noch das Fenster offen, dass man hier auf ambitionierte Klimaziele drängt. Wir denken, die EU hat hier zwar einen Schritt gemacht, völlig unambitionierte Klimaziele, wie sie vorher gegolten haben, nämlich minus 40 Prozent, zu den Akten zu legen. Aber man ist immer noch nicht auf einem Stand, wo man sagen kann, das ist das, was das Pariser Klimaabkommen wirklich erfordert.

FM4: Welche Staaten hatten Einwände gegen eine noch strengere Reduktion der Treibhausgase?

Johannes Wahlmüller: Im Prinzip war das eine Position des EU-Rats, also aller Staaten gemeinsam, aber es ist bekannt, dass vor allem Staaten wie Polen, aber auch Tschechien und Ungarn, wo die Kohleindustrie noch eine starke Rolle spielt, ambitionierten Klimaschutzzielen sehr reserviert gegenüberstehen. Die EU hat auch Instrumente in der Hand, um da unterstützend unter die Arme zu greifen, damit eine saubere Energiezukunft auch in diesen Ländern möglich wird, indem man auch den Beschäftigten in diesen Branchen hilft. Ich denke, dass es hier wirklich gute Möglichkeiten gibt, auch diese Länder ins Boot zu holen und dass dann auch ambitioniertere Klimaziele tatsächlich machbar sind.

FM4: Jetzt gibt es dieses Ziel von 55 Prozent. Wie will man diese erreichen? Was muss gemacht werden und ist das realistisch?

Johannes Wahlmüller: Es ist absolut realistisch, diese Ziele erreichen zu können. Man müsste natürlich viel stärker auf saubere Energie setzen. Wenn wir Hunderte Millionen Euro in eine Gaspipeline aus Russland stecken, dann sind das einfach Gelder, die in falsche Technologien laufen. Man müsste stattdessen viel mehr auf Windenergie und Photovoltaik setzen, auch das Zugsystem europaweit modernisieren und noch viel attraktiver machen. Der Gebäudebestand ist in Europa zum großen Teil veraltet, auch da heißt es: Modernisierung, thermische Sanierung, mehr Wohnkomfort, niedrigere Heizkosten und erneuerbare Energie. Das alles ist erreichbar und auch ein Gewinn für die europäische Bevölkerung, wenn man hier ambitionierter vorangeht.

FM4: Die EU-Kommission will die europäische Wirtschaft umfassend umbauen, hin zu erneuerbaren Energien und Produktionsmethoden ohne Abgase. Im Juni soll es dafür ein Gesetzespaket geben. Der Arbeitstitel dafür ist „Fit for 55“. Was erhoffen Sie sich da, was soll da drinnen stehen?

Johannes Wahlmüller: Prinzipiell erfordert der Umbau der europäischen Wirtschaft starke politische Maßnahmen in vielen Bereichen. Denn das wird auch nicht einfach von selbst passieren, und wir erhoffen uns schon, dass man hier klare Rahmenbedingungen setzt. Dazu gehört auch zum Beispiel so etwas wie eine CO2-Bepreisung. Dazu gehört auch, dass es klare Vorgaben gibt, wann veraltete Technologien auslaufen, die auf fossile Energie, also auf Verbrennungstechnologien setzen. Um den Weg freizumachen für eine saubere Energiezukunft, braucht es einfach diesen klaren Rechtsrahmen, damit die gesamte Wirtschaft in der Europäischen Union sich wirklich umstellen kann und diejenigen, die Teil der Lösung sind, auch wissen, dass ihre Geschäftsmodelle sich dann auch rechnen und dass es den Markt dafür gibt.

FM4: In Österreich hat die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler mit Bezug auf den wirtschaftlichen Comeback-Plan für die Zeit nach Corona verkündet, die CO2-Steuer soll in Österreich Anfang 2022 kommen. Im Regierungsprogramm ist eine ökologische Steuerreform beschlossene Sache. Zuletzt gab es Kritik, dass es da zu langsam geht. Wie sehen Sie das?

Johannes Wahlmüller: Derzeit gibt es aus unserer Sicht noch keine konkreten Ergebnisse dieser Task Force zur ökologischen Steuerreform, die letztes Jahr geschaffen worden ist. Da sollte man viel konkreter werden. Aus unserer Sicht sollte da eine Umschichtung von mehreren Milliarden Euro, 5 bis 7 Milliarden Euro auf jeden Fall, erreicht werden. Jeder Haushalt sollte einen Öko-Bonus bekommen, der sich auch aus einer CO2-Bepreisung finanziert, und damit sollte auch langfristig ein steigender CO2-Preis-Pfad beschritten werden, sodass es klar ist, dass es in Richtung erneuerbare Energie, Energieeffizienz und klimafitte Gebäude geht. Da wünschen wir uns schon mehr Klarheit auch von der Regierung, hier wirklich Eckpfeiler einzuschlagen. Denn was wir bis jetzt gehört haben, ist eigentlich die Wiederholung des Regierungsprogramms und kein wirklicher Fortschritt in diesem Bereich.

FM4: Am Donnerstag gibt es einen virtuellen Klimagipfel, initiiert von US-Präsident Joe Biden? Was sagen Sie zu dieser Initiative?

Johannes Wahlmüller: Wir sehen das einerseits als sehr positives Signal, denn man darf nicht vergessen, der letzte US-Präsident hat den Klimawandel ignoriert, hat gesagt, das ist eine Erfindung der Chinesen. Jetzt kommt ein US-Präsident, der einen Klimagipfel veranstaltet, um den Tag der Erde, um zu zeigen, es geht wirklich um viel.

Es geht um unsere Lebensgrundlagen und wir wollen da zusammenarbeiten, auch wenn in Wahrheit mit vielen Gesprächspartnern ein schwieriges Klima herrscht, da müssen wir über unseren Schatten springen, das ist ein wichtiges Signal.

Aber wir erwarten uns keine zu großen, konkreten Ergebnisse, weil diese Gespräche vermutlich sehr viel atmosphärischen Charakter haben werden. Was wir uns schon wünschen, ist, dass alle diese Staaten, wenn sie ihre Wirtschaft wieder hochfahren, dass dann Klimaschutz großgeschrieben wird und alle diese Programme, die Konjunkturpakete sein werden, auf klimafreundliche Technologien setzen werden und nicht auf fossile Energieträger. Denn das wäre die ganz große Chance, die in dieser Krise liegt.

FM4: Was muss weltweit geschehen, , nicht nur in der EU, um bis 2030 die Pariser Klimaziele zu erreichen? Ist das überhaupt noch möglich?

Johannes Wahlmüller: Die Pariser Klimaschutzziele sind auf jeden Fall erreichbar, das sagt uns die Wissenschaft ja auch. Es gibt überhaupt keinen naturwissenschaftlichen Grund, warum man das nicht eingrenzen kann. Wir haben auch alle Technologien dafür. Der einzige Grund, warum das nicht passiert, ist, weil es viele Konzerne gibt, die mit dem Geschäft mit Öl und Gas noch viel Geld verdienen und die wichtige Beschlüsse noch immer blockieren können. Wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen wollen, dann ist es natürlich notwendig, in den nächsten zehn Jahren massiv zu handeln. Die Pläne der Staaten sind derzeit auf einem Niveau, dass in den nächsten zehn Jahren so viele Emissionen rausgeblasen werden, dass die Pariser Klimaziele schon nicht mehr erreicht werden können. Das heißt, gerade was jetzt passiert, in den nächsten Tagen, in den nächsten Jahren, das ist das Entscheidende. Also ist es einfach ganz wichtig, dass auch von solchen Gipfeln klare Signale ausgesendet werden.

mehr Umwelt:

Aktuell: