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Best New Music - The War On Drugs

Shawn Brackbill

The War On Drugs und ihr neues Album „I Don’t Live Here Anymore“

Best New Music: Warum The War On Drugs mit alter Rockmusik nicht nur Boomer begeistern. So auch auf ihrem neuen Album „I Don’t Live Here Anymore“.

Von Christian Lehner

Die Songs von The War On Drugs suchen die Weite, den tiefen Raum, das Echo, den Hall, die Sehnsucht nach anderen Orten und Zuständen der Seele. Ein gern bereistes Thema im Rock. „I Don’t Wanna Live Here Anymore“ ist der Titel des fünften Studioalbums der Band aus Philadelphia.

Adam Granduciel, langbehaarter Kopf von The War On Drugs, setzt also den eingeschlagenen Weg fort – und der führt uns erneut hinaus ins Ungewisse, wo es aber auf alle Fälle besser ist als im Hier und Jetzt. Hängen wir also den Arm aus dem Autofenster und lassen den Fahrtwind über den Handrücken streichen.

Die Musik vonThe War On Drugs ist pures Feeling. Zugegeben, der Begriff ist etwas angestaubt, aber das ist die Musik von The War On Drugs ja auch, wenn Granduciel Rock-Veteranen wie Bob Dylan, Bruce Springsteen und Tom Petty nicht nur zitiert, sondern regelrecht ihren Spirit heraufbeschwört – auch so ein Wort.

„I guess my memories run wild
Like when we went to see Bob Dylan
We danced to Desolation Row"
("I Don’t Live Here Anymore“)

Auf den ersten vier Studioalben war Adam Granduciel hauptverantwortlich für die Musik, den Text und die Aufnahmen. Stundenlang saß er in seinem Kellerstudio, schichtete Sounds auf Sounds, Synthesizer auf Gitarren auf Keyboards, packte dazu einen monotonen Krautrock-Beat, ganz oben die kehlige Stimme, als Garnitur fungierten Hall und Echo. Von der Idee zum Song konnte es Monate dauern.

Der Spirit von Bruce, Bob und Tom

Die Musik klingt auch auf dem neuen Album exakt so, allerdings kam jetzt erstmals die Band zum Zug. Der Großteil der Stücke wurde zunächst in Jam-Sessions aufgenommen und in diversen Studios in New York und Los Angeles nachbearbeitet. In einem Interview für seine Plattenfirma erklärte Granduciel, dass die Songs nach den Sessions zu 90% fertig waren. Nach der Geburt seines ersten Kindes kam dem 42-Jährigen die neue Arbeitsweise entgegen – denn mit dem stundenlangen Abtauchen in Soundwelten war es jetzt - Fläschchen- und Windel-bedingt - vorerst vorbei.

Best New Music - The War On Drugs

Warner Music

Live ging es bisher zu sechst auf den immer größer werdenden Bühnen zur Sache. Dass auch hier alles perfekt bis ins kleinste Detail zu klingen hatte, kann man am letztjährigen Album „Live Drugs“ nachhören. Es wird dann wohl auch die langjährige positive Erfahrung mit seiner Band gewesen sein, die den Micro-Manager Granduciel schließlich davon überzeugte, die Herstellung neuer Riffs und Rhythmen auch mal anderen Musikern zu überlassen.

Die perfektionistische Herangehensweise brachte Granduciel in der Vergangenheit nicht nur Lob ein. Der Rockmotor von The War On Drugs laufe kontrolliert mit Fadgas in Richtung Retroromantik, so ein häufiger Vorwurf. Der Musik fehle es an erkennbaren Höhepunkten, also an Hooks, Melodien und Refrains, die sich ins Gedächtnis einbrennen wie ein Burnout in den Asphalt. Die Lyrics kämen über vage Gefühlsbeschreibungen nicht hinaus. Und schließlich: Der Stimme fehle es an Ausdruckskraft und Charisma.

Elektroauto statt Benzinkutschen

Auf der Habenseite stehen positive Reviews in hippen Online-Fachmagazinen wie Pitchfork, die sonst an rockenden Kollegen wie den Foo Fighters oder Kings Of Leon kein gutes langes Haar lassen, ausverkaufte Touren, treue Fans. Und da wäre noch der Grammy für das beste Rockalbum, den The War On Drugs für das 2017 erschienene „A Deeper Understanding“ überreicht bekamen.

Warum der an klassischen Vorbildern angelehnte Rock auch ein jüngeres Publikum begeistern kann, hat vermutlich mit denselben Einwänden zu tun, die gegen den Sound von The War On Drugs in Stellung gebracht werden. Den Songs haftet etwas sich Wiederholendes, Dance-lastiges an (siehe Krautrock-Vergleich weiter oben). Über die Intros wird eine Spannung aufgebaut, die sich nur selten entlädt. Die Stücke mäandern vor sich hin, tauchen in verschieden Phasen ein, ohne je wirklich auszubrechen. Selbst die Gitarren-Soli fügen sich brav in die Grundstimmung ein, anstatt auf die Überholspur zu wechseln. It’s a feeling.

“I’ve been to the place
That you’ve tried escaping
I can’t recall
I’m always changing
Love overflowing”
(„Living Proof“)

The War On Drugs gleiten mit einem Elektroauto über den Highway, anstatt in einer brüllenden Benzinkutsche zu sitzen (auch wenn der Video-Clip zum Opener „Living Proof“ etwas anderes behauptet). Es ist das perfekte Hörerlebnis für Noise-Canceling-Headphones und auf wenig Ausschlag gepolte Playlists. Kein Wunder, dass Granduciel im Interview empfiehlt, das Album bei einem ausgedehnten Spaziergang durch die Stadt zu hören, wenn man sich so richtig in der Musik verlieren kann.

Höhepunkt dieser Reise ist der Titeltrack „I Don’t Live Here Anymore“, der sich als Symbiose von Don Henleys „The Boys Of Summer“ und Bryan Adams‘ „Run To You“ schnell als Klassiker des hemdsärmeligen Sehnsuchtsgeraunes in den Gehörgängen festsetzt.

Auch das fünfte Album von The War On Drugs atmet die Weite, die von der Einsamkeit bis zum Rockstadion voller Menschen reicht. Pandemiebedingt steigt der Sehnsuchtsfaktor zum Quadrat. Auf zur Ladestation.

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