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Es ist nicht leicht im vereinten Europa

An unserem Tisch - genau wie auf der Arche Noah, aber nicht voll mit Tieren, sondern mit Menschen - sitzt das vereinte Europa. Hoffentlich haben die Tiere in der Arche nicht so gestritten wie die Menschen jetzt!

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

„Wir, die Ungarn haben vieles erfunden: die Streichhölzer, das Sprudelwasser und sogar den Rubikwürfel!“, sagt eine Frau in Lederhose. Der ewige Skeptiker, der an jedem Tisch sitzt - bei uns ein Mann mit einem hängenden Schnurrbart, der Nietzsche ähnlich sieht -, meint: „Ich kenne diese Geschichte schon, ihr Ungarn seid lauter Nobelpreisträger und olympische Goldmedaillengewinner!“ „Ja“, erwidert die Dame. „Wir sind ein stolzes Volk!“ „So stolz wie ihr seid, sucht ihr alle Jobs in Österreich!“, meint ein junger Mann. „Ungarn oder Österreich, es war eh alles ein Land vor hundert Jahren!“

Ich höre mir diesen sinnlosen Streit an und will mich dabei auf keine Seite schlagen. Der Mann mit dem Nietzschebart fragt mich aber, was wir Bulgaren wohl der Welt gegeben haben. Das kyrillische Alphabet, meine ich. Nietzsche ist damit beruhigt, aber die Ungarin in Lederhose ist verärgert. „Dann habt ihr den Russen ein Alphabet gegeben, damit sie danach halb Europa besetzen!“

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Jetzt bin ich also verantwortlich für sämtliche sowjetische Besatzungen. Um mich noch schlechter zu reden, erwähne ich noch, dass Bulgaren die erste Bombardierung aus einem Flugzeug durchgeführt haben. Ich stehe wie ein kriegslüsterner Barbar da. Und eigentlich bin ich ein kompletter Pazifist. Das letzte Mal, als ich jemanden schlagen wollte, war, als ein Pole zu meiner lieben M gesagt hatte, sie sei die erste Bulgarin, die er kennt, die keine Prostituierte sei.

Ich hielt mich aber dann zurück, denn er wollte ihr eigentlich ein Kompliment machen. Ich wurde irgendwie in dieses Gespräch verwickelt, wo jeder sein Ego poliert und die anderen respektlos behandelt. Ein wie ein Eichhörnchen ausschauender junger Mann vom Nebentisch scheint mich zuerst darin zu unterstützen, dass dieses Gespräch sinnlos ist. Bis er sagt: „Nur wir Griechen sind wirklich zivilisiert, denn wir haben der Welt Demokratie gegeben, damit ihr überhaupt dieses Gespräch führen dürft!“

Das Gespräch wird daraufhin noch hitziger als eine griechische Tragödie voll mit Inzucht, Vatermord und Tyrannen. Alle auf dem Tisch sind ineinander verwickelt wie die Schlangen, die Laokoon und seine Söhne vor den Mauern von Troja erwürgt haben. Es ist nicht leicht im vereinten Europa.

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