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Best New Music Courtney Barnett 2021

Mia Mala MacDonald

Best New Music

Courtney Barnett und „Things Take Time, Take Time“

Nach dem ambitionierten Ausflug in die Themenwelt von MeeToo gibt sich die australische Rockmusikerin Courtney Barnett auf ihrem neuen Album wieder den entspannten Gedankenspaziergängen zwischen Bettkante und Fenstersims hin. Das hilft in dunklen Tagen.

Von Christian Lehner

“Am Morgen bin ich ziemlich slow“, singt Courtney Barnett im Eröffnungsstück, „also schnappe ich mir einen Stuhl und beobachte was so auf der Straße passiert.“ Der Song, der dieses Szenario beschreibt, heißt „Rae Street“, so wie die Straße in Melbourne, an der Courtney Barnett die ersten Lockdowns in Australien verbrachte. Rausgehen und Freunde treffen war nicht drin, also beobachtete Barnett, wie die Nachbarskinder einen Lagerkoller bekamen und der Müllwagen von Haus zu Haus tuckerte. Ach ja, Bettwäsche wechseln, das könnte man auch noch machen. Tagespläne in Zeiten von Corona.

Mit all dieser Zeit, bleibt auch Zeit für höhere Gedanken, über die Zeit an sich zum Beispiel. Und da haut es der 33-jährigen Rockmusikerin noch im selben Song so eine typischen Barnett-Zeile raus, so ein Statement, das kritisch, philosophisch und doch so Alltag ist, und für das man sie in der Popwelt so schätzt. Barnett singt: „Well time is money and money is no man’s friend.” Wie wahr, Frau Barnett, wie wahr.

“Well time is money and money is no man’s friend” – Rae Street

Wir wundern uns also nicht, dass der Titel des dritten Albums von Courtney Barnett „Things Take Time, Take Time“ lautet. Das passt gut zu ihrem Image der Slacker-Queen, das sich mit ihrem Debüt „Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit“ 2015 auf Anhieb einstellte. Für dieses Album wurde Barnett mit einem Grammy als beste Newcomerin nominiert.

Slacker-Queen aus Australien

Als Komplize taucht in Folge in den Fahndungslisten gelegentlich ein gewisser Kurt Vile aus Philadelphia auf, der die Akkorde auf seiner Gitarre ebenfalls gern in Zeitlupe anschlägt und einzelne Silben bis zum Horizont dehnt (das gemeinsame Album „Whole Lotta Sea Lice“ erschien 2017).

Courtney Barnett in Berlin

Christian Lehner

Doch ganz so freiwillig in die Hängematte hat sich Courtney Barnett dieses Mal nicht gelegt. Das dritte Album sollte ein lautes Band-Album werden, am besten live eingespielt. Doch Corona-bedingt wurde daraus nichts. Der Großteil der Aufnahmen ist in Barnetts kleiner Wohnung in Melbourne entstanden. Statt fetter Drum-Rolls eines Fleisch-und-Blut-Schlagzeugers hören wir das gemütliche Dahintuckern einer Drum-Machine. Beim Produzieren stand Barnett lediglich Stella Mozgawa von der befreundeten Band Warpaint zur Seite.

Die angenehme Überraschung: Courtney Barnett hat sich im Gegensatz zu vielen Pop-Kolleg*Innen vom großen Schlamassel, in dem wir alle stecken, nicht völlig runterziehen lassen. Die Grundstimmung des Albums bleibt positiv. Selbst eine zerbrochene Beziehung („Splendour“, „If I Don’t Hear From You Tonight“) lässt die Tränen trocknen, noch ehe sie auf den Boden getropft sind.

No Self-Care Bullshit

Das erinnert nicht nur vom Einsatz der Stimme her an die gut gelaunten Momente von „Coney Island Baby“, Lou Reeds Soft-Rock Album aus dem Jahr 1975 (Barnett ist auch auf dem vor kurzem erschienenen Covers-Album „I’ll Be Your Mirror. A Tribute To The Velvet Underground and Nico“ vertreten).

Nach dem ambitionierten Ausflug in die Themenwelt von MeeToo auf dem letzten Album „Tell Me How You Really Feel (2018)“, inspiriert von der Schriftstellerin Margaret Atwood, gibt sich Barnett auf ihrem neuen Album wieder den Gedankenspaziergängen zwischen Bettkante und Fenstersims hin.

„Stars in the sky, are gonna die, eventually it’s fine“ - If I Don’t Hear From You Tonight

Barnett empfiehlt, was sie auf diesem Album über 10 Songs verinnerlicht: eine situative Gelassenheit entwickeln, die jedoch nie in kühle Ignoranz umschlägt und dabei dem slicken Self-Care-Bullshit unserer Tage weit hinter sich lässt. „Write A List Of Things To Look For“, rät sie uns im gleichnamigen Song, wobei sich diese Empfehlung bloß als Schlussfolgerung im Titel selbst findet.

Im Text resigniert das erzählende Ich angesichts der fortgesetzten Unvernunft der Menschheit. Es sind diese kleinen Kniffe, die Courtney Barnett über die übliche Singer-Songwriter-Ware hebt. Die Slacker Queen schlurft durch die Krise und sorgt für helle Momente in finsteren Zeiten.

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