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Zwei Freunde im Park, sie halten sich an der Hand und zeigen in unterschiedliche Richtungen

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER Grafik: Pixabay

Fm4 Auf Laut

Wie redet ihr über die Pandemie mit euren Freund:innen?

Ausblenden, diskutieren, Freundschaft kündigen? Die Corona-Politik spaltet Freund:innen und Familien. Wie können wir wieder vernünftig miteinander diskutieren? Darüber reden wir .

Gersin Livia Paya im Gespräch mit der Psychologin Elke Prochazka von Rat auf Draht

Radio FM4: Frau Prohaska, Sie haben jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, auch durch ihre Arbeit bei Rat auf Draht. Wir sind nun erneut in einem Lockdown und, verglichen zur Lage vor der Pandemie und zu den ersten Lockdowns, was können Sie zur psychischen Gesundheit der jungen Menschen in Österreich sagen?

Elke Prochazka

Elke Prochazka

Elke Prochazka ist klinische und Gesundheitspsychologin in eigener Praxis und seit 19 Jahren bei Rat auf Draht. Dorthin könnt auch ihr euch wenden, wenn ihr Probleme habt und Rat sucht. Die Telefonnummer: 147.

Elke Prochazka: Die psychische Gesundheit der jungen Menschen hat sich stark verschlechtert. Die Beratungsthemen bei Rat auf Draht haben sich sehr verschoben. Wir haben einen unfassbaren Zuwachs an Beratung im Bereich der psychischen Belastungen, bei Schlafstörungen, bei Depressionen, bei Essstörungen. Das hat sich stark verschlechtert. Wir wissen, dass vor dem Lockdown ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen von psychischen Erkrankungen betroffen war. Das ist jetzt gestiegen auf ein Drittel. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind voll. Hier muss reagiert werden. Hier braucht es ganz dringend etwas. Wir haben auch einen deutlichen Anstieg bei Suizid-Annäherungen und auch bei Suizid-Versuchen.

Radio FM4: Gibt es seit dem Lockdown einen weiteren Ansturm zu vermerken? Wie kommen Jugendliche damit klar?

Elke Prochazka: Seit Beginn der Pandemie erleben wir einen Ansturm an Anfragen, vor allem zu den Maßnahmen und Regeln für Jugendliche. Was für junge Menschen gilt, also für Einzelpersonen unter 18, etwa das Treffen mit Partner:innen? Das heißt, wir versuchen überhaupt immer wieder Infos zu geben. Wie ist denn das jetzt? Mit wem darf ich mich jetzt eigentlich treffen? Außerdem gibt es Angst und Überforderung, sowohl an den Unis als auch an den Schulen mit den diversen Distance-Learning-Formaten, oft nach unterschiedlichen Vorstellungen, womit man sich selber wohlfühlt, womit die Eltern sich wohlfühlen. Das birgt ein großes Konfliktpotenzial.

Radio FM4: Der große Konflikt dieser Tage, der auch Freundschaften zerstört und Familien spaltet, ist das Impfen. Wie können wir da wieder vernünftig und respektvoll miteinander diskutieren?

Wie respektvoll miteinander diskutieren?

Elke Prochazka: Also ein Ansatz ist auf jeden Fall, dass man versucht, sich ernsthaft zuzuhören und zu verstehen. Wir kennen es, im Gespräch nur darauf zu warten, endlich etwas zu entgegnen, oder wenn das Gegenüber schon ständig Luft holt und ansetzen möchte. Das hat dann mit Zuhören nichts zu tun. Wir können auf die emotionale Ebene kommen und verstehen, was diese Person beschäftigt. Etwa mit Sätzen wie „ich merke, dass du große Angst hast“ oder „ich merke, dass du in großer Sorge bist, dass du aufgebracht bist“. Das führt bereits zu kleinen Annäherungen, wenn die andere Person sich wahrgenommen fühlt. Das ist ein Grundbedürfnis von uns allen Menschen.

Radio FM4: Wie gehen wir mit Überzeugungen und Ängsten der anderen um?

„Würdest du das für mich tun?“

Elke Prochazka: Ich glaube, wir müssen anerkennen, dass wir nicht alle Menschen überzeugen können. Wir wissen auch aus der Konfliktforschung, dass ab einer gewissen Eskalationsstufe Unterstützung von außen notwendig ist. Aber gerade je näher ich einer Person stehe, umso eher kann ich versuchen, zum Nachdenken zu bringen. Zum Beispiel meine für mich besten Argumente einstreuen. Ich muss aber dann nicht das letzte Wort haben.

Was man schaffen kann, ist gerade in Freundschaften, in Familien, dass man an Regeln festhält. Also dass man sagt: „Ja, okay, ich respektiere, dass das jetzt deine Entscheidung ist. Mir ist es wichtig, dich weiter zu sehen. Damit ich mich wohlfühlen kann, möchte ich gern, dass wir uns nur draußen treffen, gemeinsam spazieren gehen. Ist es für dich möglich?“ Oder: „Ist es möglich, dass wir uns alle testen, egal, welchen Status wir haben, wenn wir uns sehen? Weißt du, das brauche ich für mein Wohlfühlempfinden. Auch wenn es für dich jetzt nicht so nachvollziehbar ist, würdest du das für mich tun?“ Man bringt es damit auf eine andere Ebene.

Hilfe am Telefon

Rat auf Draht (24h Hotline): 147

Notfallpsychologischer Dienst Österreich (24h-Hotline): +43 699 188 554 00

Psychiatrische Soforthilfe für Wien (24h-Hotline): +43 1 31330

Corona-Sorgenhotline Wien (8-20 Uhr): +43 1 4000 53000

Servicetelefon der Kinder- und Jugendhilfe: +43 1 4000 8011

Kriseninterventionszentrum (10-17 Uhr): +43 1 406 95 95

Radio FM4: Ist es eine gute Idee, im privaten Umfeld überhaupt zu versuchen, ungeimpfte Verwandte oder den skeptischen Freund von einer Impfung zu überzeugen?

„Ich würde es gern verstehen können.“

Elke Prochazka: Da sind wir wieder beim Überzeugen. Zum Nachdenken bringen, das ist möglich, und nachfragen. Etwa mit Sätzen wie: „Was hat denn zu deiner Überzeugung geführt? Welche Fakten hast du gelesen? Wo hast du denn nachgeschaut? Ich würde es gern verstehen können.“ Und ich kann auch meine Überzeugungen darlegen. Ich kann sagen, warum ich mich dafür entschieden habe, wo ich nachgesehen habe, was vielleicht auch meine Zweifel waren, weil das, was ganz wichtig ist, wenn ich jemanden zum Nachdenken bringen möchte oder auch überzeugen möchte, ist, dass man der Person einen Ausstieg ermöglicht oder eine Meinungsänderung ermöglicht, ohne dabei das Gesicht zu verlieren.

Wenn ich also zum Beispiel von meinen Zweifel erzähle oder davon, dass auch ich gezögert habe, welche Informationen ich gebraucht habe, um sicher zu sein, dann ist es möglich, etwas anzuregen. Aber man muss ganz ehrlich sagen, wir werden es nicht schaffen, jede Person zu überzeugen. Das wissen wir auch aus den wissenschaftlichen Studien. Aber wir können durch das gegenseitige Verstehen Menschen zum Nachdenken bringen.

Radio FM4: Muss man das Impfen überhaupt thematisieren oder kann man einfach sagen, das blenden wir aus, im Sinne unserer Freundschaft oder im Sinne eines friedlichen Abends gemeinsam?

Dem Impfthema einfach ausweichen?

Elke Prochazka: In Freundschaften gibt es unterschiedliche Ansichten. Man kann es aussprechen und sagen: „Ich mag dich als Mensch so gerne und ich mag nicht, dass das unsere Freundschaft kaputt macht. Ich versuche deine Entscheidung zu respektieren. Ich möchte einfach wissen, wie es dir abseits von diesen Themen geht? Wie geht es dir damit, dass wir jetzt wieder alleine sind und das Leben zu Hause stattfindet?“ Zurückkehren zu dem, was einen vorher verbunden hat, und schauen, ob das möglich ist.

Radio FM4: Oft ist es gar nicht möglich auszuweichen und das kann dazu führen, dass Freundschaften gekündigt werden. Wie sehen Sie das? Ist es vertretbar, eine Freundschaft zu kündigen aufgrund von verschiedenen Sichtweisen?

Freundschaften kündigen?

Elke Prochazka: Beim Kündigen einer Freundschaft, sind es oft unterschiedliche Ebenen, auch Unterschiedliches, das verbindet. Manchmal entsteht eine Freundschaft, weil ein gemeinsames Hobby verbindet, manchmal ein sehr langer gemeinsamer Lebensweg, wo man viel gemeinsam durchgestanden hat. Es ist auch gut, zu hinterfragen, was macht mich so emotional in dem Ganzen? Also wo ist mein wunder Punkt, auch in diesem Fall, dass ich den Kontakt zu dieser Person so verloren habe? Ist es nur dieses eine Thema, oder fehlen da andere Berührungspunkte? Um sich zu überlegen: Ist das eine Freundschaft, die für mich wichtig ist, um die ich kämpfen möchte? Oder ist es vielleicht etwas, was ich gar nicht gemerkt habe, dass man davor schon sehr auseinandergedriftet ist?

Es ist wichtig zu schauen, ob man in manchen Bereichen den Kontakt einfach weiter hält, auch aushält, dass man nicht immer einer Meinung ist. Ich möchte gerne die Fußball-EM einbringen, es war ein verbindendes Element. Alle wollen Fußball schauen. Und dann gab es welche, die waren schon geimpft, und welche, die waren noch nicht geimpft, und welche, die oft essen gegangen sind, und andere nicht. Da ist es oft gelungen zu sagen: „Wir wollen Fußball schauen, wir wollen nicht übers Impfen reden. Aber wenn wir uns hier jetzt bei uns treffen, dann kommen alle getestet.“ Nach dem Gemeinsamen suchen. Wir wollen uns gegenseitig vor einer Ansteckung schützen, auch wenn die Idee, die wir dahinter haben, wie man sich schützen kann, vielleicht eine unterschiedliche ist.

Radio FM4: Wie können wir ein Weihnachtsfest sicher und auch in Frieden verbringen, wenn es da so starke unterschiedliche Einstellungen zur Impfung und zum Testen sind, aber man trotzdem mit der Familie zusammenkommt?

„Angebote an die Menschen machen, die einem wichtig sind“

Elke Prochazka: Hier wird es wahrscheinlich schon auch ein bisschen Flexibilität brauchen. Also wenn es Menschen gibt, wo man nicht mehr herankommt, da Vorschläge zu machen, sich ein paar Tage später im Freien zu treffen und gemeinsam spazieren zu gehen? „Ich würde mich freuen, wenn wir uns sehen würden.“ Also man kann eine Einladung, ein Angebot aussprechen, kann schauen, ob das ankommt.

Das ist sehr unrealistisch, aber man kann schauen, was gelingt und auf was man sich einigen kann, was für alle passt. Wenn ich merke, ich fühle mich damit nicht wohl, sich dann wirklich zurückziehen und schauen, wie kann ich ein Weihnachtsfest vielleicht mit Freund:innen verbringen, wo es mehr Übereinstimmung gibt. Also auf sich achten und Angebote an die Menschen machen, die einem wichtig sind, so dass man sich wohlfühlt.

Radio FM4: Wenn es jetzt zu Streitigkeiten kommt, in denen man auseinandergeht, und es dann im Nachhinein bereut? Wie kann man sich da am besten wieder annähern?

Wie sich wieder annähern?

Elke Prochazka: Eine Möglichkeit ist, auf das Verbindende zu achten. „Das Thema hat uns so weit auseinander gebracht, aber ich muss immer wieder daran denken, wie wir damals das und das gemacht haben, wie du mir durch diese und jene Situation geholfen hast. Vielleicht können wir uns einfach mal treffen und uns mal austauschen, wie es uns überhaupt geht. Ich finde es schade, wenn wir aufgrund von einem Thema unsere Freundschaft verlieren.“ Wenn es möglich ist, schauen, wo ist das Verbindende und auch für sich selbst hinterfragen: Wie habe ich mich verhalten? Kämpfen wir gegeneinander mit Fakten, wo wir nicht zusammenkommen? Habe ich eigentlich auch die emotionale Ebene von meinem Gegenüber wahrgenommen? Wir müssen nicht einer Meinung sein, ich kann sogar absolut anderer Meinung sein. Ich kann aber wahrnehmen, die Person hat genauso Angst wie ich, geht aber gerade anders damit um. Vielleicht kann ich, wenn wir wieder zusammenkommen, meine Argumente platzieren. Und wenn ich viel Glück habe, bringe ich die Person zum Nachdenken, aber ich kann es nicht erzwingen.

Radio FM4: Freundschaften können Meinungen ändern, nicht Fakten...

„Es darf unterschiedliche Meinungen geben.“

Elke Prochazka: Na ja, das Ding ist, hier geht es ja auch um Fakten, und Fakten sind einfach nicht änderbar, weil sonst wären sie keine Fakten. Die Entscheidung, sich zu impfen oder nicht zu impfen, dazu kann ich eine Meinung haben. Ein Faktum wäre, dass die Impfung vor einem schweren Verlauf und davor, auf die Intensivstation zu kommen, weitgehend schützt. Das ist eben genau dieses Problem, bei dem viele aufeinandertreffen. Hier geht es um den Begriff, den Trump auch ein bisschen verwendet hat, um „alternative Fakten“, und die gibt es eben nicht. Fakten sind eben nicht änderbar, auch in Freundschaften nicht, Meinungen aber schon. Es darf auch unterschiedliche Meinungen geben. Die Frage ist eben, wie viel Unterschied hält eine Freundschaft aus.

Radio FM4: Oft werden dann Fakten hin- und hergeschoben. Wie kann man jemanden effektiv auf andere Quellen hinweisen?

Was tun beim Fakten-Ping-Pong?

Elke Prochazka: Also hier sind Fragen sehr gut geeignet, weil Vertrauen wiegt oft mehr als Wissenschaft. Das ist eine Erfahrung, die auch Studien zeigen. Das heißt, man kann hinterfragen und sagen: „Okay, warum glaubst du gerade dieser Quelle? Zeig doch mal. Weißt du, wer da dahintersteckt?“ Es gibt natürlich Personen, die schon so weit fortgeschritten sind, dass wir nicht mehr viel ausrichten können. Aber es gibt auch die, die darauf oft gar keine Antwort haben und die wir dadurch auch ein stückweit zum Nachdenken bringen. Dieses Nachfragen ist oft etwas, was leichter möglich ist als dieses Fakten-Ping-Pong oder Quellen-Ping-Pong.

Radio FM4: Welche Auswirkungen hat denn diese Aufspaltung, auf die Psyche und die Gesundheit, wenn man sich nicht mehr zugehörig fühlt?

Elke Prochazka: Das ist eben ein Grundbedürfnis von uns Menschen, ein Stück weit akzeptiert zu werden und gesehen zu werden. Da wissen wir aus den Studien, dass eine Spaltung auch gerade den Nährboden für extremistische Entwicklungen sehr verstärken kann. Das heißt, einerseits müssen wir uns schon daran erinnern, Diskussion ist wichtig, unterschiedliche Meinungen sind wichtig, und ich glaube, wir müssen auch aufhören, Menschen so sehr ins Eck zu stellen, wir müssen uns den Emotionen dahinter zuwenden. Das Verbindende von allen in dieser Situation, ist Angst und Druck.

Radio FM4: Ist es also trotz allem wichtig, im Gespräch zu bleiben?

Wie viel soll die Freundschaft aushalten?

Elke Prochazka: Also grundsätzlich ist es gut, wenn es für einen noch aushaltbar ist, im Kontakt zu bleiben. Im Kontakt zu bleiben muss nicht heißen, über das Thema zu sprechen, sondern überhaupt in Kontakt zu bleiben, weil wir alle verändern uns und je mehr Möglichkeiten es gibt, die Veränderung der anderen Person zu spüren, umso eher kann sich die Person noch öffnen. Gerade Freundschaften, die einem sehr wichtig sind, Menschen, die einem sehr wichtig sind, mit engem Vertrauensverhältnis, da plädiere ich schon sehr dafür, da auch zu versuchen, den Kontakt zu halten.

Freundschaft heißt auch nicht nur, dass „ich versuche dich zu überzeugen“, sondern Freundschaft bedeutet auch, sich zu stärken, wenn es einem nicht gut geht. Gerade jetzt auch in dieser für viele doch wieder eintretenden Einsamkeit, mit Ängsten, Sorgen, finanzieller Unsicherheit, das gemeinsam durchzustehen. Vielleicht findet man da eine Basis, die für beide Sicherheit schafft. Auch das kann möglicherweise etwas verändern.

FM4 Podcast Auf Laut (Auflautpodcast)

Radio FM4

FM4 Auf Laut: Wie redest du mit deinen Freund:innen über die Pandemie?

Wie gehst du mit der gesellschaftlichen Spaltung in deiner Bubble um? Wie verhältst du dich gegenüber Freund:innen oder Familienmitgliedern, wenn Sie anderer Auffassung sind? Wie redet ihr darüber?

Die Mehrheit der Bevölkerung ist geimpft, ein Drittel aber nicht. Die gesellschaftliche Spaltung über die Maßnahmen gegen die Pandemie ist größer denn je. Wie betroffen ist deine Bubble und wie gehst du damit um? Impfen – ja oder nein? Lockdown - pro und contra? Wie gehst du in Gesprächen mit Freund:innen, in der Familie oder in der Arbeit mit diesen Bruchlinien um? Claus Pirschner spricht mit Anrufer:innen, mit der Psychologin Elke Prochazka von Rat auf Draht und mit der Influencerin und Aktivistin DariaDaria.

Am Dienstag, 23. November, ab 21 Uhr, die Nummer ins Studio ist 0800226996. Ruf uns an und diskutiere mit.

FM4 Auf Laut gibt es auch als Podcast.

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