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Father John Misty

Ward Kweskin

Father „Jazz“ Misty

Mit seinem neuen Album „Chloë and the Next 20th Century“ holt Father John Misty den Sound der alten 20er-Jahre in die neuen 20er-Jahre. Das ist nicht nur spannend.

Von Lisa Schneider

„I never knew how bad I needed Father Jazz Misty until this“, schreibt ein User auf Reddit, natürlich haben sich Top-Fans das Album schon vor dem offiziellen Release besorgt. Auf Instagram hingegen wurde, wenn auch leidlich, brav gewartet: „Mr. Tillman pls I can’t take another week of cryptic teasers“, schreibt eine Followerin. Dabei hat er nicht mal übertrieben. Die Promo-Kette, die Father John Misty diesmal zur Bewerbung seines fünften Albums losgetreten hat, ist nichts im Vergleich etwa zu der, die zu „Pure Comedy“-Zeiten (2017) stattgefunden hat. Normalerweise eh immer, aber dass jetzt auch bei Father John Misty der puristische Satz „let the music do the talking“ gilt, ist schon ein bisschen eine Überraschung.

Albumcover Father John Misty "Chloe and the Next 20th Century"

Bella Union

„Chloë and the Next 20th Century“ von Father John Misty erscheint via Bella Union.

Zurück zu „Jazz Misty“. Es ist wahr. „Chloë and the Next 20th Century“ klingt, als hätte Josh Tillman die Lockdowns damit verbracht, sich genüsslich dem alten Hollywood und seinen Schwarzweißfilmen zu widmen. Vielleicht wollte er eigentlich ein Musical schreiben. Vielleicht ist das einfach gerade die Musik, die er selbst am liebsten hört. Feststeht: Er hat sich Teile eines Orchester gemietet und war einmal mehr mit Musiker, Produzent und gutem Freund Jonathan Wilson im Studio. Es ist wohl zu großen Teilen ihm zu verdanken, dass das Ganze nicht die musikalische Zeitlosigkeit, von der Father-John-Misty-Alben bis jetzt gelebt haben, verloren hat.

Loungemusik ist ein böses Wort

„Michael Bublé“ sind tatsächlich die ersten Worte meines Mitbewohners, als ich ihm den Eröffnungssong „Chloë“ inklusive all der schönen Brass-Sets vorspiele. Er fügt vorsichtig wie schnell hinzu: „sehr ironisch“. Irgendwo dazwischen liegt die Essenz dieses neuen Misty-Albums. Das Thema seines 2017 veröffentlichten, großen wie größenwahnsinnigen Albums „Pure Comedy“ war die Menschheit (und ihre Unzulänglichkeit), der Nachfolger „God’s Favorite Customer“ hat den Blick nach innen gerichtet. Father John Misty hat sich und seine Verfehlungen gern unter die Lupe genommen, vielleicht auch in Anbetracht der Tatsache, dass der, der sich selbst zerfleischt, ja kein ganz so schlechter Mensch sein kann.

In seinen Texten ging es bisher um Selbstzerstörung und die großen Was-wäre-wenn-Fragen, immer eingependelt zwischen Selbstironie, Hochmut und dem unbedingten Willen zum Bekenntnis. Das waren also Lieder über unausgeschöpfte Möglichkeiten, Lieder über die Abzweigungen im Leben, die man nicht genommen hat. Da bleibt natürlich viel Platz für philosophisch-anthrophologische Grundkursanekdoten („The comedy of man starts like this“). Und für die Liebe, weil’s halt eben doch sein muss („I hate to say it, but each other’s all we’ve got“).

Auf „Chloë and the Next 20th Century“ wird Father John Misty zum Beobachter und erzählt - in der Literatur würde man es wohl unzuverlässig nennen - die Geschichten anderer. Wir taumeln mit „borough socialist“ Chloë, die gern in diversen Läden mal was mitgehen lässt, durchs Leben, bis es endet. Wir treffen ein „Funny Girl“, das der Erzähler zu gleichen Teilen nervig („you seem pretty indifferent“) wie faszinierend findet („but you knocked me out when you charmed the pants off Letterman“). Wir folgen einer Schriftstellerin, die ihre literarische Karriere auch trotz der gestohlenen Memoiren ihrer toten Schwester nicht retten kann: „By now this tragedy’s my own!“

Da haben wir sie also wieder, die very Misty Zeilen, voll mit Referenzen, zynischen Randdetails und der subtilen Voraussetzung, dass die Figur Father John nicht selten selbst der größte Idiot von allen ist (was sich hier etwa allein dadurch erklärt, dass er seine Späße fast durchgehend auf Kosten der Frauenfiguren macht).

Josh Tillman hat sich seine Kunstfigur und/oder Alter Ego in allen möglichen charakterlichen Grauschattierungen ausgedacht. Er nimmt sich viel heraus, er kann auch fast alles. Mit diesem Album will er es vielleicht noch mehr als früher unter Beweis stellen. Meint er es jetzt also ernst, meint er es sehr ernst: „Love’s much less a mystery / than who you give it to“ („Kiss Me (I Loved You)“) ist eine der besten Zeilen, die man noch nicht über die Liebe gehört hat.

Ähnlich beim Lied „Goodbye, Mr. Blue“. Es handelt vom Tod einer Katze, der zwei ehemals Verliebte noch einmal erahnen lässt, wie das mal war, früher und glücklich. Das Leben ist eine lächerliche Angelegenheit, und die lächerlichsten Momente sind die schönsten.

Die Geschichten auf „Chloë and the Next 20th Century“ hängen lose zusammen, hier raufen sich einmal mehr Reddit-Nutzer*innen die Haare („What the fuck is going on in the lyrics?!?“). Es ist die Musik, die das Album als Ganzes zusammenhält. Es sind die Texte und der wie immer fabelhafte stimmliche Vortrag, der diese elf neuen Song im Oeuvre Father John Misty festhält. Wieviel Spaß die Freund*innen seiner früheren Folk- und Psychedelic-Rock-Musik, seinem bisschen Borgen bei Randy Newman und Rufus Wainwright mit diesem neuen Album haben werden, bleibt abzuwarten.

Vielleicht lassen sie sich unerwarteterweise mit sanftem Country (noch einmal „Goodbye, Mr. Blue“), Bossanova („Olvidado“) oder der totalen, barocken Überladungskunst inklusive Cembalo („Q4“) trösten. Es muss ja aber auch nicht sein. Die Frage, ob man tatsächlich sein Leben lang auf Father „Jazz“ Misty gewartet hat, muss jede*r für sich selbst beantworten. Bis dahin gelten zumindest seine inhaltlich unumstößlichen Wahrheiten wie diese hier: „Life can be more sweet than bitter.“

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