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Voodoo Jürgens Album 3 "Wie die Nocht noch jung wor" s/w Bild

Florian Lehner

Wiener Soul ganz nah an der Wiener Seele

Das Figurenkabinett des Voodoo Jürgens hat ein paar neue Charaktere: Der Zuckerbäcker mit geplatztem Lebenstraum, das wohnungssuchende Paar, der schwindlige Geschäftsbesitzer. Wehmut und Trost halten sich auch auf seinem dritten Album „Wie die Nocht noch jung wor“ die Waage.

Von Katharina Seidler

Oft probiert, selten erreicht: Seit vor über zehn Jahren Der Nino aus Wien, in weiterer Folge Wanda und ab 2016 der Ex-Die Eternias-Frontmann David Öllerer unter seinem Pseudonym Voodoo Jürgens die dunklen Ecken des Stammlokals in helles Licht getaucht und in große Songwriter-Kunst verwandelt haben - jeder auf seine eigene Art - sind Scharen von Epigonen auf den Plan getreten. Wechselnde Kombinationen der Schlagwörter Tschick, Tschechern und Tschumsn reichen aber nicht aus, wenn man sich für seine Protagonist*innen nicht wirklich und ehrlich interessiert. Denn zwischen Rauchschwaden und Hinterzimmern liegen ganze Welten, und die zeichnet Voodoo Jürgens in wenigen Worten liebevoll und millimetergenau auf.

Auch auf Album Nummer Drei gehört sein Herz den Abgehängten, deren Geschichten in dieser Nacht die Welt bedeuten: Ein Freund, der Hilfe braucht, oder zumindest Geld. Ein zerstrittenes altes Paar, das versucht, sich wieder zusammenzuraufen. Eine alte Prostituierte, die nach vielen Jahren nicht mehr am Gürtel steht, sondern an den Stadtrand in den Gewerbepark verdrängt wurde. Voodoo reicht ihnen die Hand und fordert die Zuhörenden auf, dasselbe zu tun.

Voodoo Jürgens – Österreich-Tour

2.12. Kulturforum Amthof Feldkirchen
3.12. Kuga Großwarasdorf
4.12. Rockhouse Salzburg
7.12. Konzerthaus Wien
9.12. Spielboden Dornbirn
10.+11.12. Treibhaus Innsbruck
14.12. Orpheum Graz
15.12. Posthof Linz
16.12. Kino Ebensee
17.12. Bertholdsaal Weyer
12.1. Kasematten Wr. Neustadt
13.1. Festspielhaus St Pölten

voodoojuergens.com

Dann erzählen sie uns vom Älterwerden und von der Gentrifizierung, von Freundschaft und Liebe, von langen Nächten und dem Aufwachen danach. „Na gehma’s an, auf was worts? Die Nocht is jung, auf an Sprung...“ stößt die Nummer „Twist“ gleich zu Beginn die Tür auf; später blickt ein Paar wehmütig auf die Zeit zurück, in der alles möglich schien: „Und am End is es donn doch so, dass die Zeit so schnö varennt. Wos bleibt, des is a Vogerl in an schworzen Federkleid.“

Zumindest wurden die Jahre dazwischen gemeinsam verbracht. Der Bekannte in „Beses End“ bietet Geld und Rat, die Beziehung hat vielleicht nicht gehalten, aber sie haben einander trotzdem geliebt („Loss mas bleim“), und möglicherweise geht es, wenn man sich in „Stöckelschuach“ gemeinsam aufs Zimmer zurückzieht, auch einfach nur um’s Reden.

„Erzöhl ma dei Lebensgschicht, i werd da zuhearn“

Voodoo Jürgens Album 3 "Wie die Nocht noch jung wor" s/w Bild

Florian Lehner

„Wie die Nocht noch jung wor“ von Voodoo Jürgens erscheint am 2.12.2022 bei Lotterlabel

Musikalisch ist „Wie die Nocht noch jung wor“ mehr denn je ein Band-Album, das die Ansa Panier (Matthias Frey, Martin Dvoran, Alexander Kranabetter, Bernd Lichtscheidl, David Schweighart) als Idealbesetzung an Voodoo Jürgens’ Seite bestätigt. Eine Zirkusnummer wie „Hoiber Preis“ braucht einen windschiefen Budenzauber, einen verhatschten, genau im richtigen Maße forschen Off-Beat, um die Verkaufs-Tiraden des windigen Geschäftsbesitzers zu untermalen. Die dunkle Gaunerballade „Weida is gscheida“ kombiniert einen federnden Bass nach bester Tom-Waits-Manier mit elegischen Streichern, und im Abschlussstück „Odessa“ spricht gar erstmals die Musik alleine. Ansa Panier-Teilzeitmitglied Andrej Prozorov bläst darin seiner kriegsgebeutelten Heimatstadt einen Trauermarsch auf dem Saxophon.

Textlich bleibt David Öllerer präzise wie eh und je. Nie verwendet er die Dialekt-Ausdrücke als reine Marker, um ein Milieu herbei zu beschwören, vielmehr denkt er sich sehr genau in seine Charaktere hinein. Wenn dann also der Betreiber der „Spinnerin“ die Leute mit teuflischem Lachen in seinen Laden lockt, sitzt jedes Wort: „Wer wü, wer mog, wer hot no ned, gleich san de wormen Semmerln weg. Diese Male Pumperness, Sie wissen ja, wie schnell des geht.“

Auch, wenn Voodoo Jürgens den verschiedenen lyrischen Ichs seinen eigenen Humanismus natürlich mit-einschreibt und mit „Zuckerbäcker“ sogar das eigene Leben nach seiner abgebrochenen Lehre als Alternativ-Karriere imaginiert („I hätt immer gern gsungen, jetzt schrei I mit die Lehrbuam“), wird es nie mehr so persönlich wie früher etwa in „Tulln“, der Ballade über seine niederösterreichische Jugend. Der Respekt und die Zärtlichkeit mit den erzählten Geschichten sind seine Art, sich auszudrücken. In gewisser Weise gibt sich die neue Platte einen Tick versöhnlicher als ihre Vorgänger. Die Beziehung ist vielleicht nicht mehr zu retten, der Zuckerbäcker wird den Traum von der Künstlerkarriere nicht mehr wahr machen, aber diesmal geht zumindest niemand mit einem Holzbein heim.

Wie verhält sich also die „Nocht“ zu den Alben Eins und Zwei? Eine Fortschreibung in neuen Kapiteln, auf jeden Fall. Eine ebenso liebevolle Charakterstudie, die im Kleinen das Große findet, ohne Zweifel. Der Abschluss einer Trilogie, vielleicht.

Nehma ma sich a Flaschl aufs Zimmer mit, und die Wöd schaut anderst aus.
(„Stöckelschuach“)

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