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Die Toten Hosen am Lido Sounds 2023

Cherie Hansson

Herzsonnenbrillen und Fußballshorts: Der Samstag am Lido Sounds

Vergangenheit und Zukunft am neuen Festival in Linz. Das Bisschen-Was-Von-Allem mit Wanda, Juju, Sir Chloe und den Toten Hosen.

Von Christoph Sepin

Feel Good Nikola Tesla Quote of the Day: Möchte man das Universum verstehen, dann muss man in Energie, Frequenz und Vibration denken. Diesem Zitat hat sich der Musiker Barns Courtney kürzlich bedient, beim Versuch, das zu beschreiben, was Menschen zu Konzerten bringt und warum sich das alles so gut anfühlt. Eine ganze Welt voller Teilchen, die sich mal langsamer, mal schneller und in Linz gerade recht gut gemeinsam im Takt bewegen.

Eine aus der Zeit gefallene Beschreibung: „good vibrations“ gibt’s das ganze Wochenende schon am Lido Sounds zu spüren. Zum ersten Mal findet das neue Festival am Urfahraner Markt statt, zwischen Donau und Appartementblocks, ein paar schöne Minuten Spaziergang von der Linzer Altstadt entfernt.

Publikum am Lido Sounds 2023

Sebastian Neugebauer

Es ist eben das allererste Lido Sounds. Deswegen kommt uns allen, die hier drei Tage verbringen die Aufgabe zu, zu bestimmen, was das denn überhaupt für ein Festival ist. Ist das eher zum Entspannen? Ist das ein Party-Festival? Eine Rock- oder Pop- oder HipHop-Sache? Die Antwort, wenn man sich am Gelände umhört, ist eine zuerst langweilige, aber dann schlüssige: es ist ein bisschen was von allem. Es ist smooth (langsame Vibrationen), dann wieder ekstatisch (schnelle Vibrationen). Es ist das, was schon lange als Zukunftsszenario prognostiziert wird und mittlerweile zur Gegenwart geworden ist: das Lido Sounds ist das von Genres losgekoppelte Festival. Es geht hier, wie in allen Playlists am Handy drauf, um Vibes und nicht um strikte Musikrichtungen.

Kann das denn sein, dass wir in Zeiten, in denen sich Menschen vermehrt über ihre Unterschiede, als ihre Gemeinsamkeiten identifizieren, einen Ort haben, an dem alle miteinander können? An dem sich Leute auf Juju genauso freuen, wie auf Wanda? Es ist ein Widerspruch, dass ein Festival, das sich durch charmantes Understatement auszeichnet, auf die größenwahnsinnige Musiker der Toten Hosen setzt? Nein, eben, weil das Regelwerk ja gerade noch geschrieben wird.

Beatsteaks am Lido Sounds 2023

Andreas Graf

Beatsteaks

Und da ist Platz für Vergangenheit (Beatsteaks) und Zukunft: Sir Chloe ist so ein future Superstar, spielt bei brütender Hitze auf der größeren von zwei Bühnen, dreht sich um die eigene Gitarre, der Schlagzeuger trägt ein Lollapalooza T-Shirt und irgendwie passt das schon gut so. Oben drüber stehen Anrainer*innen auf ihren Balkonen und schauen zu, was unten passiert. Haben vermutlich und hoffentlich Wohnungsparties, Grillereien und Freund*innen eingeladen. „Endlich passiert wieder was in Linz“, hört man öfter, obwohl hier eh im Wochentakt ein fantastisches Fest stattfindet. Lido ist der Strand, Lido ist LInz an der DOnau, aber Lido kann auch Alliteration sein. Hier steht das als Abkürzung für: Liebe Ist Da Oben.

Sir Chloe am Lido Sounds 2023

Andreas Graf

Sir Chloe

Ja, es fühlt sich an wie ein Festival, auch wenn es mitten in der Stadt ist. Und lässt uns fragen: was ist denn ein Festival überhaupt? Gut, hier wird nicht gecampt und in Zelten geschlafen, aber auch hier ist der Akku fast aus, der T-Shirt mal nass und der Boden manchmal die bequemste Sitz- oder Liegegelegenheit.

In der Musiktherapie ist das gemeinsame Besuchen von Konzerten die Königsklasse. Katharsis zur Problembewältigung, zusammen mit anderen sein, mit all den anderen vibrierenden Teilchen und ihren vibrierenden Körpern. Das heilt, das weiß die Wissenschaft und das wissen alle, die auf Konzerte gehen. Jemand hat mich einmal gefragt: Warum stehen Menschen bei Konzerten eigentlich immer alle in einer Reihe, als würden sie im Theater sitzen? Das ist hier nicht der Fall. Und das ist ein Qualitätsmerkmal.

Zukunft, Vergangenheit und alles mittendrin: in der ersten Reihe findet sich das Symbolbild für den Samstag am Lido Sounds: ein junger Mann mit Sonnenbrille in Herzform (wegen der Liebe) und Fußballshorts vom FC Chelsea (wegen den Beatsteaks und den Toten Hosen). Ein Festival für Liebhaber*innen, bei dem die Schlange beim Essensstand, wo man sich Bowls holen kann, zeitweise länger ist, als beim klassischen Pommesstand.

Menschen wollen feiern: um 16 Uhr, wenn bei anderen Festivals erst langsam die Leute in Richtung Bühne spazieren, ist hier der Wavebreaker bei den Beatsteaks schon voll. Rock’n’Roll als Warm-Up für die unzähligen Toten Hosen-T-Shirt-Trägerinnen, die am Wochenende ganz Linz bevölkern. Und drüber, im Zelt, auf Bühne Nummer 2 auch vor tausenden Menschen der Rapper Majan, der das Credo vom Samstag in Songform zusammenfasst: lebe in den Tag hinein. Lido heißt hier: Linz Ist Der Ort.

SDP am Lido Sounds 2023

Andreas Graf

SDP

Da muss es dann auch Momente geben, in denen das L für „leider“ steht. SDP aus Berlin sind eine Band für Menschen, die folgende Lyrics okay finden: „Frauen sind wie Wesen von ’nem anderen Planeten, es ist so wie mit Chinesen ich hab kein Plan wovon die reden“. Das Lied heißt „Männer und Frauen“, tatsächlich. Aber bestätigt die alte Weisheit: es muss manchmal traurig sein, damit das Schöne danach noch schöner wird. Wie bei Anna Calvi am Freitag als es fürchterlich regnete, die Sonne punktgenau zu ihrem ersten Song durch die Wolken blitzte.

So ist es Marco Wanda, der die Stimmung umdrehen soll: „was für ein leiwandes Festival“ schreit der zu Beginn des Wanda-Sets teils zu sich selbst, teils zu tausenden, sehr, sehr vielen Menschen. So schön hat das selten alles ausgesehen, ein wieder blauer Himmel, eine Band, die es liebt, eine Crowd, die das noch mehr tut. Wanda ist pure Emotion und eigentlich unmöglich zu umschreiben, zumindest mir. Deswegen machen sie es uns leichter: Zur Zugabe gibt’s „Lithium“ (Nirvana) auf der Bühne mit Marco (Wanda) singen da Arnim (Beatsteaks) und Campino (Tote Hosen). Ja, das ist passiert.

„Lido Schatzi“ und „Mach was du willst“ bei Wanda, fast zeitgleich rappt Juju mit ihrem Fan Vanessa aus der Crowd auf der zweiten Bühne zusammen, als ob es um alles geht. Widersprüche sind das nicht, wie eh schon erwähnt, irgendwie ergibt alles ein Gesamtkonzept. Fragt man Leute, wofür das L in Lido steht, sagen die allermeisten „Liebe“. Weil so simpel ist es manchmal und so simpel muss es hier auch sein.

Wie bei den Toten Hosen, bei denen aus dem Widerspruch Konfrontation wird. Songs werden hier nicht performt, sie werden geworfen, hin zu den Leuten, die schon seit Tagen in Linz sind, um Campino zu sehen. Bengalische Feuer werden gezündet und am Ende gibt es sogar noch den Hit der Anderen, den „Schrei nach Liebe“ der Ärzte. „Liebe Straßenklimpererbande“, sagt Campino verschmitzt.

Die Toten Hosen am Lido Sounds 2023

Cherie Hansson

Und das bleibt von Tag 2 am Lido Sounds: Erinnerungen, die jetzt gerade noch sehr, sehr echt sind und sehr nahe gehen und sich bald wieder anfühlen werden, wie Träume. Ein intergenerational Festival, zu dem Eltern mit ihren Kindern gehen, für viele mit denen man redet das allererste Festival, für andere das hundertste. Ich hab noch nie so oft an einem Tag den Satz „Das ist super!“ gesagt. Wo die Liebe schön ist, ist auch das Leben schön.

Am Sonntag ab 13 Uhr:: FM4 Festivalradio live vom Lido Sounds

Am Sonntag melden wir uns ab 13 Uhr live aus Linz ! Mit jeder Menge Interviews, Livesongs und Stimmungsberichten von Österreichs jüngstem Festival.

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