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Void

David Višnjić

Blackest ever black: Der Abschluss des Donaufestivals 2024

Nackte Körper, faszinierende Substanzen, nachtschwarze Denkerelektronik, dröhnende Marmorwände: Autechre, Maya Shenfeld und Joshua Serafins Performance „Void“ am zweiten Wochenende des Donaufestivals.

Von Katharina Seidler

„Community of Aliens“, so lautete dieses Jahr das Motto des Donaufestivals, und die zur gleichen Zeit eröffnete Kunst-Biennale in Venedig spürt mit ihrem Thema „Foreigners Everywhere“ ähnlichen gesellschaftspolitischen Tendenzen nach. Jede:r ist anders als der Nächste, immer und überall, so die Grundannahme, und in diesem Anderssein liegt die Möglichkeit einer Gemeinsamkeit. Passend dazu sucht Joshua Serafin in der Performance „Void“ gleich nach einer völlig neuen Weltordnung, einer queeren* Utopie jenseits binärer Schubladensysteme, und dementsprechend war das Stück in den letzten Wochen im Rahmen von beiden eingangs erwähnten Events live zu erleben.

Ein Erlebnis ist „Void“ auch tatsächlich. Schon die in den ersten Sitzreihen verteilten Regenponchos weisen darauf hin, dass das Niederreißen bestehender Systeme nicht gesittet und schmerzfrei über die Bühne gehen wird; und wirklich ist die dargestellte Geburt einer neuen Gottheit, die ihren Ursprung in vorkolonialen animistischen Mythen des philippinischen Archipels hat, eine gewaltige und mitunter gewaltvolle Sache.

Serafins Figur entsteigt in „Void“ einem schwarzen Loch aus zähem Schleim. Diese Substanz verfügt über stark viskose Eigenschaften, sie ist also gleichzeitig rutschig und klebrig, sie bildet Tropfen und Fäden, und wenn Serafin unter hervorgepressten Zischlauten derwischartige Drehungen vollführt, legt sich ein Kleid aus schwarzem Teer über den nackten Körper. Blinkende Leuchtstäbe, Nebelschwaden und krautige Gitarrendrones von Calvin Carrier tun ihr Übriges dazu, „Void“ zu einer der donaufestivaligsten Donaufestivalperformances zu machen, die man sich nur vorstellen kann: sinnlich und radikal, roh und rätselhaft, eine Erfahrung, die einem keine KI der Welt geben kann.

Autechre

David Višnjić

Foto-Magier David Višnjić schaffte es nicht nur, die Dunkelheit bei Autechre in tolle Bilder zu verwandeln, sondern auch, in der einzigen Sekunde Licht am Ende des Sets auf den Auslöser zu drücken.

Apropos dunkelschwarz: Im Stadtsaal spielen am Samstagabend die britischen Denkerelektronik-Pioniere Autechre traditionsgemäß ihr Set in völliger Dunkelheit. Zuspätkommende schlüpfen nur in gewissen Abständen durch einen sekundenweise geöffneten Türspalt, innen hält ein Mitarbeiter am eigens geschaffenen Posten ein Schild auf einem Holzstab vor die Notausgang-Leuchte. Der Gott, dem Rob Brown und Sean Booth seit den frühen 1990er Jahren huldigen, heißt Zufall. Nie wissen sie vorher, in welche Richtung ihre rein improvisierten, technikverliebten gemeinsamen Jamsessions aka Konzerte gehen werden, und umso schöner ist es, zu hören, wieviel frische Energie die beiden noch aus den Klangmaschinen kitzeln, die sie in- und auswendig kennen.

Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass bis heute niemand so klingt wie Autechre. Sie malen mit einer gänzlich anderen Klangpalette als die nachfolgenden Generationen Dance-Music-Intellektueller. Kein Klirren, keine scharfkantigen Sounds, keine schneidenden Synthesizer - alles bei Autechre klingt warm und satt; finster, ohne ins Noisige zu kippen, hochkomplex und doch aus der Hüfte gefeuert. In Lichtgeschwindigkeit schrauben sich beim Donaufestival DNA-Stränge aus Rhythmus durch die Nacht. Sie passieren im Vorüberfliegen Inseln aus Drum’n’Bass, 8bit oder Bass Music, lassen deren Beatgerüste aber augenblicklich in sich zusammenfallen, sobald man sie wahrgenommen hat. Die Dunkelheit im Saal, bei der jedes Handyleuchten von Umstehenden mit genervtem Zischen geahndet wird, verstärkt das immersive, konzentrierte Zuhören, zu dem Autechre ihr Publikum seit bald 40 Jahren wieder und wieder herausfordern. Pragmatischer Genrename, instinktive Erfüllung des Versprechens: Intelligent Dance Music.

In gewisser Weise ist das Set von Autechre eine Art Gegenpol zum zuvor im selben Saal aufgeführten Konzert von Maya Shenfeld, von dem FM4-Kollege Fritz Ostermayer das Folgende zu berichten weiß:

Drone ist nicht gleich Drone – es gibt dieses langsame atmosphärische Dröhnen, Wabern, Flirren und Brummen in höllischer und himmlischer Ausführung. Erstere zielt mit finsterem Rumoren auf unsere Eingeweide (Sunn O)))), zweitere will uns mit harmonischem Endloshall fliegen machen, also zu Englein. Das erhabene Gedröhn von Maya Shenfeld lässt sich eindeutig der göttlichen Sphäre zuordnen. So wie sie da starr wie eine Säulenheilige hinter ihren elektronischen Tools steht, besitzt nicht nur die Musik, sondern haben auch die Videos und überhaupt die ganze Aura ihres Auftritts etwas Sakrales und Andächtiges, als stünden wir hier nicht vor einer Konzertbühne, sondern vor einem Altar. Und das mir altem Atheisten!

Seit längerem schon frage ich mich, warum so viele Drone-Musiker:innen ihr spirituelles Heil in den elektrischen Schaltkreisen ihrer Synthesizer suchen. Bei Maya Shenfeld könnte es mit ihrer Herkunft zusammenhängen: Sie stammt aus Jerusalem, der Geburtsstätte der drei großen monotheistischen Religionen. In Israel war Maya eine bekannte Konzertgitarristin, in ihrer neuen Heimat Berlin wurde sie der Klassik zuerst mit Indie-Bands untreu, bald schon mit einem Haufen Analog-Elektronik.

Während die meisten Drone-Artists darauf pochen, dass sich ihre stehenden Sounds sehr wohl bewegten und veränderten, nämlich in sich selbst, geht es Maya Shenfeld tatsächlich um die Statik von Klangmassen. Wichtig wird da natürlich der Faktor Zeit: Was macht es mit uns, wenn wir über längere Zeit mit statischen Frequenzen beschallt werden? Im besten Fall wirken sie hypnotisch, im schlechtesten langweilen sie uns. Ich fand mich in der starren Kunst von Maya Shenfeld gut aufgehoben, will sagen wohlig eingelullt und gleichzeitig überwältigt von den Visuals des portugiesischen Experimentalfilmers Pedro Maia, der Mayas neues Album „Under The Sun“ zur Gänze bebilderte. Bezeichnenderweise mit Aufnahmen des größten und tiefsten Marmorsteinbruchs der Erde. Viel starrer als ein Felsblock geht echt nicht. Man darf sich Maya Shenfeld als schöne Marmorstatue vorstellen. Die Künstlerin hätte sicher nichts dagegen.

PÖ

David Višnjić

Eine ohnehin niemals „vollständige“ Rückschau auf ein prallvolles Festivalwochenende soll jedenfalls nicht ohne die Erwähnung des besten DJ-Sets auskommen, das Krems an diesen sechs Festivalabenden erleben durfte. Gespielt wurde es von der französisch-ghanaischen DJ und Producerin , die sich hinter den Decks als nichts weniger als eine Naturgewalt entpuppt. Ihr stilistischer Ritt über Wellen aus Rave, Dancehall, Drum’n’Bass oder sauschnellen Footwork ist der beste Beweis dafür, dass Kategorien wie „Geschwindigkeit“ (bpm) oder „Genre“ jegliche Bedeutung verlieren, wenn sie auf derart sinnstiftende Weise mit der mitreißendsten Energie des ganzen Festivals aneinander gefügt werden. Community of Aliens: Jede Musik ist miteinander verwandt.

PÖ

David Višnjić

Zum Nachhören: FM4 Im Sumpf Spezial zum Donaufestival

Mit u.a. Clipping., Anika und Mayssa Jallad im Interview:

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