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SPAfrika

David Višnjić

Do not go gentle into that good night

Politischer Techno von Speaker Music, herrlich seltsamer, digitaler Pop von Kenji Araki und die aufrüttelnde Performance „SPAfrica“ von Julian Hetzel und Ntando Cele über Trinkwasserknappheit und falsche Empathie: Tag 4 beim Donaufestival.

Von Katharina Seidler

Da sitzen wir, in bequemen Stühlen aufgereiht, und schauen auf die Bühne. Dort geht es um Rassismus und Kapitalismus und um die vielleicht wertvollste Ressource der Welt, nämlich Trinkwasser. Natürlich sind alle betroffen und alle fühlen sich schuldig, weil es uns so gut geht und anderen nicht. Genau mit dieser Betroffenheit spielt die Performance „SPAfrica“ des deutschen Regisseurs Julian Hetzel und der südafrikanischen Performerin Ntando Cele. Wenn man schon mitfühlt, dann kann man auch gleich „Tränen für Afrika“ weinen, so die Grundannahme des Stücks.

SPAfrika

David Višnjić

Ntando Cele und eine „Voluntear“ in „SPAfrica“

Trinkwasser und Tränen des Mitgefühls stehen in „SPAfrica“ als zwei Flüssigkeiten in einem bizarren Austausch. Ersteres wird in Kapstadt, in einem Township namens Langa abgezapft und nach Europa exportiert. Auf der Leinwand verfolgt man in Krems das langsame Tropfen in riesige Sammelbehälter, und umso bitterer schmeckt das wertvolle Getränk, das dem Publikum im nächsten Moment in Stamperlgläsern serviert wird. Zum Wohl, mit dem ersten „Empathie-Drink“ der Welt! Diesen „World’s first empathy drink“, abgepackt in hübsche Plastikflaschen, bekommt man im Tausch gegen Tränenflüssigkeit. Zum Abzapfen der Tränen haben die Macher:innen von „SPAfrica“ sogar eine eigene Brille zum Weinen entwickelt.

Ressourcenknappheit, Rassismus, Ausbeutung: Kunstwerke, die solche großen Themen aufgreifen, stehen bei den internationalen Kunstevents von Biennale Venedig bis Donaufestival hoch im Kurs. Ntando Cele drückt es in „SPAfrica“ noch zugespitzter aus: Die Opferrolle ist im Trend. Ihr selbst als Schwarze Performerin mit real erlebten Traumata werde seit einigen Jahren vermehrt zugehört.

Das Publikum ist bei diesen Events meist weiß, gut situiert und politisch interessiert. Probleme wie Trinkwasserknappheit kennt man nur vom Hörensagen. Nach einigen Minuten Nachdenken nach einer solchen Performance geht es weiter mit dem eigenen Alltag - und genau diese Zweischneidigkeit bringt „SPAfrica“ eindrucksvoll auf die Bühne, ohne allzu bitter zu sein, sogar mit einer Prise dunklem Humor und mitreißender Musik. „Das Lachen bleibt einem im Hals stecken“, murmelt ein Besucher.

Speaker Music

David Višnjić

Speaker Music

In seiner herausfordernden Aktualität ist das Stück von Julian Hetzel und Ntando Cele programmatisch für das Donaufestival, ebenso wie der musikalische Eröffnungsact des zweiten Wochenendes. Der US-amerikanische Autor, Theoretiker und Musiker DeForrest Brown Jr. ist in einer Doppelrolle nach Krems gereist. In einer Lecture und Deep-Listening-Session spricht er am Samstag über seine Forschung zur Schwarzen Geschichte von Techno, die er in dem Buch „Assembling a black counter culture“ dargelegt hat.

Am frühen Freitagabend konnte man Brown unter seinem musikalischen Alter Ego Speaker Music in der Minoritenkirche dabei zuhören, wie er Techno als freudvolles Rhythmusfest zelebrierte, als konzentrierten Beweis dafür, was abseits einer Aneinanderreihung von 1, 2, 3 und 4 alles möglich ist.

Speaker Music

David Višnjić

Speaker Music

Seine rasend schnellen Fingerübungen am Sampler, ausgeführt von dem charmantesten Sitztänzer des gesamten Festivals, nehmen sich wie ein einziges, afrofuturistisches Schlagzeugsolo aus. Davongaloppierende Rhythmuspatterns verschränken sich kunstvoll ineinander und erzählen von einer Zukunft, in der zwischen Miles Davis, Sun Ra und den Detroiter Techno-Pionieren von Underground Resistance keine Stilgrenzen mehr gezogen werden.

Kenji Araki

David Višnjić

Kenji Araki

Der große Jubel in der Minoritenkirche zieht sich nahtlos auch zu dem Konzert von Kenji Araki weiter. Der österreichisch-japanische Künstler hat sich ausgiebig Gedanken gemacht, wie man das oft starre Setting einer elektronischen Liveshow auf der Bühne aufbrechen kann. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass hinter ihm im lila-gelben Licht ein riesiges Leintuch als schwebendes Zelt hängt, das dem Künstler in ausgewählten Momenten als kleiner Zufluchtsort dient: „I’ve been feeling delicate“, singt er dazu. Außerdem hat Kenji Araki seinen blinkenden Sampler so positioniert, dass das Publikum seine Finger beim Spielen sehen kann; mit Ybsole und idklang hat er zudem zwei höchst unterschiedliche Gastsänger mit dabei.

Kenji Araki

David Višnjić

Kenji Araki

„If I can’t do everything, I won’t do anything”, heißt es in einem von Kenji Arakis melancholischen, digitalen Popsongs, und dementsprechend vereinen seine zwei bisherigen Alben, „Leidenzwang“ und „Hope Chess“, wie sein Konzert beim Donaufestival noisige, dekonstruierte Post-Club-Music ebenso wie unverstellt-unperfekten Emo-Pop, hybride Clubmusic mit cinematischen Klanglandschaften, durchstampft von einem Riesen in scheppernden Schuhen. Shoutouts außerdem an jene Kenji-Araki-Fangruppe, die inmitten des Sitzkreises in der Minoritenkirche aufsteht und damit die Kauernden zum Überdenken ihrer Position zwingt; vielleicht der größte Punk-Move des Festivals.

Ben Frost

David Višnjić

Ben Frost

Viel ist schon passiert und dabei ist die Nacht noch jung. Später erhält der dichte Testosteron-Drone des Australiers Ben Frost durch das Hinzuziehen eines zweiten Musikers, Greg Kubacki an der Gitarre, ein wenig menschlichere Züge als gewohnt. Die beiden Performer sehen einander an, sind sich beim Einsatz nicht ganz sicher, atmen auf, wenn der gemeinsame Absprung in ein Tal aus Crescendo klappt. Zum Post-Metal-Fest flimmert auf der Leinwand am Bühnenhintergrund wildes Feuer durch eine Eiswand. Wer noch Kraft hatte, stürzte sich dazwischen und danach noch in die hochenergetischen Sets von NAH, 33EMYBW und Evian Christ: Do not go gentle into that good night. Rage against the dying of the light.

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