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Steve Albini

Richard P J Lambert | CC BY 2.0 Deed

nachruf

Lärm, Grant, Prinzip - R.I.P. Steve Albini

Mit dem in vieler Hinsicht unvergleichlichen Steve Albini ist einer der wichtigsten Figuren des amerikanischen Hardcore verstorben.

Von Boris Jordan

Jetzt trauern alle. Nach dem Tod des herzlichen, weisen und weichen Hardcore-Sängers Gary Floyd hat die Prä-Grunge-Hardcore-Szene der USA einen weiteren, noch unverzichtbareren Protagonisten verloren: Der Musiker und „Aufnahmeleiter“ (er hasste das Wort „Producer“) Steve Albini ist diese Woche mit nur 61 Jahren in seinem Studio an einem Herzinfarkt verstorben.

Schwarz-Weiß-Foto (Ausschnitt): Richard P J Lambert | flickr | CC BY 2.0 Deed

Albini war immer klug und genau, aber anfangs im Umgang mit seiner Umwelt nichts weniger als herzlich oder weise. Seine Band Big Black verband schon Anfang der 80er Jahre mit erschreckender Konsequenz die Bestandteile, die die Undergroundmusik und den Punk in den USA für den Rest seines relevanten Daseins bestimmen sollten: Wut, Provokation und Aggressivität, eine Liebe zu analogen Klangerzeugern, Portraits von Serienmördern, Sex-Traffickern, korrupten Polizisten, wildgewordenen Vietnamveteranen und gewalttätigen Alkoholikern, all das begraben unter schmerzhaftem, ungehörtem, auf die Spitze getriebenem Lärm.

All das gepaart mit produktionstechnischen und ökonomischen Maßstäben, die Albini zeitlebens pflegen sollte: eine offene Feindschaft zur Musikindustrie, eine ebenso bedingungslose Solidarität zu den Musikschaffenden, persönliche Beziehungen und Loyalitäten, keine Verträge, keine Anwälte, keine Manager, zumutbare Preise (auch später, als er das vielleicht am sorgfältigsten ausgerüstete, analog mikrofonierte Studio der USA betrieb), keine Einmischung in die Klangvorstellung der Bands, ein hoher Arbeitsethos und Verlässlichkeit, keine Ausbeutung von Musiker:innen, was soweit ging, dass er sich auch als Berühmtheit Ende der 80er Jahre nur in Tagessätzen bezahlen ließ und keine der üblichen Produzententantiemen annehmen wollte - was im Fall von Nirvanas „In Utero“ und „Surfer Rosa“ von den Pixies Millionen ausgemacht haben dürfte.

Künstlerisch schien Albini eine kindische Freude an der Provokation gehabt zu haben, am Spiel mit den Tabus der liberalen college crowd. Wenn man was nicht sagen oder singen konnte, hat Albini es sich genüsslich auf der Zunge zergehen lassen: Mord und Zuhälterei, dysfunktionale Beziehungen, Homophobie, Misogynie, halbwitzige Rassismen wurden den Protagonisten seiner Songs in den Mund gelegt. Als Musikjournalist ließ er kein gutes Haar an irgendeiner der „aufsteigenden“ Punkbands, die sich der Industrie an den Hals warfen, als Schreiber einer gefürchteten Fanzine-Kolumne soll er von gedissten Weggefährt:innen mehr als einmal Morddrohungen und Briefe mit gefrorenen Fäkalien zugeschickt bekommen haben.

Als der zweifelhafte Ruhm von Big Black als harscheste und unhörbarste Lärmtruppe der Welt - getragen von seinen kleinen Indie-Hits „Kerosene“ und der Zerrversion von Kraftwerks „Model“ - nach Europa überschwappte, war das neugierige Publikum völlig im Unklaren, ob der Sänger dieser Zeilen auch in Wirklichkeit so ein zynischer, frauenfeindlicher und reaktionärer Ungustl war, wie all die lyrischen Personas, die er in seinen Songs auflaufen ließ. Immerhin gab es keine Fotos der drei dünnen, bebrillten Nerds, die dann auf der Bühne standen, das gnadenlos rumpelnde, verzerrte Lärmmonster Big Black.

Shellac live auf Steve Albinis Lieblingsfestival Primavera Sound:

Die nicht immer gelungene Freude an der Provokation des sturen Steve gipfelte im Bandnamen „Rapemen“ seiner frühen Industrial Supergroup, der vor allem in Europa so negativ aufgenommen wurde, dass er diesem Outfit letztlich die Karriere kostete. Später hat Albini mit der Band Shellac und ihrer weniger brachialen und verspielteren Lärmmusik diesen Erfolg wieder eingefahren und war ein seltener und gern gesehener Gast auf den Legenden verehrenden Großfestivals dieser Welt. „To all Trains“, ein neues Album von Shellac, das erste seit zehn Jahren, ist für Mitte Mai angekündigt.

Eine Verbeugung der großen St.Vincent: ihr Cover von Big Blacks „Kerosene“:

Steve Albini wird späteren Generationen vor allem als Engineer, Producer (ich weiß) und Betreiber des wunderschönen, oben erwähnten „Electrical Audio“-Studios in Chicago in Erinnerung bleiben. Neben den vielen Lärmweggefährten und/oder Bewunderern wie Jesus Lizard, Zeni Geva, Jon Spencer, Scratch Acid und den Linzern Valina haben auch sehr unterschiedliche, anders geartete Künstler:innen - wie Joanna Newsom, Cordelia’s Dad, Jason Molina, Red Krayola, Electrelane und Will Oldham - sich auf die so offenen und genauen Ohren des Meisters verlassen: Immer relativ billig (er hat dazwischen lieber auf internationalen Pokerturnieren sein Geld verdient), immer noch strikt analog (seine Studiomitarbeiter sollen hinter seinem Rücken „Pro Tools“ installiert haben, das er nie berührt hat) und immer verwunderlich zurückhaltend mit seinen eigenen Vorstellungen von Sound, wollte er vor allem aufnehmen, ermöglichen und den Vorstellungen der Musiker:innen dienen, denn: „Die Bands wissen selber am besten, wie sie klingen sollen.“

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