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APA/AFP/dpa/Christophe Gateau

interview

Rammstein-Vorwürfe: Was tun, wenn man sexuelle Gewalt erlebt?

Rund um die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann gibt es aktuell viele Diskussionen. Wir haben mit Ursula Kussyk von der Frauenberatung Notruf bei sexueller Gewalt darüber gesprochen, was man überhaupt machen soll, wenn man sexuelle Gewalt erlebt hat.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Ermittlungen rund um die Vorwürfe gegen Till Lindemann aufgenommen. Da geht es um die Bereiche Sexualdelikte und Abgabe von Betäubungsmitteln. Bei Diskussionen um Vorwürfe sexueller Übergriffe kommt immer wieder die Frage und auch der Vorwurf auf, warum die betroffenen Frauen erst viel später etwas sagen und nicht früher schon. Was bedeutet das für betroffene Frauen? Warum meldet man sich da nicht gleich? Was sind da die Beweggründe?

Ich denke mir zuerst einmal, dass man sich schämt für das, was passiert ist. Also, anstatt dass der Täter sich schämt und sich dafür verantwortlich fühlt, schämen sich die Frauen. Und sie haben sicher auch Ängste, dass man ihnen nicht glaubt oder dass das verharmlost wird. Es gibt diese drei Mythen, zu sexualisierter Gewalt: Es ist gar nichts passiert. Sie hat es selbst so gewollt. Sie ist selber schuld.

Sie leiten die „Frauen*beratung Notruf bei sexueller Gewalt" in Wien, wo Sie kostenlose Beratungen und auch rechtliche Unterstützung anbieten. Wer kann sich bei Ihnen melden?

Es können uns eigentlich alle Menschen kontaktieren, sowohl die Betroffenen als auch Familienangehörige, Freund*innen, Bekannte, Kolleg*innen. Je nachdem, was die Person dann möchte, ob sie sich nur informieren möchte, ob sie eine Betroffene unterstützen möchte oder ob sie selbst Betroffene ist, schauen wir dann, wie wir am besten unterstützen können.

Es gibt diese drei Mythen, zu sexualisierter Gewalt: Es ist gar nichts passiert. Sie hat es selbst so gewollt. Sie ist selber schuld.

Was passiert, wenn sich jemand bei Ihnen meldet? Was sind die Optionen?

Wenn es um die Frage geht, Anzeige ja oder nein, dann ist es natürlich gut, vorher zu uns zu kommen. Außer es ist ein Fall, wo man sich sofort an die Polizei wenden muss. Wenn man in Gefahr ist, dann ist das natürlich das Bessere. Wir geben dann einen Einblick, was auf die Betroffenen zukommt, wenn sie eine Anzeige machen und beraten sie dahingehend. Und wir stellen auch kostenlos eine Rechtsanwältin zur Verfügung und begleiten das Verfahren von der Anzeige bis zum Ende.

Falls man sich für eine Anzeige entscheidet, was müssen Betroffene im Vorhinein darüber wissen, was da auf sie zukommt?

Das Wichtigste ist, dass sie sich darauf einstellen müssen, dass sie vor fremden Leuten erzählen müssen, auch im Detail, was ihnen passiert ist, und dass es natürlich sein kann, oder dass es sehr wahrscheinlich ist, dass das Verfahren eingestellt wird, da die meisten Verfahren eingestellt werden in Österreich. Wenn es zu einer Hauptverhandlung kommt, gibt es natürlich auch Freisprüche, es muss nicht zu einer Verurteilung kommen. Eine Gefahr, die auch besteht, ist, dass die Frauen selber eine Anzeige kriegen wegen Falschaussage oder Verleumdung, auch wenn sie die Wahrheit gesagt haben. Die Belastung, die so ein Verfahren mit sich bringt, ist enorm.

Das klingt nach sehr großen Hürden.

Ja. Deshalb ist es uns auch so wichtig, dass Frauen da begleitet werden, psychosozial und juristisch von einer Rechtsanwältin.

Was für Beweise werden in so einem Verfahren benötigt?

Das ist schwer zu sagen, weil meistens Aussage gegen Aussage steht. Sogenannte echte Sachbeweise gibt es oft nicht. Und es ist auch bei Verletzungen so, dass, wenn jetzt der Täter unter Anführungszeichen sagt, wir hatten wilden Sex, dann heißt das auch nicht unbedingt, wenn man irgendwo eine kleine Verletzung hat, also einen Kratzer oder einen kleinen Bluterguss, dass das dann ein Beweis für sexuelle Gewalt ist. Und das macht es total schwierig. In den meisten Fällen ist es einfach so, dass die Männer, die sexuelle Übergriffe machen, gerade so viel Gewalt anwenden, wie notwendig ist, dass die Frauen sich nicht mehr wehren und das über sich ergehen lassen.

Es geht ganz viel um Druck-Ausüben und Manipulation. Entfremdung. Die Frauen in eine Situation zu lotsen, wo sie sich nicht mehr auskennen. Wo der Täter genau weiß, wie er da vorgehen möchte. Der hat ja vorher schon sein Bild im Kopf. Die Frauen sind überrumpelt und haben nicht damit gerechnet, dass ihnen das passiert. Die Täter haben das ja geplant und haben schon vorher Fantasien im Kopf gehabt, wie sie das machen, oder haben das schon gemacht. Dadurch wird er so eine Art Regisseur der ganzen Szenerie, und sie tut sich total schwer, sich da zur Wehr zu setzen. Dann wird es auch meistens noch am Anfang so hingestellt, als wäre alles nur ein Spaß und nur ein Scherz.

Wenn es dann aber ernst wird, dann geht es meistens schnell. Frauen sagen, sie haben das erlebt wie in einer Parallelrealität, wie wenn sie abgeschnitten gewesen wären von ihrer Umwelt, von anderen Menschen. Deshalb rufen auch so viele Frauen nicht um Hilfe. Sie haben wirklich das Gefühl, sie sind mit diesem Täter allein auf der Welt. Und das Ganze ist wie ein Albtraum. Währenddessen denken sie, das gibt’s nicht, das kann gar nicht sein. Und erst im Nachhinein wird ihnen dann klar: Das ist wirklich passiert. Es tun sich viele total schwer damit, dass sie sagen: Warum habe ich mich nicht mehr gewehrt? Warum habe ich nicht dies und jenes gemacht? Ja, aber das sagt sich im Nachhinein leicht.

Wir haben auch viele Fälle, wo das soziale Umfeld die Frauen einfach drängt, eine Anzeige zu machen und die dann im Nachhinein sagen: Wenn ich gewusst hätte, was da auf mich zukommt, hätte ich das niemals gemacht.

Wenn man deinen Schilderungen so zuhört, dann ist es wenig verwunderlich, dass sich viele Betroffene erst später dazu entscheiden, sich zu melden. Hat das Nachteile, wenn sich Betroffene erst später dazu entscheiden?

Nicht unbedingt. Das Wichtige ist, dass man bei der Polizei schon erklärt und dass das ins Protokoll kommt, warum man erst jetzt kommt. Wenn das nachvollziehbar ist, ist es kein Problem. Da würde ich auch sagen: Lieber überlegen, was man tut und ob man wirklich Anzeige erstatten will oder nicht, und dann erst hingehen. Wir haben auch viele Fälle, wo das soziale Umfeld die Frauen einfach drängt, eine Anzeige zu machen und die dann im Nachhinein sagen: Wenn ich gewusst hätte, was da auf mich zukommt, hätte ich das niemals gemacht.

Was muss denn passieren, damit es Konsequenzen gibt statt eines Freispruchs?

Das kommt wirklich auf die handelnden Personen an. Ich kann das nicht anders beantworten. Also es kommt darauf an, wer von der Polizei da zuständig ist. Wer dann bei der Staatsanwaltschaft zuständig ist, wer dann das Gericht leitet. Also je nachdem auch, wie nachvollziehbar das für diese professionellen Personen erscheint, was da berichtet wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Verurteilung kommt.

Klingt es nicht nach einer Lücke im System, dass da so viele Faktoren zusammenkommen müssen? Brauchen wir da nicht auch eine Systemveränderung, die das betroffenen Personen leichter macht?

Na ja, also ich würde sagen, die Rechtslage ist okay. Da hat sich wahnsinnig viel getan in den letzten Jahrzehnten. Aber was vielleicht wirklich noch fehlt, sind Schulungen fürs Gerichtspersonal, damit die sich ein bisschen damit auseinandersetzen können, was das bedeutet, wenn man so etwas erfährt und was das für Folgewirkungen hat, und vielleicht dann ein besseres Verständnis haben in den Verfahren. Das würden wir uns wünschen.

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