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OXENFREE II: Lost Signals

Night School Studio

Game

Verflixte Fortsetzung: „Oxenfree 2“ kommt nicht ans tolle Original ran

Anfang 2016 hat das mysteriöse Coming-of-Age-Drama „Oxenfree“ frischen Wind in die Gattung der erzählerischen Games gebracht. Einige Jahre später tut sich das zuständige Indie-Studio schwer, an ihr sehr gutes Debüt überzeugend anzuknüpfen.

Von Robert Glashüttner

Alte Geräte haben etwas Enigmatisches. Sie kommen aus einer anderen, vergangenen Zeit, sie basieren oft auf überholten Technologien und bergen gerne Geheimnisse. In vielen Fällen lassen sich diese Geheimnisse durch das Lesen einer Betriebsanleitung oder dem Fragen von Personen, die sich damit auskennen, lösen. Doch damit ist es nicht immer gleich getan. Außerdem wollen manche Rätsel nicht gelöst werden, denn sie bieten die perfekte Basis für mysteriöse, vielleicht sogar unwirkliche, unglaubliche Geschichten.

Die Popkultur liebt die Kombination aus Geistergeschichten und Haushaltselektronik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Man kennt das: Hinter Röhrenfernsehern lauern Dämonen, auf halb vergilbten Magnetbändern spukt es und auf bestimmten Radiofrequenzen lassen sich Tore zu anderen Dimensionen öffnen. Letzteres hat vor siebeneinhalb Jahren das unkonventionelle erzählerische Game „Oxenfree“ bewiesen. Darin spielt man das Teenager-Mädchen Alex, das mit vier Freund:innen auf einer ehemaligen Militärinsel eine weitgehend harmlose Sommernacht am Lagerfeuer verbringen möchte. Doch statt jeder Menge Alkohol, kommunikativen Banalitäten und Coming-of-Age-Sticheleien folgt eine übersinnliche, existentielle Nacht, die die Regeln von Physik und Wahrnehmung neu schreibt.

Radio gaga

„Oxenfree“ brachte Anfang 2016 frischen Wind in das damals noch junge Walking-Simulator-Genre, wo keine taktilen oder intellektuellen Herausforderungen im Vordergrund stehen, sondern man sich als Spieler:in aufs bloße Erleben der Geschichte konzentrieren kann. Ebenso innovativ wie umstritten war das Kommunikationssystem des Spiels: Alex konnte in Gespräche immer (mit jeweils bis zu drei verschiedenen, wählbaren Reaktionen) reingrätschen, andere Figuren unterbrechen - oder auch nichts sagen. Diese Unterhaltungen waren dynamisch, aber auch chaotisch. Nicht selten haben zwei oder sogar drei Figuren gleichzeitig geplappert und damit dem ansonsten mysteriösen Vibe des Spiels eine konterkarierende, ebenso nervige wie banale Komponente verliehen.

OXENFREE II: Lost Signals

Night School Studio

Der Star von „Oxenfree“ war aber der Radioempfänger (zunächst UKW 88-107 MHz, und im späteren Verlauf des Spiels sogar 50-150 MHz), den Alex mit einem einfachen Knopfdruck aktivieren konnte. Dieser Empfänger hatte vielseitige Funktionen und bot zahlreiche kleine Geheimnisse und Details: Man konnte mit ihm Touristeninformationen und Piratenstationen abhören, Türen öffnen, Geister beschwören. Wie, wen und warum, das hat sich uns im circa fünfstündigen Durchlauf der Geschichte nach und nach erschlossen.

Lost Signals

Etwas spät legt das kalifornische Indiegames-Team Night School Studio nun den zweiten Teil von „Oxenfree“ vor, der visuell und spielerisch recht nahtlos ans Original anknüpft. Die fünf Teenager sind nicht mehr am Start, dafür zwei Figuren circa Mitte 30, die erstaunlich durchschnittlich, teils langweilig sind. Jacob und Riley (die man spielt) finden sich auf einer weiteren Insel nicht unweit von Edwards Island zusammen, dem Austragungsort des ersten Spiels. Beide bekommen den Auftrag, vier Empfangsmasten auf Anhöhen zu platzieren, um seltsamen Frequenzen auf die Schliche zu kommen.

„Oxenfree 2: Lost Signals“, entwickelt von Night School Studios, ist im Vertrieb von Netflix Games für Android und iOS erschienen (kostenfrei mit Abo) sowie für Windows, Mac, Switch und PS4/5.

Zusätzlich zum Radio gibt es diesmal auch ein Walkie-Talkie, das man aktiv zum Sprechen mit anderen Figuren nutzt, aber mitunter auch Gespräche von anderen mithört. Wir erfahren von einer Art Sekte, die auf dieser Insel wohnt und dubiose Pläne hat, die mit den Geistern von „Oxenfree“, Teil 1, zu tun haben. Übrigens weiß Co-Protagonist Jacob bereits vorab über die übersinnlichen Wesen und ihre Geschichte Bescheid und setzt damit vieles voraus, das im Originalspiel dramaturgisch behutsam eingeführt und erst nach und nach erzählt wurde.

Platte Figuren, fehlende Motivation

Im Gegensatz zu den fünf Teenager-Figuren, die klare Motivationen (Party auf der Insel gepaart mit viel Neugierde) mitgebracht hatten und miteinander in unterschiedlichen zwischenmenschlichen Beziehungen standen, bringen Riley und Jacob nichts dergleichen mit. Sie sind einfach da, haben diesen gemeinsamen Job und müssen sich deshalb zusammenraufen. Trotz ihres beginnenden mittleren Alters werden die beiden mit derselben Schnoddrigkeit und Oberflächlichkeit in Szene gesetzt wie die Teenies. Man interessiert sich für diese Figuren nicht, und doch wird man durch das Wesen des Spiels ständig auf sie und ihre profanen Dialoge zurückgeworfen. Erzählungen zu persönlichen Familiengeschichten und selbst Zeitsprünge in Vergangenheit und Zukunft - Dimensionswechsel und Geisterspuk sei Dank - können da auch nicht mehr helfen.

OXENFREE II: Lost Signals

Night School Studio

Durchschnittlich-konservative Fortsetzung

Spielerisch pendelt „Oxenfree 2“ zwischen träge ablaufenden Geh- und Kletterpassagen und - mittlerweile leider viel zu erwartbaren - Geisterbegegnungen (inklusive Tumulten und vorübergehenden Besitzergreifungen) hin und her. Das Radio kommt unverständlicherweise seltener zum Einsatz als im ersten Teil: Die Touristen- und Piratenfrequenzen etwa wurden abgeschafft, und damit hat man als Spieler:in viel weniger Anreiz, sich immer wieder durch die Frequenzbänder zu hören, um Eastereggs und Hinweise zu entdecken. Das Walkie-Talkie kann diesen Mangel nicht ausgleichen, im Gegenteil: Es ist ein recht einfältiger Ersatz für ansonsten nicht vorhandene Figuren, zu denen man noch weniger Beziehungen aufbauen kann als zu jenen, die man sieht und spielt.

Nach über sieben Jahren Wartezeit und einem tollen, spannenden Originalspiel als Vorlage hat man sich weitaus mehr erhoffen dürfen. „Oxenfree 2“ traut sich nicht, vom Urkonzept abzuweichen und schafft es mit diesem konservativen Ansatz gerade mal so, ein unüberraschender, durchschnittlicher Nachfolger zu sein.

Der enttäuschende zweite Teil mindert natürlich nicht das wirklich empfehlenswerte Original: „Oxenfree“, sein sonderbarer Vibe, die seltsame Insel, das Friemeln an den Frequenzen, das Lernen über den Ursprung der Geisterdimension, der fantastische Soundtrack und die coolen Glitch-Effekte sorgen auch bei einem Wiederspielen immer noch für ein überzeugendes Erlebnis.

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