Was euch exotisch vorkommt, ist für andere bittere Realität
Eine Kolumne von Todor Ovtcharov
Nein, ich habe noch nie so einen Abenteuerurlaub gemacht, ich habe viel zu viel Angst, dass ich sonst diese Kolumne nie mehr weiterschreiben könnte. Viele Menschen stehen aber darauf. Und wenn sie kein Geld für Südafrika haben, fahren viele nach Osteuropa.
Radio FM4
Es gibt Tourist:innen, die sich gerne Plattenbausiedlungen in, zum Beispiel, Polen anschauen. Sie gehen herum und wundern sich, dass Menschen so leben können. Wenn man wohlhabender ist, dann fährt man gleich in die Favelas in Brasilien, um dann stolz seinen Freunden zu erzählen, dass man lebend zurückgekommen ist.
Ein österreichischer Bekannter von mir erzählte mir, wie gerne er Roma-Ghettos in Rumänien besucht. Für ihn sind sie ein Symbol von Romantik und Freiheit. Ein Denkmal des freien Willens, so zu leben, wie man möchte. Als er mir das erzählt hat, dachte ich an einem Vergleich zwischen Haushunden und Streunern. Haushunde sind gekämmt, geimpft und sauber. Streuner sind zerstreut und voll mit Flöhen. Doch trotzdem sieht man in den Augen der Haushunde den Willen, der Luxusleine zu entkommen. Sie würden gerne in den Matsch springen, ohne Angst, getadelt zu werden, sie würden in der Sonne mitten auf der Straße liegen, frei mit dem einen Hund oder der anderen Hündin Liebe machen und lustige oder sogar gefährliche und bissige Rudel bilden. Streuner hingegen schauen ihre Hausbrüder und -schwestern mit traurigen Augen an und träumen davon, regelmäßig gefüttert oder gestreichelt zu werden. Sie träumen davon, in den kalten Winternächten nicht allein auf der Straße schlafen zu müssen.
Deshalb, liebe Hörerinnen und Hörer, denkt daran, dass das, was euch exotisch vorkommt, für andere die bittere Realität ist.
Denn wir alle gehören zur Erde dazu – selbst die blutdurstigen Haifische.
Publiziert am 19.07.2023