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Fotocollage Robbie Williams und Harry Styles

Robbie Williams: APA/AFP/Ritzau Scanpix/Tim Kildeborg Jensen // Harry Styles: APA/AFP/VALERIE MACON

Von Robbie und Harry

Harry Styles hat ein großes Sommerkonzert im Wiener Ernst Happel Stadion gespielt, Robbie Williams musste seines auf der Kärntner Burg Hochosterwitz absagen. Gedanken zu beiden Auftritten gibt’s (trotzdem), vor allem zur Frage: Was ist ein männlicher Popstar 2023?

Von Lisa Schneider

Eines der Lieder, das laut durchs Stadion schallt, bevor Harry Styles am 8. Juli kurz vor 21.00 die Bühne des Ernst-Happel-Stadions betritt, ist „Angels“ von Robbie Williams. Ist das schön und ist das kitschig, ist das 90er-Jahre-Supergau, ist das Wahnsinn-wie-alle-mitsingen-auch-noch-so-viele-Jahre-danach. Keine Ahnung, wie sehr Harry diese Lieder selbst ausgesucht hat, die da als Warm-Up laufen, er hört sie jedenfalls, während er backstage wohl noch ein paar Klimmzüge macht und viel Wasser trinkt.

Vielleicht denkt er kurz die logischen Schlüsse, denkt an die Boyband-Vergangenheit, die ja auch Robbie mal geprägt hat. Harry muss weiterhin zumindest einen Song von One Direction im Programm haben, es ist bittererweise das Lied, das den Menschen an diesem Abend im Stadion fast das meiste gibt. Vielleicht hat er auch an Robbie gedacht, als er sich sehr ähnliche vogelartige (sind das jetzt auch Schwalben oder nicht?) Kreaturen auf die linke und rechte Brust hat tätowieren lassen, die trägt Robbie schon seit vielen, vielen Jahren unter Brusthaar und Goldkette. Robbie Williams hat im Mai schon zwei ausverkaufte Wiener Stadthallen-Konzerte gespielt, sein Konzert am Fuß der Burg Hochosterwitz in Kärnten musste witterungsbedingt kurzfristig abgesagt werden. Die Menschen wären atemlos gewesen, wie bei Harry - und doch ganz anders.

Robbie, bad forever

Robbie Williams ist jetzt 49 Jahre alt, 1990 ist das Jahr, in dem er mit Take That berühmt wird. Er ist der Quengel und der liebe Draufgänger, früher hätte man wohl „bad boy“ gesagt, immer ein bisschen drüber. Dass von allen gerade er die steilste Solokarriere hinlegen wird, hätte so vielleicht niemand gedacht - außer ein Mensch namens Guy Chambers, der immer schon ziemlich viel mehr über Pop und darüber, wie Popsongs sein müssen, gewusst als andere. Er schreibt Robbie in weiterer Folge Werke ohne Kunstfehler, Hits eben.

Man kann das eh alles schlecht finden, aber sehr weit drin im Kern von Liedern wie „No Regrets“, „Strong“ oder dann eben wieder „Angels“ sind Wahrheiten enthalten, wie sie der Mainstream (auch das ein Wort, das damals noch irgendwie mehr Bedeutung hatte) und jeder Mensch, der an Stelle des Herzens keinen Stein sitzen hat, gern mag. Und genau deshalb sind da auch Verstrickungen und Düstergedanken drin, weil niemand, der viel Erfolg hat, ein konstant schönes Leben führt: „I hope I’m old before I die“ (Zitat vom ersten Album „Life Thru A Lens“). Robbie wird auch älter, die Alben werden kurzzeitig besser, dann wieder schlechter. Der letzte Peak findet bei „Escapology“ statt (na gut, auch „She’s Madonna“ geht sich noch gut aus), und auch da heißt’s auf „Come Undone“: „I’m not scared of dying, I just don’t want to“.

Bühnenschmusen, früher

Wer erinnert sich an das hochheilige Live-At-Knebworth-Album, erschienen 2003 (im Zuge dieser Tour hat er auch in Wien Halt gemacht), eingebrannt in die Zellen vieler Menschen, die damals sehr jung, jung oder mittelalt waren? Wer erinnert sich an den Moment, als Robbie während der Performance zum oben erwähnten, in seiner Essenz vielleicht sogar allerbesten Song „Come Undone“, eine junge Frau auf die Bühne geholt hat? Sie hat ihm in Folge auf den Hintern gegrapscht, er ihr an die Brust, und dann wurde geschmust. Das hier hinzuschreiben, 2023, zwischen all den Till Lindemanns und Marterias und wie sie alle heißen dieser Welt, ist schon ein kleiner Wahnsinn. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen, immer gilt: consent is all.

Harry Styles kann und würde das niemals machen. Er ist fast beschämt, wenn ihm eine junge Frau im Publikum auf die Frage, was sie sich denn zu ihrem Geburtstag am meisten wünscht, zuzwinkert. Harry Styles, die aktuell schönste Projektionsfläche vieler Teenies in UK und darüber hinaus, Harry Styles, der proper geschulte Popstar, der einfach ein ganz anderes Publikum und selbst auch eine ganz andere Sozialisation erfahren hat.

Es ist gut vorstellbar, dass Robbie Williams in bestimmten Lebensphasen ein kleines bissi Arschloch war („I had more blondes than brunettes“). Es ist nicht vorstellbar, dass Harry Styles genug Persönlichkeit hat, ein Arschloch zu sein. Das soll nichts rechtfertigen, es ist nur eine Beobachtung. Vor allem aber ist Harry Styles ein über die Schmerzgrenze hinaus schmähbefreiter Bühnenmensch, da bewegt sich nichts in Herz oder Gesicht, ab und zu ist da zwar schon Freude am Da-oben-Stehen, aber auch die ist am Ende der „Love“-Tour im Wiener Ernst-Happel-Stadion nur mehr sanft spürbar. It’s a job.

Knistern und Distanz

Irgendjemand Schlaues hat Harry mal mit einem Roboter verglichen, und hat man’s einmal gehört, geht’s nicht mehr weg. Die Mimik bleibt sehr oft sehr eisern, die Sprüche, die Plattitüden, bei einem Großkonzert dieses Formats soll man bitte auch nicht viel anderes erwarten. Oder Moment mal, ja doch, wenn man vor 20 Jahren schon mal Robbie Williams auf ebensolcher Berühmtheitswelle genau dort live gesehen hat.

Nicht, dass die Fans die seltsame Distanz, die Harry Styles so um sich herum verbreitet, irgendwie spüren oder auch nur wahrnehmen wollen würden. Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, im Gegenteil, gerade darin lag das Schönste an diesem Harry-Abend: Das Stadion hat vibriert, dieses blöde „Knistern“ in der Luft, es war da, das Publikum war so drauf, als wär’s gerade von der Pride zurückgekehrt, Energie, Licht, es war alles Regenbogen und Glitzer und wunderschön. 13-jährige stehen hinter dir und weinen sich abwechselnd mit schluchzenden „Matilda“-Rufen die Augen aus dem Kopf, alle kümmern sich, es gibt immer Taschentücher, frisch gefüllte Wasserbecher oder grausame Federboas. Wie geht das zusammen, fragt man sich da, die Kühle und das Witzlose und das Wunderschöne und diese gute, gute Gruppe an Menschen, tolerant und jung und ziemlich sicher ziemlich viel besser als die, die vor ihnen gekommen sind. Humanisten mögen vielleicht eine Idee, richtige Humanisten auch die Menschen, die dazugehören. Und auch wenn all dieser hochtrabende Schmarrn keine Dreizehn- bis Siebzehnjährigen interessiert, ist es wahrscheinlich wahr.

Ad bissi Arschlochsein jedenfalls: Robbie hat natürlich immer sehr viel und in den besten Momenten sehr wenig von sich selbst gehalten. „So self aware / so full of shit“, später, Knebworth-Gold: „because I’m scum / Britain, I’m your son!“ Es ist möglich, dass das davon abhängt, in welchem Jahr man die ersten Musikverliebtheiten erlebt hat, prinzipiell ist es aber schon überhaupt immer eine gute Sache, wenn man das Gefühl hat, da oben steht ein Mensch.

Let Me Entertain You

Einer, der Millionen am Konto hat, aber einer, dem’s eben auch nicht so sehr gut geht immer. Einer, der zu viele Fehler macht und oft zu wenig gut ist, das Persönliche enttäuscht fast immer, das Beste davon kommt ins Lied. Einer also, der darüber singt und schreibt, der schwitzt und abgewrackt aussieht nach zweieinhalb Stunden Herumtanzen und Schreien und Singen und Posen und eh nicht nur Schmusen. Man liebt nicht weil, sondern obwohl, und wie soll man sich sonst verständig machen? Wassermelonenlieder schreiben? All das ist Entertainment, aber da, wo’s darüber hinausgeht, ist der Ort, wo’s gemeinsam nicht mehr ganz so weh tut. Deshalb schreibt hier, vielleicht schon bemerkt, noch immer ein Fan: Team Angels.

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