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Demo gegen Rammstein-Konzert in Wien

Patrick Münnich

So war die Demo vor dem ersten Rammstein-Konzert

„Keine Bühne für mutmaßliche Täter“, forderten Demonstrierende vor dem Wiener Ernst-Happel-Stadion. Die deutsche Band Rammstein gibt dort trotz schwerer Vorwürfe zwei beinahe ausverkaufte Konzerte. Neben sporadischen Mittelfingern und Wortgefechten bleibt die Situation zwischen Fans und Protestierenden vor dem Konzert ruhig.

Von Benjamin Stolz

„Dicke Titten“ steht auf dem T-Shirt des Mannes, der mit dem Polizisten diskutiert, der ihn und die anderen Rammstein-Fans wiederum bittet, rüber auf die andere Straßenseite zu gehen. „Rassentrennung“, schimpft der Mann vor sich hin und geht wieder hinüber auf seinen Platz. Auf den Schildern der ihm gegenüber Protestierenden steht: „Keine Bühne für Täter“ oder „Rammelt euch selber“. Vor dem Wiener Ernst-Happel-Station, in dem an diesem Tag die Band Rammstein das erste von zwei heftig diskutierten Konzerten gibt, sind die Fronten klar: Auf der einen, mit Metallzäunen abgegrenzten Seite, haben sich mehr als die 500 erwarteten Demonstrierenden versammelt, um gegen das Konzert der deutschen Rockband zu protestieren. Auf der anderen ziehen die rund 55.000 Besucher:innen des beinahe ausverkauften Konzerts auf dem Weg ins Stadion vorbei. Die beiden Seiten trennen die entlang der Straße aufgereihten Polizeiwagen. Etwa 170 Polizist:innen sind im Einsatz. Immer wieder bilden sich vor der abgezäunten Kundgebung Trauben von Konzertbesucher:innen, von denen manche zum Diskutieren und andere zum Stänkern aufgelegt sind.

Demo gegen Rammstein-Konzert in Wien

Patrick Münnich

Belastende Datenlage

Auf der Seite der Demonstrierenden sitzt Anna-Marie vor ein paar selbstgebastelten Schildern auf einer Gehsteigkante. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass das Konzert überhaupt stattfinden darf“, sagt sie. „Ich möchte verstehen, wie die Fans mit dieser Datenlage gewillt sind, hierherzukommen.“ Damit ist sie nicht die einzige. Seit Wochen erheben mehrere Frauen schwere Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann, manche seiner Bandkollegen und Teile der Crew. Medien wie die Süddeutsche Zeitung, der Norddeutsche Rundfunk und der Spiegel berichteten, dass junge Frauen in Rahmen von Konzerten mutmaßlich für Sex rekrutiert worden seien. Betroffene erzählen außerdem, dass es vor allem mit Lindemann, aber auch mit dem Keyboarder Christian Lorenz angeblich zu nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen gekommen sein soll.

„Wir sind heute hier, weil wir eine Kampagne gestartet haben, damit die Rammstein-Konzerte in Wien abgesagt werden“, sagt Philine Dressler, eine Sprecherin der Organisation #aufstehn. Mithilfe einer Petition, die bis dato mehr als 17.500 Menschen unterschrieben haben, wollte man die Wiener Konzerte abgesagt wissen. Politischen Druck in diese Richtung übten auch die Grünen Frauen aus, doch Anfang der Woche war es Vize-Kanzler und Kulturminister Werner Kogler (Grüne), der verkündete, dass die Regierung nicht eingreifen würde.

Auf der dunklen Seite

Bei den Fans auf der anderen Straßenseite, direkt vor dem Stadion, ist die Stimmung ausgelassen und die überwiegend schwarzen T-Shirts sind mit Rammstein-Logos oder Textzitaten wie „Manche führen, manche folgen“ bedruckt. Vor den Verköstigungszelten und Dixi-Klos sind die Schlangen lang, die Unterhaltungen heiter. Besonders viele Menschen stehen vor dem Merch-Stand, bei dem ein Erinnerungsstück in Form eines kräftig bedruckten T-Shirts 35 Euro kostet. Eine der letzten Frauen in der Schlange ist für das Konzert extra aus dem deutschen Harz angereist. Von den Vorwürfen gegen Rammstein hält Sabine wenig. „Ich bin der Meinung, dass das alles nicht so stimmt, wie es erzählt wird“, sagt sie. Fragt man Besucher:innen, wie die Vorwürfe ihr Verhältnis zu Rammstein verändert haben, schlägt einem manchmal Spott entgegen, öfter jedoch wird der aus Fan-Sicht diplomatischere Grundsatz der Trennung von Künstler und Werk bemüht. „Bei mir geht das vorbei. Ich bin wegen der Musik da“, meint eine Frau namens Lisa. „Die Probleme, die die privat haben, sind mir komplett egal.“

Eine Frage der Kultur

Zurück auf der Seite der Protestierenden wechseln sich Redebeiträge, etwa von der Regisseurin und Aktivistin Katharina Mückstein oder von Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser, mit Hip-Hop-Einlagen und kurzen DJ-Sets ab. Für Mückstein deuten die Vorwürfe gegen Rammstein über das Schicksal der mutmaßlich unmittelbar Betroffenen hinaus auch auf ein strukturelles Problem hin: „Sexuelle Gewalt ist nie ein Einzelfall, weil das in Wirklichkeit die Kultur ist, in der wir leben. Sie ist tief in diese Kultur eingeschrieben. Damit sich das verändert, brauchen wir so etwas wie einen Kulturwandel.“
Einen Wandel wünscht sich auch die demonstrierende Yvonne. Sie trägt ein logofreies schwarzes Poloshirt und ein Schild aus Pappe, auf dem „End Rape Culture“ steht. „Es ist ganz wichtig, den Betroffenen zu zeigen, dass man ihnen glaubt“, sagt Yvonne. „Es gibt viele, die ihnen glauben und es ist wichtig, ihnen das auch zu zeigen.“

Demo gegen Rammstein-Konzert

Patrick Münnich

Als die Demonstration unter Sprechchören und einer Runde Applaus zu Ende geht, ist es auch auf der Seite der Fans ruhig geworden – am Straßenrand gegenüber steht nun fast niemand mehr. Die meisten sind bereits ins Stadion geströmt oder auf dem Weg dorthin. Die Konzertveranstalterin Arcadia Music versprach im Vorhinein „sichere Shows“. Die berüchtigte Row Zero direkt vor der Bühne, für die junge Frauen angeblich ausgesucht worden seien, sollte es nicht geben, und auch die Spermakanone, mit der Till Lindemann während des Songs „Pussy“ früher symbolisch ins Publikum ejakulierte, soll laut Medienberichten zumindest bei den letzten Konzerten nicht zum Einsatz gekommen sein. Die Demonstrierenden packen ihre Schilder zusammen und eine der Organisatorinnen warnt die Anwesenden, nicht alleine zur Station der U2 zu gehen – denn dort sei es zu Pöbeleien und sogar zu Hitlergrüßen gekommen.

Nach dem Konzert wird die Stimmung vor dem Ernst-Happel-Stadion aggressiv. ORF-Reporter:innen berichten in der ZIB 3, wie sie von Rammstein-Fans körperlich und verbal angegriffen und bedroht wurden. War es bei der Demo noch friedlich abgelaufen, so entlädt sich der Zorn einiger Fans nach der Show an berichterstattenden Journalist:innen - ein Live-Einstieg muss von Polizeibeamt:innen bewacht werden.

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