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Sabrina Geißler und Martina Brunner

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#TechnoMeToo

#TechnoMeToo: Berichte über sexuelle Übergriffe in der Wiener Clubszene

Im Laufe der letzten Wochen haben sich immer mehr Frauen zu Wort gemeldet und berichteten von sexuellen Übergriffen in der Wiener Clubszene. Wir sprechen darüber mit DJ und Eventveranstalterin Sabrina Geißler und Martina Brunner von der Vienna Club Commission.

Von Alexandra Rodriguez-Breña

Der Hashtag #MeToo sorgt seit den Enthüllungen in der Filmbranche immer wieder für Schlagzeilen, nun werden Vorwürfe in der Wiener Clubszene laut: Vor drei Wochen startet Eventveranstalterin Fredi Ferkova einen Aufruf auf Instagram, ihr Erfahrungen von sexistischen Übergriffen und sexualisierter Gewalt im Kontext der Clubbing-Szene zukommen zu lassen. Das Ziel: Durch diese Sammlung aufzuzeigen, dass es sich nicht nur um Einzelfälle sondern um ein strukturelles Problem handle. Ferkova und ihr Team teilen diese Aussagen auszugsweise auf Instagram unter dem Hashtag #TechnoMeToo.

Auslöser für den Aufruf war unter anderem ein Gerichtsverfahren gegen einen Booker im März, der auch nach einem rechtskräftigen Urteil trotzdem wieder im Clubbetrieb gearbeitet haben soll. Auch Berichte von wiederholten sexuellen Belästigungen eines Wiener Clubbetreibers liegen vor. Am 18. August 2023 hat Der Standard einen Artikel zu dem Thema veröffentlicht, der einzelne Vorfälle zusammenträgt sowie über das systematische Problem der sexuellen Übergriffe in der Wiener Clubszene berichtet.

Die Vienna Club Commission ist eine Service- und Vermittlungsstelle für alle Akteur*innen im Wiener Club- und Veranstaltungskontext.

Sabrina Geißler ist DJ und Eventveranstalterin beim Kollektiv Hausgemacht.

Im Interview zum Thema #TechnoMeToo sprechen wir mit DJ und Eventveranstalterin Sabrina Geißler, sowie Vienna Club Commission Geschäftsleiterin Martina Brunner über die Dimension der Aufdeckung der sexuellen Übergriffe und darüber, welche Rolle Machtgefälle in Clubs spielen, ob und wie Awarenessteams helfen können und was man als Betroffene tun kann.

Alexandra Rodriguez-Breña: Zuallererst einmal die Frage: Wie waren die letzten Wochen für euch?

Sabrina Geißler: Fredi Ferkova hat den Aufruf gestartet, weil sich eine Frau an uns gewandt hat mit der Info, dass ein Booker und Agenturbesitzer verurteilt wurde und niemand in der Szene das weiß. Daraufhin hat Fredi diesen Aufruf gestartet. Es kamen ganz viele Meldungen rein über Clubbesitzer, DJs, Veranstalter, Booker. Alles Männer in Machtpositionen, sage ich einmal. Oder in Positionen, wo es ein Machtgefälle gibt. Und ja, es war erschreckend, was da alles zusammengekommen ist.

Wie viele Personen haben sich ungefähr gemeldet? Wie viele Antworten gab es?

Sabrina Geißler: Es waren überraschend viele. Man kann jetzt nicht sagen, ob das genauso viele Fälle waren, weil ich glaube, da waren viele Meldungen über ein und dieselbe Person dabei, von verschiedenen Personen. Im Endeffekt bleiben so fünf Personen übrig, die hier mutmaßliche Täter sind in der Szene.

Der STANDARD hat heute seinen Artikel mit umfangreicher Recherche online gestellt. Nun stellt sich die Frage, ohne jetzt von Einzelfällen zu reden: Von welcher Dimension ist hier bei #TechnoMeToo die Rede?

Sabrina Geißler: Das ist eine gute Frage. Ich denke, schon von einer ernst zu nehmenden Dimension. Eben weil es sich hier wirklich um Personen handelt, die schon lange in diesen Positionen sind, eine Gruppe besitzen, eine Veranstaltungsreihe haben. Booker sind schon namhafte Männer. Und immer wenn so etwas passiert, siehe Rammstein, ist das schon bedenklich.

Martina Brunner: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Dunkelziffer relativ hoch ist. Obwohl Hausgemacht und Fredi schon eine sehr große Reichweite auf den sozialen Medien haben, gibt es trotzdem noch viel Potential hinsichtlich der Reichweite. Besonders wenn noch andere Kollektive, andere Clubs oder andere Club Kommissionen teilen, dass man sich melden kann und auch sollte, weil da noch viel im Dunklen lauert.

Sabrina Geißler: Das denke ich auch. Der Wunsch und die Hoffnung ist ja auch, dass noch mehr Frauen sich gerade jetzt melden, vielleicht sich auch entschließen zur Polizei zu gehen. Es gibt ja auch viel zu wenige, die sich das trauen. Ob sie es jetzt unter dem Hashtag melden oder der Polizei, dass man einfach generell irgendwas tun kann. Und wir hoffen da schon, dass man jetzt hier ein bisschen eine Schwungmasse zusammenbekommen.

In welchem Bereich spielen sich die Anschuldigungen gegen die fünf Personen ab? Worum geht’s da?

Sabrina Geißler: Zum Beispiel um sehr manipulatives Verhalten in Beziehungen, was dann auch zu physischer und psychischer Gewalt geführt hat. Also wirklich in einer länger andauernden Beziehung, aber auch um Übergriffe im Rauschzustand, im Backstage-Bereich, im Club. Wir haben da sowohl den Täter, der berauscht mal übergriffig wird, als auch den Täter, der - ich möchte jetzt niemanden diagnostizieren, aber eher im narzisstischen Bereich oder soziopathischen Bereich - der wirklich mit System manipuliert und Freude daran hat.

Sprechen wir hier von persönlichen Beziehungen oder geschäftlichen?

Sabrina Geißler: Von persönlichen romantischen Beziehungen, die aber meist in einem geschäftlichen Kontext gestartet haben. Man fangt als Frau zum Beispiel als DJ an und dann entwickelt sich etwas weiter.

Der Begriff #TechnoMeToo klingt so, als gäbe es hier ein systematisches Problem. Warum ist gerade die Clubszene anfällig für sexualisierte Gewalt und Übergriffe? Ist sie das überhaupt?

Martina Brunner: Es zeigt sich schon, dass natürlich das Nachtleben andere Möglichkeiten eröffnet Diskriminierungsformen auszuüben.

Sabrina Geißler: Das Nachtleben ist prädestiniert für Rauschzustände und ich glaube, dass gerade da eben viel leichter Übergriffe passieren.

Martina Brunner: Es ist trotzdem wichtig zu sagen, auch wenn das Nachtleben prädestiniert dafür ist, ist es sicher nicht der einzige Bereich, wo systematischer Machtmissbrauch stattfindet. Es zeigt nur auf, dass wir einen Systemfehler haben, wie mit diesen Diskriminierungsformen umgegangen werden kann und aber umgegangen wird. Und das zeigt zum Beispiel auch die Causa Rammstein sehr klar, dass wir in einer Gesellschaft sind, wo die Täter-Opfer Umkehr, also das Victim Blaming, die erste Antwort von vielen ist. Es wird sofort der Täter oder der mutmaßliche Täter in Schutz genommen und dem Opfer werden Vorwürfe gemacht - bis zu den Behauptungen, die Person sei psychisch krank und Einschüchterungsmechanismen wie Unterlassungsklagen, die dann die Opfer bekommen um zu schweigen. Und das funktioniert auch. Es braucht hier einfach ganz klar einen Kulturwandel in unserer Gesellschaft. Dass ein Nein ein ausformulierter Satz ist.

Sabrina Geißler: Ja, da möchte ich vielleicht noch dazu sagen: Mein Wunschtraum wäre es ja, wenn gerade diese Szene, die ja doch sehr gute Werte lebt, sich mit den Opfern solidarisiert und einfach geschlossen beschließt, gewisse Clubs nicht mehr zu besuchen, gewisse Veranstaltungen nicht mehr zu besuchen, gewisse DJs nicht mehr zu buchen. Ja, ich weiß, es ist schwierig, Geld regiert die Welt, aber das wäre, glaube ich, meine Wunschvorstellung davon, wie man damit umgehen.

Martina, du bist Geschäftsführerin und Leiterin der Vienna Club Commission. Kannst du kurz zusammenfassen, was genau die Vienna Club Commission ist und macht?

Martina Brunner: Grundsätzlich ist das eine Servicestelle ist für alle Akteur:innen im Wiener Nachtleben, sprich für Clubbetreiber:innen und Veranstalter:innen. Im konkreten Fall geht es darum, dass wir Vernetzung schaffen für diese Akteur:innen und die auch beraten und eben auch Themen an die Öffentlichkeit bringen, die relevant sind. So wie zum Beispiel #TechnoMeToo.

Was habt ihr denn genau mit dem Hashtag zu tun? Was ist hier eure Position?

Martina Brunner: Zunächst einmal, dass wir diese Bewegung auf jeden Fall unterstützen und als etwas Positives empfinden und dass hier voller Support gezeigt werden muss von unserer Seite. Was das Ganze in unserer Arbeit ausgelöst hat war ganz einfach, dass wir uns noch einmal mehr bewusst worden sind, welche Relevanz dieses Thema einfach hat.

Was sind Lösungsansätze für euch?

Martina Brunner: Ganz konkret arbeiten wir gerade ein Workshop Konzept zum Thema Sicherheit im Wiener Nachtleben aus. Das umfasst aber nicht nur sexuelle Diskriminierungsformen, sondern auch andere wie Rassismus oder Queerfeindlichkeit. Angedacht ist auch, so etwas wie eine Meldestelle zu schaffen. Wobei hier noch abzuklären ist, dass man keine Doppelstrukturen schafft, also ob das wirklich sinnvoll ist, das bei uns anzulegen.

Sabrina, du bist DJ und auch Veranstalterin bei dem Kollektiv Hausgemacht. Bei euren Events setzt ihr auch auf Awareness Teams. Wie kann man sich die Arbeit von einem Awareness Team vorstellen? Was machen die genau?

Sabrina Geißler: Wir haben eigentlich bei jeder Veranstaltung, egal ob das eine Sexpositive-Veranstaltung ist oder eine ganz normale Techno Party, immer ein Awareness Team vor Ort. Das sorgt einfach für die Sicherheit in allen Belangen. Die sind sichtbar durch eine Lichterkette und sollten flächendeckend überall im Club unterwegs sein. Man wird auch, wenn man reinkommt, darauf hingewiesen, dass es ein Awareness Team gibt. Und egal was es gibt, ob man einen Übergriff beobachtet, sich selbst unwohl fühlt, weil jemand komisch ist oder ob es einem nicht gut geht, weil man zu viel getrunken hat oder sonst irgendetwas: Man kann die Personen jederzeit ansprechen und es wird einem geholfen.

Bei der Thematik von #TechnoMeToo geht es oft um Übergriffe, die zum Beispiel im Backstage-Bereich oder hinter der Bar zwischen dem Personal, den Betreibenden und den Veranstaltenden passieren. Ist dafür ein Awareness Team auch zuständig? Kann es da auch eingreifen und helfen?

Sabrina Geißler: Schwierig. Wir sind ja die Veranstalter:innen, die in den Club kommen um dort zu veranstalten. Es gibt wenige Clubs, die selber ein Awareness Team haben. Es sind meistens die Veranstalter, die das mitbringen. Wenn der Club als Betreiber so was nicht hat, dann ist das halt schwieriger. Das gibt es auch nicht wirklich.

Abschließend möchten wir euch noch fragen: Was kann man konkret tun, damit solche Situationen generell nicht vorkommen?

Martina Brunner: Ich verstehe, dass die Frage gestellt wird und dass man sich als Frau wenn Übergriffigkeiten passiert sind eben bei diversen Servicestellen melden muss. Aber ich glaube, die Frage muss einfach wirklich umgedreht werden. So dass nicht gefragt wird, was können denn die Frauen oder sonstige betroffene Personen tun, sondern wie können wir mutmaßliche Täter:innen soweit sensibilisieren, dass es nicht notwendig ist, dass Personen Übergriffigkeiten erleben müssen.

Sabrina Geißler: Ich würde noch gerne etwas sagen, weil das auch ganz wichtig ist. Wir haben ein Spendenkonto eingerichtet für #TechnoMeToo, mit dem wir Opfern helfen möchten wenn sie Rechtsbeistand brauchen. Ein Opfer ist bereits geklagt worden und desweiteren gibt es auch einen Bedarf an psychotherapeutischer Betreuung. Es gibt ein Spendenkonto am Instagram Account von Hausgemacht und auch von der Vienna Club Commission. Einfach nachschauen und wir freuen uns über jede Spende.

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