FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Eine weiße Schachfigur, die eine braune Schachfigur umstösst

Pixabay/jarmoluk

Schachverband schließt trans Frauen von Frauenturnieren aus

Der Weltschachverband, kurz FIDE, hat entschieden, trans Frauen aus internationalen Frauenturnieren auszuschließen. Nur eine Analyse von FIDE könne Einzelfälle zulassen. Diese Entscheidungsfindung kann bis zu zwei Jahre dauern, heißt es in einer Aussendung. An den neuen Regeln hagelt es heftige Kritik.

Von Eva Liebentritt

Bereits ab dieser Woche gelten die neuen Regeln des Weltschachverbandes FIDE. Demnach dürfen trans Frauen nicht mehr an Frauen-Wettkämpfen teilnehmen. Nur eine Einzelfallanalyse der Geschlechtsangleichung und damit ein Beschluss vom FIDE-Rat könne das Verbot aufheben. In der Aussendung heißt es: „In the event that the gender was changed from a male to a female the player has no right to participate in official FIDE events for women until further FIDE’s decision is made.”
Das Zustandekommen eines solchen Beschlusses könne bis zu zwei Jahre dauern.

Trans Frauen dürfen demnach nur mehr an gemischten Turnieren teilnehmen, die sowohl für Männer und Frauen offen sind. Eine reine Männer-Kategorie gibt es im Schach nicht.

Der Schachsport steht damit einmal mehr unter heftiger Kritik. Erst vor wenigen Wochen haben zahlreiche Frauen aus aller Welt einen offenen Brief gegen Sexismus und Übergriffe im Schachsport unterschrieben. Der Brief ist unter anderem von der französischen trans Schachmeisterin Yosha Iglésias iniitiert worden.

„Am I woman enough? These people will decide. They might need „a further analysis“. Like what kind of analysis exactly?!” schreibt die französische trans Schachmeisterin Yosha Iglésias auf X (vormals Twitter), als Antwort auf die Entscheidung des Weltschachverbands.

„So FIDE just published a list of anti-trans regulations, like it was „the biggest threat of women in chess“, schreibt Yosha Iglésias weiter und fragt sich, ob sie denn im September überhaupt spielen könne.

Kritik an den neuen Regeln des Weltschachverbandes kommt nicht nur von Spieler:innen selbst, sondern auch von nationalen Verbänden wie etwa vom deutschen Schachbund. Der österreichische Schachbund möchte dazu noch keine Stellungnahme abgeben.

Nikola Staritz von fairplay - einer Initiative, die sich für Vielfalt und Antidiskriminierung im Sport einsetzt - kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. Im Interview übt sie Kritik an der Entscheidung von FIDE und hinterfragt Geschlechterkategorien und Fairness im Sport.

Eva Liebentritt/FM4: Nikola Staritz, was sagen Sie zur Entscheidung des Weltschachverbandes, dass trans Frauen nicht mehr an Frauenturnieren teilnehmen dürfen?

Nikola Staritz: Also einerseits ist es sehr überraschend, weil meistens, wenn es um den Ausschluss von trans Menschen aus dem Sport geht, dann werden körperliche, biologische Faktoren ins Feld geführt. Und das sind jetzt gerade so Faktoren, die im Schach nicht direkt auf der Hand liegen.
Andererseits ist es natürlich wenig überraschend, weil es einmal mehr zeigt, dass diese immer nur über Körper und Biologie geführte Diskussion oft auch einfach nur ein Vorwand ist, und es da eigentlich viel tiefer um die Fragen geht: Was ist denn Geschlecht eigentlich? Wer sind Frauen und wer hat das zu definieren? Und wer sind eben keine Frauen?

Gerade im Schach, wo es nicht um körperliche Merkmale wie Gewicht, Größe etc. geht, stellt sich die Frage: warum ist das Geschlecht beim Schach überhaupt ein Faktor? Ist die Entscheidung von FIDE nachvollziehbar?

Porträt Nikola Staritz

Nikola Staritz

Nikola Staritz ist Projektreferentin bei der Initiative fairplay und betreut internationale und nationale Projekte in den Bereichen Antidiskriminierung, Antihomophobie sowie Frauen & Mädchen im Sport.

Man könnte eher sozial und soziologisch argumentieren. Es entspricht sicher den Tatsachen, dass Schach etwas ist, was sehr männlich dominiert ist, sehr männlich geprägt ist, wo Frauen viel weniger Chancen und Möglichkeiten haben und es deswegen vielleicht für Frauen, die auch als Frauen sozialisiert worden sind, schwieriger ist, in den professionellen Schachbereich zu kommen und es deswegen auch Sinn macht, dass es eigene Frauenbewerbe gibt. Wenn es wirklich darum ginge, Frauen im Schachsport zu fördern, verstehe ich nicht, warum man nicht ganz woanders ansetzt. Da geht es um Geschlechterbilder, da geht es um strukturelle Barrieren. Wenn man wirklich etwas für das Frauenschach machen wollen würde, wird man hier ansetzen und Diskriminierungen abbauen. Ich bin keine Schachexpertin, aber mir fehlt ein bisschen die Fantasie für körperlich biologische Argumente.
Ich denke schon, dass Kategorien Sinn machen würden, wenn man sie sozial denkt. Wenn man möchte, dass möglichst viele Menschen am Schach teilhaben, dann macht es schon Sinn, dass man verschiedene Kategorien macht, dass alle auf ihrem Niveau gegeneinander spielen können. Aber ich denke, dass das Geschlecht sicher nicht die relevante Kategorie ist.

In anderen Sportarten wird oft dieses Argument der Fairness vorgebracht, dass transgender Frauen einen unfairen Vorteil gegenüber cis Frauen haben würden. Wie sehen Sie das im Schach?

Ich sehe das im Schach nicht. Aber dieses Argument ist auch bei anderen Sportarten immer mit Vorsicht zu genießen, weil man das in Relation stellen muss. Welchen Anteil haben diese ganz banal körperlichen Merkmale tatsächlich im Verhältnis zu gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen? Diskriminierungen gibt es in allen Sportarten, etwa ungleiche Trainingsbedingungen und ungleiche finanzielle Bedingungen. Und wenn man alles zusammenrechnen würde, würde man eventuell draufkommen, dass diese körperlichen Unterschiede gar nicht die größten und gar nicht die einzigen Unterschiede sind, die dazu führen, dass am Ende des Tages - wie es tatsächlich oft so ist - Frauen im Sport weniger schnell, weniger körperlich u.s.w. sind.

Im Sport allgemein: Inwiefern braucht es Ihrer Meinung nach die biologische Trennschärfe zwischen Mann und Frau?

Das ist ein sehr, sehr komplexes Thema. Ich glaube, da gibt es keine einfache Lösung. Wir haben es im Schwimmen gesehen. Da hat man eine einfache Lösung versucht: dass man weiterhin klar binäre Kategorien beibehält und man Frauen und trans Frauen in der Frauenkategorie schwimmen lässt. Da hat man schon gesehen: da gibt es körperliche Unterschiede, die es vielleicht wirklich bis zu einem gewissen Grad unfair machen. Das heißt, man muss es hier komplexer denken. Generell ist es schwierig. Der Sport geht davon aus, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Und die Realität ist so dermaßen vielfältiger, dass es ganz schwierig ist, innerhalb dieses Systems eine Lösung zu finden - für trans Männer, trans Frauen, nichtbinäre Menschen, intergeschlechtliche Menschen u.s.w.

Man müsste sich vielleicht auch mal dieses Gedankenexperiment zutrauen, dass man diese Kategorien an sich in Frage stellt oder überhaupt dieses Thema Fairness im Sport mal in Frage stellt. Weil grundsätzlich ist schon zu sagen, dass der Sport an sich nicht fair ist. Es gibt einfach Menschen, die sind größer, die sind kleiner, die haben gerade beim Schwimmen relevant größere Hände. Oder im Fußball, die Torleute: wenn man da das Pech hat, dass man einfach kleiner ist, dann hat man da keine Chance. Also es ist generell so, dass unsere Körper beim Sport eine ganz zentrale Rolle spielen und das heißt: hier Chancengleichheit herzustellen, ist verdammt schwierig.

Eine Option wäre, dass man da eben kreativere Varianten findet als nur ein Ja oder Nein. Das ist in jeder Sportart sehr verschieden, weil Sportarten sehr verschiedene Voraussetzungen haben und auch sehr verschiedene Fähigkeiten, sowohl körperliche als auch taktisch intellektuelle, gefragt sind.

Bunte Schachfiguren auf Schachbrett

Pixabay/PIRO4D

Welche Auswirkungen hat so eine Entscheidung wie jetzt diese beim Weltschachverband für trans Personen?

Das Erste - und das ist das, was wir so problematisch finden - ist, dass alle Menschen, die nicht cis Frauen sind, sich wahrscheinlich denken: Im Schach habe ich nichts verloren. Schach ist kein Sport für mich. Und sie werden diesem Sport einfach fernbleiben. Und das finde ich wirklich fatal, wenn wir vor allem an den Breitensport denken, dass diese Entscheidung etwas ist, was gesellschaftliche Gruppen systematisch und strukturell aus dem Sport ausschließt.

Der deutsche Schachbund beispielsweise hat bereits Kritik an FIDE geübt und zeigt kein Verständnis für die Regeln. In Deutschland dürften auch in Zukunft trans Frauen an allen deutschen Turnieren für Frauen teilnehmen. Ist das so einfach als nationaler Verband?

Also es geht insofern schon, dass natürlich, was die nationalen Bewerbe betrifft, der nationale Fachverband das Reglement selbst bestimmen kann. Und da kann natürlich ein deutscher oder französischer Schachverband sagen, bei unseren Turnieren, die wir ausschreiben, da gibt es eine andere Policy. Wo es aber eben schwierig wird, ist eben, sobald es um internationale Qualifikationen geht, Qualifikationen bei anderen Sportarten, Olympiaden für Weltmeister:innenschaften u.s.w. Da gelten natürlich die Regulative des Weltverbandes. Und im Spitzensport spießt es sich dann ein bisschen, weil: welche Spitzensportler:in träumt nicht davon, irgendwann auch auf internationaler Bühne aufzutreten und da sich auszuprobieren? Wenn man dann sagt, wir haben da ein anderes Regulativ und damit schließen wir alle unsere Athletinnen von internationalen Bewerben aus, dann wird sich das wahrscheinlich kaum ein Fachverband so trauen.

Was braucht es für einen besseren Umgang mit transgender Personen im Sport?

Was jetzt beginnt, ist, dass es allerorten als Thema aufkommt. Was sicher auch daran liegt, dass mittlerweile Menschen, die trans sind, mehr Selbstbewusstsein gewinnen durch Entwicklungen, dass man sich nicht mehr verstecken muss. Wenn Menschen da sind und sagen Hey, wir wollen auch mitmachen, wir brauchen eine Lösung, ihr könnt uns nicht weiter ausschließen. Das Thema war ja immer da, aber wenn es nicht zum Thema gemacht wird, dann tun halt Sportverbände auch nix.

Der erste Schritt ist, dass man sich mal eingesteht, auch als Verband: Es ist ein Thema. Okay, wir haben jetzt noch keine Lösung, aber wir überlegen uns etwas. Es erwartet ja niemand, dass ein System, das über so viele Jahrhunderte auf so einer binären Basis aufgebaut wurde, sich von heute auf morgen ändert. Aber der erste Schritt wäre eben, überhaupt mal hinzuschauen und sich bereit zu machen, dass man hier Veränderungen angeht.

mehr Politik:

Aktuell: