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Buck Meek und sein neues Album "Haunted Mountain"

Shervin Lainez

Buck Meek und die verwunschenen Berge

Es darf gejodelt werden. Buck Meek ist Gitarrist in der erfolgreichen Indie-Band Big Thief. Auf seinem dritten Soloalbum spürt der gebürtige Texaner seinen Country-Wurzeln nach und versucht die Unschuld des Liebesliedes zu retten. Und: Anmerkungen zu einem viral gegangenen, rechten Protestsong.

Von Christian Lehner

Es hilft ja nichts. Wenn im Text steht, was im Text steht, lässt sich dieser Text nicht mit ein paar Erklärungen ausradieren. Es steht eben da. Oliver Anthony beklagt in seinem viralen Sensationserfolg, dem Country-Folk-Song „Rich Men North of Richmond“ nicht nur seinen sozialen Status als working poor, den die politische Elite in Stich lassen würde. Der bis vor wenigen Wochen völlig unbekannte rotbackige Folk-Musiker beklagt sich darin auch über übergewichtige Sozialhilfempfänger:innen, Steuern und eine herbeifantasierte männerfeindliche Gesellschaft. „And the obese milkin’ welfare“, heißt es im Text unmissverständlich. Und er rückt Politiker über eine Jeffrey-Epstein-Anspielung in die Nähe von Pädophilie - so wie der rechte Verschwörungsmythos QAnon. „I wish politicians would look out for miners and not just minors on an island somewhere”.

Neue Mason-Dixon-Linie und Charts-Erfolg

Wenn man die „Rich Men“ im Titel dann auch noch nördlich von Virginias Hauptstadt Richmond festmacht, ist klar, dass damit die nicht weit entfernte US-Hauptstadt Washington, D.C. gemeint ist. Doch auch hier tut Oliver Anthony seiner jetzt aller Ortens bemühten Unparteilichkeit keinen Gefallen, wenn er als Ausgangspunkt seines Vergleiches die ehemalige Hauptstadt der Konföderation wählt und so die Mason-Dixon-Linie neu zeichnet. Im Süden die Unschuld, im Norden das Böse?

Country Newcomer und Alt-Right-Liebling Oliver Anthony

AP/The Virginian-Pilot/Kendall Warner

Umstrittener Country Shooting Star Oliver Anthony

So freut sich im langsam anhebenden US-Wahlkampf vor allem das rechte Lager über den Protestsong. „Rich Men North of Richmond“ läuft als Stimmungsmacher vor TV-Debatten auf Fox News und bei Wahlkampfveranstaltungen der Republikaner. Groß gemacht wurde der Song laut New York-Times von rechten Influencer:innen und Medienfiguren. Von wem man vereinnahmt wird, kann man sich als Künstler:in nicht aussuchen, warum man aber ausgesucht wird, schon.

So wurde „Rich Men North of Richmond” zum ersten Telegram-Folk-Song der Popgeschichte. Das mit spärlichen Mitteln vorgetragene Stück verbindet traditionelle Country-Folk-Elemente mit digital verbreiteten Verschwörungsmythen und bedient sich dabei einer spätestens seit Ronald Reagan etablierten Rhetorik, wenn er im Text auf das rassistisch konnotierte Klischee der „Wellfare Queen“ anspielt.

Vor zwei Wochen stieß Anthony Taylor Swift vom Thron der US-Billboard-Charts ausgerechnet mit einer Methode, der sich auch viele der „Swifties“ genannten Fans des Popsuperstars bedienen. Der mittlerweile als altmodisch geltende Kauf und Download von Musik zählt im Bewertungsverfahren der Charts mehr als ein Stream. Anthonys Hit verkaufte sich in den vergangenen Wochen wie Moonshine-Schnaps in den Appalachen.

Es bleibt abzuwarten, ob die Karriere von Oliver Anthony abhebt, oder durch die allzu heftige Umarmung von rechts eine frühe Bruchlandung erleidet. Man möchte dem sympathisch auftretenden Rotschopf seine für sich selbst in Anspruch genommene Unbedarftheit gerne nachsehen, aber wenn er auch in Zukunft Songs wie „Rich Men North of Richmond“ schreibt, darf er sich nicht wundern, wenn er von der Alt-Right-Bewegung zum neuen Hank Williams Jr. gekrönt wird.

Der „Haunted Mountain“ des Buck Meek

Es gibt auch andere Americana-News. Buck Meek schätzt die Direktheit von Country-Musik. In seinen Songs gehe es darum, aufrichtig zu sein und Wahrheiten zu ergründen. Oder das, was wir als solche empfinden. So wird im Song „Cyclades“ eine Erinnerung zu einer identitätsstiftenden Gewissheit. Meek schildert detailreich zwei Verkehrsunfälle, in die seine Eltern in jungen Jahren verwickelt waren und die sein kindliches Empfinden geprägt haben. Da war dieser Elch auf einer sonst einsamen Landstraße im Siskiyou County, der dem Motorrad seines Vaters in die Quere kam. „No time to brake, so he closed his eyes and prayed“, heißt es in den Lyrics.

Einige Jahre später machte auf einer windigen Straße in Griechenland das elterliche Auto Frontalbekanntschaft mit einem Lastwagen: „They slid right through the truck not around or under, but in one side and out the other“. Beide Unfälle verliefen glimpflich für die Eltern. Der Haken: Immer, wenn Buck diese Geschichten beim Familienessen aufwärmt, werden sie von Mom und Dad in das Reich kindlicher Fantasie verbannt. „But they said you made that all up“. Die Schlussfolgerung im Refrain: “There’s too many stories to remember, too many stories to tell”. Erinnerungen stehen auf wackeligen Beinen. Wir alle wissen es.

Buck Meek und sein neues Album "Haunted Mountain", hier mit seiner Stamm-Band Big Thief.

Alexa Viscius

Buck Meek (r) und seine Stamm-Band Big Thief

Buck Meeks drittes Soloalbum trägt den Titel „Haunted Mountain“. Auf die Frage, wo sich denn dieser verwunschene Berg befinde, tanzt Meek beim FM4-Interview um eine Erklärung herum und meint kryptisch: „in jedem von uns!“. Meek liebt die Berge. „Man fühlt sich klein vor ihnen, was in meinem Fall gut ist“, lacht Meek. „Und sie verändern sich ständig und sind eine Herausforderung.“

Buck Meek besuchte die Alpen, die Berge Südeuropas und die von Texas. Er lebt mit seiner aus Holland stammenden Frau, der Musikerin Germaine Dunes, nördlich von Los Angeles in den Santa Monica Mountains. Das musizierende Ehepaar musste wegen der dort beinahe jährlichen grassierenden Waldbrände die Familienbleibe auch schon mal evakuieren. „Die Menschen, die hier vor der Kolonisierung lebten, legten kontrollierte Brände, um große Feuer zu verhindern, das macht aber niemand mehr und jetzt herrscht das Chaos“, so Meek mit einem tiefen Seufzer.

In Buck Meeks Musik findet sich eine Naturverbundenheit, die man auch von seiner Stammband Big Thief und den Solowerken der Sängerin Adrianne Lenker kennt. Mit Hippie-Romantik haben die Lyrics aber in der Regel wenig zu tun. Eher mit wundersamen Metaphern über menschliche Beziehungen, mit Fäulnis und Verderben, dem Blühen und Wachsen.

Good ol‘ Love Song

Beziehungen stehen auch auf „Haunted Mountain“ im Mittelpunkt. Buck Meek versucht dem guten alten Liebeslied seine Unschuld zurückzugeben. „Es gibt kaum mehr bekennende Love Songs“, so Meek. „Wir haben das romantische Konzept der Liebe gegen ein skeptisches ersetzt“.

Buck Meek und sein neues Album "Haunted Mountain"

4AD

„Haunted Mountain“ ist auf 4AD erschienen. Hier geht’s zum Interview-Podcast mit Buck Meek

Zur Vorbereitung auf „Haunted Mountain“ hat Meek einen Songwriter-Kurs besucht, veranstaltet von Luke Temple von dem man im Zusammenhang mit der Band Here We Go Magic schon einmal gehört haben könnte. „Eine der ersten Aufgaben war, einen flammenden und sehr direkten Love Song zu schreiben, der die bekanntesten Klischees bedient; so in der Art: „Ich kann nicht ohne dich leben“ und so weiter. Wir sollten den Song so schreiben, als ob wir tatsächlich fest an die Worte glauben würden. Ich habe mich der Aufgabe gestellt und mir später nicht viel dabei gedacht. Als ich das Stück jedoch meiner Frau vorspielte, war sie sehr gerührt. Das war dann ein Eye-Opener.“

Der Song trägt den Titel „Didn’t Know You Then“. Buck Meek stimmt die Verse im Interview an: „I knew the moment that I saw you, that my life would never be the same. You drew a flower on my face , my heart bruised as you flew away”.

Musikalisch legt Buck Meek eine Spur zurück in seine Heimat Texas zu den Finger Pickings, dem Pedal Steel und dem Country-Yodel. Es sind wohlvertraute Klänge der Kindheit, von denen er sich später in New York und anderswo in Richtung Punk, Alt-Rock und Folk emanzipierte. „Meine Solomusik ist eine Synthese aus all den musikalischen Erfahrungen, die ich gesammelt habe. Irgendwann kehrt man wieder zu seinen Wurzeln zurück und hat sicher auch eine andere Sicht auf die Dinge.“

Zwischen Blockhütten-Folk und Neil-Young-Session

Die Songs entstanden auf den Reisen durch die Berge, einige schrieb Meek gemeinsam mit der ebenfalls aus Texas stammenden, langjährigen Vertrauten Jolie Holland. Eingespielt hat Buck Meek das Album mit dem Produzenten Mat Davidson in den Sonic Ranch Studios in Tornilo an der Grenze zu Mexiko.

Auf „Haunted Mountain“ zerfließt der Twang der Heimat und löst sich in einer Umarmung der Welt auf. Buck Meek macht sich Sorgen um unsere Lebensgrundlagen, rettet den Love Song und erliegt trotzdem nicht der Nostalgie. Wunderlich bis wunderbar sind diese Tunes, die musikalisch zwischen Blockhütten-Folk und Neil-Young-Barn-Sessions knistern. Der Ruf der Berge, erschallt er von Buck Meek, folgt man ihm gern.

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