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Romy und ihr queeres Debüt "Mid Air"

Young

Über den Regenbogen tanzen mit Romy

Mit ihrer Band The xx feiert sie Welterfolge, mit ihrem ersten Solo-Album „Mid Air“ betreibt Romy Madley Croft aus London ein queeres Outing als Künstlerin und lädt zum nostalgischen Inklusions-Rave.

Von Christian Lehner

“Kannst du das ein bisschen lauter machen?“. Das sind die ersten Textzeilen auf Romys Debütalbum „Mid Air“. Die Bitte hat Romy im Studio während einer Aufnahme-Session an ihren Musikerfreund und Produzenten Fred Again.. gerichtet. Später beschloss sie, den Part als Intro zu benutzen.

„Lauter“ bedeutet für Romy zum einen, dass sie uns für die Länge von 11-Dance-Tracks in ihren Club einlädt. Dort feiern wir einen Rave im Stile der späten Neunziger- und frühen Nullerjahre. Es ist eine Abgrenzung zum Mumble-Indie ihrer Stammband The xx.

Zum anderen ist das „Lauter“ ein Ausrufezeichen queerer Emanzipation. Der Opener-Track mit besagtem Intro auf dem Debütalbum heißt „LoveHer“. Es ist ein Liebeserklärung an Romys Ehefrau. „Mein Coming-Out hatte ich mit 15. Mein Vater reagierte verständnisvoll“, erzählt Romy im FM4-Interview. „In der Musik hatte ich meine Queerness aber bisher noch nicht thematisiert. Es fühlte sich natürlich an, es auf dem Solodebüt zu wagen. Ich wollte einfach offen und ehrlich sein.“

„Lover, you know when they ask me, I’ll tell them / Won’t be ashamed, no, I can’t wait to tell them / Lover, I love her, I love her, I love her" – Song Loveher

Ganz in Schwarz gekleidet, mit einer silberfarbenen Prada-Gürtelschnalle als Blickfang, sitzt Romy in einem Hotelzimmer in Berlin und redet so leise, dass man im Anschluss ihre Interview-Spur hochpegeln muss. Dabei strahlt die aus dem Westen Londons stammende Musikerin über das ganze Gesicht und ist sichtlich happy mit ihrem Debütalbum.

„Menschen, die mit mir sprechen, merken schnell, dass ich eine eher zurückhaltende Person bin“, so Romy „Die Musik ist ein Ventil, mich zu öffnen. Freunde erkennen mich nicht wieder, wenn ich auf einer Bühne stehe. Sogar meine Frau war überrascht. Wir hatten uns nach der letzten The xx-Tour kennengelernt und sie hat erst unlängst ein Live-Video gesehen.“

Trance, Techno und ein bisserl Euro-Trash

Die Sounds auf „Mid Air“ führen uns zurück ins Clubleben zur Zeit der Millenniumswende. Romy war als Teenager auf Identitätssuche. Zu sich selbst und ins pralle Leben fand sie in den queeren Clubs von London – zunächst als Tanzende, dann als DJ.

„Ich war 17, als ich mit dem Auflegen begann“, erzählt Romy. „Ich habe Anfangs Rave-Anthems und viel Trance gespielt. Das konnte man mit einem Push-Button mixen und auf der Tanzfläche gingen die Arme sofort in die Höhe. Diese emotionale Momente waren wie ein Rausch für mich.“

An den melodieseligen Trance-Hadern schätzt Romy die große balearische Sehnsucht und die Popsongs, die in ihnen stecken. „Wenn du die Dance-Elemente weglässt, bleibt eine Ballade über. Der Track Silence von Delerium, von dem es auch einen Tiesto-Rmx gibt, klingt beinahe wie ein keltischer Folk-Song, wenn man ihn aus seinem Trance-Universum schält.“

Romy und ihr queeres Debüt "Mid Air"

Young

Alles schreit hier Rave, wenn auch etwas leiser. „Mid Air“ von Romy ist bei Young erschienen. Hier geht’s zum Interview-Podcast mit Romy.

Der Entschluss zum Soloalbum kam, als Romy nach der Veröffentlichung des letzten The xx-Albums vor sechs Jahren wieder mit dem Auflegen begann und dafür ihr DJ-Archiv sichtete. Zeitgleich startete sie mit dem damals noch relativ unbekannten Produzenten und Songschreiber Fred Again.. eine Songschreiber-Partnerschaft - zunächst mit Auftragsarbeiten für Popstars wie Dua Lipa, dann für sich selbst. „Ich liebe das klassische Songwriting, ich liebe die Club-Musik. Es schien logisch, beides zu kombinieren“. Als weitere Produzenten holte Romy ihren Bandkollegen Jamie xx und Stuart Prize von Zoot Woman an Bord, der zuvor schon die Regler für Größen wie Madonna bediente.

Das Ergebnis: „Mid Air“ ist eine Middle of the Road-Dance-Platte geworden, die zuhause, auf Ibiza oder in den EarPods gleichermaßen funktioniert. Tracks wie “Strong” oder “Enjoy Your Life” rollen die Genre-üblichen Vocals, Synth-Stabs, Loops und Four-to-the-Floor-Rhythmen aus, ohne den Club mit bösen Basslines oder böllernden Beats abzufackeln.

Euphorie und Melancholie

Euphorie und Melancholie halten sich die Waage. Romys Vocal-Parts klingen verträumt, sehnsüchtig und dann doch wieder voller Gewissheit über die eigenen Wünsche und Ziele. Es ist eine Herzensplatte, der man das vom Intro bis zum Schlussstück „She’s on my Mind“ anhört (noch so ein bekennender Liebestanz).

Die aus der eigenen Biografie gefütterte Nostalgie trifft auf eine Gegenwart, in der queere Menschen ihre Identitäten offener ausleben können, LGTBQ-Rechte aber weltweit unter Druck geraten, wie Romy mehrmals im Interview betont. Dennoch hat Romy kein Album mit emanzipatorischer Kampfrhetorik veröffentlicht. In ihren Songs beschreibt die Londonerin ihre Gefühle und Sehnsüchte, trauert um die viel zu früh verstorbene Mutter (Song „Enjoy Your Life“) und wünscht sich, dass wir alle das Leben als Geschenk begreifen und es miteinander feiern, nicht nur im Club, aber dort ganz besonders. So kann man mit Romy auf „Mid Air“ über den Regenbogen tanzen – alle inklusive.

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