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Bauchfreies Outfit

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Was ist tragbar? Outfit-Regeln an Schulen

Jogginghosen, bauchfrei, Kopftuch – was Schüler:innen im Unterricht anhaben oder eben nicht anhaben, sorgt wieder für Diskussionen. In FM4 Auf Laut reden wir über Bekleidungsvorschriften, persönliche Freiheit und den Wert des eigenen Outfits.

Von Barbara Köppel

Am ersten Schultag haben alle Schüler:innen des Gymnasiums Stockerau jene Zeichnung in die Hand gedrückt bekommen, die mittlerweile ganz Österreich kennt: eine neue Kleiderordnung. Die Hose darf nicht zu kurz, der Ausschnitt nicht zu groß und der Bauch nicht unbedeckt sein.

„Brustansatz“, „Schrittgrenze“, „Bauchnabel“ sind die durchwegs körperlichen Indikatoren für angemessene Kleidung auf der „Mädchenseite“. Die „Burschenseite“ thematisiert Kappen, Shirts mit umstrittenen Aufdrucken und Schuhe, an denen der Dreck hängen bleibt.

Kleiderordnung im Gymnasium Stockerau

Gymnasium Stockerau

Wer bestimmt, was Schüler:innen tragen dürfen?

Diese Vorschriften haben zuletzt für viel Aufsehen gesorgt, sind aber keine Einzelfälle und vergleichsweise harmlos.

In der Klagenfurter Privatschule St. Ursula sind sogar Leggins und Tops mit Spaghettiträgern verboten. Die Mutter einer Schülerin kritisierte diese Vorgaben letzte Woche als „faschistisch“ und rief zum Boykott auf, was schließlich dazu führte, dass ihre Tochter der Schule verwiesen wurde.

Die FPÖ Wien forderte im Frühjahr ein Jogginghosenverbot an öffentlichen Schulen und überlegte die Einführung von Schuluniformen.

Eine Salzburger Direktorin wiederum schickte vor dem Sommer einen Elternbrief aus, in dem davon die Rede war, dass freizügig gekleidete Mädchen „im Falle von Uneinsichtigkeit“ neutrale XXL-Shirts im Unterricht überziehen müssten, um sich selbst, aber auch um „Burschen und Lehrer“ zu schützen. Der zuständige Bildungsdirektor wies die Schulleitung prompt zurecht und erinnerte daran, dass staatliche Bildungseinrichtungen die Verpflichtung haben, die „Gleichstellung der Geschlechter zu fördern, insbesondere auch durch den Abbau von kulturell tradierten Geschlechterstereotypen und patriarchalen Rollenzuweisungen“.

Kleiderordnung neu: Trag, womit du dich wohlfühlst. Keine diskriminierenden Aufschriften. Sei kein Dreckspatz.

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Was sagen die Schüler:innen selbst?

Wir haben mit Schülerinnen aus dem Gymnasium Stockerau gesprochen. Eine erzählt, dass sie und ihre Freundinnen die neue Kleiderordnung „nicht so toll“ fänden. Sie selbst hätte nun schon öfter etwas anderes angezogen, als sie eigentlich wollte. Die Crop Tops bleiben im Kasten. Andere trügen aber weiterhin bauchfrei. Wer erwischt wird, „muss zur Direktorin oder bekommt eine Ermahnung“, es käme aber niemand, um nachzumessen, wie lang die Hosen sind. Manche Lehrer:innen bitten manchmal darum, sich einen Pulli umzubinden, andere kommentieren die Outfits ihrer Schüler:innen auch einfach gar nicht.

Anlassfall für die von Elternverein, Direktion, Lehrpersonal und Schüler:innenvertretung beschlossene Kleiderordnung sei gewesen, dass einzelne Schülerinnen im letzten Jahr Bikini-Tops und Hotpants in der Schule getragen hätten. Unter den Vertretern der Schüler:innen sei kein Mädchen dabei gewesen. „Das waren drei Burschen“, sagt eine der Jugendlichen. „Man muss aber dazu sagen, das waren die demokratisch gewählten Schulsprecher“, ergänzt eine andere.

Direktorin Claudia Reinsperger und die Schulsprecher lehnen weitere Statements zur Kleiderordnung auf FM4 Anfrage ab.

Sexualisierung und Bodyshaming

Paradoxerweise tragen Kleiderordnungen wie in den genannten Fällen zu unfreiwilliger Sexualisierung jugendlicher Frauenkörper oft mehr bei, als sie sie verhindern.

Wenn vermittelt wird, dass das Zeigen von nackter Haut negative Konsequenzen haben könnte, überträgt man die Verantwortung für potenzielle Übergriffe auf die jungen Frauen und nicht auf jene, die sie begehen.

Auch Bodyshaming ist eine Frage der Sozialisierung. Wer lernt, dass es sich nicht gehört, seinem Körpergefühl selbstbewusst Ausdruck zu verleihen, wird später eher Unsicherheiten entwickeln.

Als Argument für „angemessene Kleidung“ wird oft auch die Vorbereitung aufs Berufsleben angeführt. Allerdings sei die Schule für junge Menschen kein Arbeitsplatz, wie Journalistin und Ex-AHS-Lehrerin Melisa Erkurt in ihren Kolumnen immer wieder betont, sondern „ein Ort, an dem [Jugendliche] vor allem Zwischenmenschliches lernen, Werte mitbekommen, andere Lebensrealitäten kennen- und respektieren lernen. Gerade die Schule wäre also der ideale Ort, um Jungen beizubringen, dass Mädchen sich kleiden können, wie sie wollen, ohne dass das ihnen das Recht gibt, sie anzustarren, zu fotografieren, anzugreifen – zu belästigen."

Diskriminierung, Kopftuch und Kontrolle

Nicht zuletzt rücken solche oft unbeholfenen Reglementierungen auch krasse gesellschaftliche Widersprüche in den Fokus. Hier wird der Ruf nach mehr Stoff über nackten Bäuchen und Beinen laut. Dort verlangt man von muslimischen Frauen genau das Gegenteil, fordert weniger Verhüllung oder das Kopftuch abzulegen.

Der letzte Jahresbericht der Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen, kurz IBD, zeigt, dass bei mehr als einem Drittel aller gemeldeten Diskriminierungsfälle an österreichischen Schulen „dezidiert antimuslimisch rassistische und/oder islamfeindliche Diskriminierung" vorlag. Dabei gehen solche Übergriffe mehrheitlich (52 Prozent) von Lehrer:innen und Professor:innen aus.

Die 18-jährige Joud Nimra, die eine Maturaklasse in Graz besucht und Kopftuch trägt, hat das selbst erlebt. „Mein ehemaliger Sportlehrer hat mir beim Schwimmunterricht erklärt: ‚Würdest du jetzt ertrinken, ich würde dich mit diesem Burkini nicht aus dem Wasser holen.‘“ Bei weitem nicht die einzige rassistische, islam- und frauenfeindliche Aussage, die die junge Muslimin hören musste.

Sollen wir uns anziehen oder ausziehen? In beiden Fällen wird jemand dazu gezwungen, das zu tun, was er oder sie nicht will.

„Im Endeffekt geht es um Kontrolle", bringt Joud es auf den Punkt. "Denn was will man denn eigentlich von uns Schüler:innen? Sollen wir uns anziehen oder ausziehen? In beiden Fällen wird jemand dazu gezwungen, das zu tun, was er oder sie nicht will.“

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Gibt es an deiner Schule eine Kleiderordnung? Hast du schon mal Probleme oder unpassende Kommentare wegen deines Styles bekommen? Wie wichtig ist dir dein Outfit generell?

Dienstag, 26. September 2023, von 21 bis 22 Uhr auf Radio FM4

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