Goth-Pinocchio im Nahkampf

Das koreanische Action-Rollenspiel „Lies of P“ will das Erbe des Gothic-Horror-Meisterwerks „Bloodborne“ antreten.

Von Rainer Sigl

Der alte Schnitzer Gepetto macht aus einem magischen Stück Holz eine Puppe, die zum Leben erwacht und sich danach sehnt, ein echter Mensch zu sein. Wenn Pinocchio lügt, wächst seine hölzerne Nase - so kennt man das aus Carlo Collodis berühmtem Zaubermärchen „Pinocchio“.

Das koreanische Videospiel „Lies of P“ bedient sich recht frei am romantisch-melancholischen Original aus dem 19. Jahrhundert und macht aus dem Kinderstoff stylischen Gothic-Horror-Steampunk. Hier spielt ebenso eine zum Leben erweckte Puppe die Hauptrolle, allerdings in einer Welt voller verrückt gewordener Marionetten und Maschinenmonster, die alle Menschen dieser beeindruckenden Belle-Époque-Stadt massakriert haben. Mit Schwertern und trickreichen mechanischen Waffen machen wir uns auf die Suche nach dem verschollenen Puppenvater Gepetto. Auch wenn der gute, alte „Pinocchio“ da irgendwo durchschimmert, ist das Ganze hier auf jeden Fall nichts für Kinder.

„Bloodborne“ grüßt

Monster bekämpfen, Bosse erledigen, stärker werden, und das in einer beeindruckenden Gothic-Dark-Fantasy-Kulisse: Das offensichtliche Vorbild von „Lies of P“ ist das großartige „Bloodborne“ von From Software („Dark Souls“). Das 2015 erschienene Ausnahmespiel ist nach wie vor nur auf der PS4 spielbar - „Lies of P“ kann sich nun rühmen, das Erbe des immer noch einzigartigen Spiels auf anderen Plattformen zu repräsentieren.

Um es kurz zu machen: Die Qualitäten von „Bloodborne“ erreicht dieser Horror-Pinocchio nicht ganz, aber egal: Auch „Lies of P“ ist ein episch inszeniertes, herausforderndes und abwechslungsreiches Action-Rollenspiel in einer wunderbar schaurigen, architektonisch beeindruckenden und opulent gestalteten Gothic-Kulisse. Originell ist hier kaum etwas; aber als hochqualitativer Nachbau hat dieses Spiel doch seinen Reiz.

Opulenter Epigone

Dummerweise sind gerade jene Elemente, die „Lies of P“ als originäre Elemente der „Bloodborne“-Formel selbst hinzufügt, eher Verschlimmbesserungen. Vor allem die Haltbarkeit der Waffen, das Herumschrauben an den eigenen Hieb- und Stichwaffen und die extreme Wichtigkeit des perfekten Blockens fügen der Formel des Vorbilds nichts Interessantes hinzu.

Beim Schwierigkeitsgrad, traditionell hoch im Genre, wurde ein wenig übertrieben: Auch erfahrene Soulsborne-Veteran:innen werden hier auf die Probe gestellt. Wer sich davon nicht frustrieren lässt und auf ganz neue Ideen weniger Wert legt, wird mit diesem einen Hauch altbackenen Steampunk-Pinocchio durchaus Spaß haben.

Wer sich als Fan des Genres fragt, wo die frischen Ideen bleiben, sei allerdings an dieser Stelle nochmal daran erinnert, dass From Software mit „Armored Core VI“ erst vor kurzem eine diesbezügliche Antwort gegeben hat.