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A convoy of trucks carrying aid supplies for Gaza from Egypt waits on the main Ismailia desert road, about 300 kms east of the Egyptian border with the Gaza Strip

KHALED DESOUKI / AFP / picturedesk.com

Wie ist die Situation an der Grenze von Ägypten und Gaza?

ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary im Interview über die angespannte Situation an der Grenze zwischen Ägypten und dem südlichen Gaza-Streifen.

Von Simon Welebil

Neun Tage ist es jetzt her, dass die radikalislamistische Hamas bei einem Terrorangriff auf Israel über 1.400 Menschen getötet und 199 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt hat.

In der FM4 Morning Show Montagfrüh hat auch ORF-Israel-Korrespondent Tim Cupal seine Einschätzungen zur Situation zwischen Israel, Gaza und Ägypten abgegeben: Nachhören im FM4 Player hier.

Seither hat Israel den Gazastreifen blockiert, die Strom- und Wasserversorgung für 2,3 Millionen der dort lebenden Menschen teilweise unterbrochen und die Bevölkerung aufgefordert, sich in den Süden von Gaza zu begeben. Hunderte Luftangriffe wurden geflogen, mit tausenden - auch zivilen - Opfern.

Die humanitäre Lage spitzt sich immer mehr zu, denn auch im Süden von Gaza ist die Grenze nach Ägypten geschlossen - und das eigentlich schon seit Jahren. Hier stauen sich auf der einen Seite Hilfsgüter, auf der anderen warten tausende Menschen auf die Ausreise. Wir haben mit unserem Korrespondenten Karim El-Gawhary über die Grenze von Ägypten zu Gaza gesprochen:

FM4: Karim El-Gawhary, Israel hat die Grenzen zum Gazastreifen dicht gemacht. Der Gazastreifen hat aber auch eine andere Grenze, nämlich zu Ägypten. Wie sieht die Situation dort derzeit aus?

Karim El-Gawhary: So wie es ausschaut, ist die Grenze im Moment noch zu. Seit Beginn der Auseinandersetzungen rund um Gaza, nachdem diese Grenze dreimal in unmittelbarer Umgebung von israelischer Seite bombardiert wurde, hat die ägyptische Seite die Grenze zugemacht. Jetzt gibt es nun schon seit Tagen Verhandlungen darüber, sie zumindest zeitweise wieder zu öffnen. Und zwar geht es vor allem um zwei Dinge: es sollen eben erst einmal in einem ersten Schritt Palästinenser, die im Gazastreifen leben und einen ausländischen Pass haben oder Ausländer, die im Gazastreifen leben, über diesen Grenzübergang nach draußen gebracht werden.

Und zweitens: Ägypten möchte humanitäre Hilfe, die sich im Moment an diesem Grenzübergang auf ägyptischer Seite staut, in den Gazastreifen hineinbringen. Das sind die Verhandlungen, die seit einigen Tagen laufen. Die Ägypter wollten das auch miteinander verknüpfen. Sie haben gesagt Nein, wir wollen nicht nur, dass die Ausländer rauskommen, sondern wir wollen, dass das auch in Verbindung steht mit humanitärer Hilfe, die reinkommt. Man scheint sich da jetzt geeinigt zu haben.

Eigentlich sollte der Grenzübergang heute Morgen um neun aufgehen und es sollte einen mehrstündigen Waffenstillstand geben, um das Ganze dann auch abzuwickeln. Aber da scheint irgendwas schief gegangen zu sein, denn weder gibt es einen Waffenstillstand, noch ist die Grenze offen.

Eigentlich hat Ägypten ja schon vor Jahren oder eigentlich Jahrzehnten dort eine Art Pufferzone eingerichtet. Wie muss man sich das vorstellen, wie es dort aussieht?

In der Zeit vor 2013 gab es eine richtige Tunnel-Wirtschaft. Seit 2007 gibt es eine israelische Blockade des Gazastreifens. Die ägyptische Grenze ist nur temporär offen, und zwischen 2007 und 2013 gab es damals einen großen Güterverkehr, der über ein Tunnelsystem abgehandelt wurde von Ägypten nach Gaza. Das hat dann irgendwann ziemlich überhand genommen. Es gab sogar Zeiten, da konnte man in Gaza bei einer Fast Food Kette in el-Arisch eine Bestellung aufgeben und die wurde dann über die Tunnels nach Gaza geliefert. Das ist aber seit 2013 vorbei. Das ägyptische Militär hat eine unterirdische Barriere gebaut und hat auch jenen Teil der Stadt Rafah, der auf ägyptischer Seite liegt, mehr oder weniger niedergewalzt und dort so eine Art Pufferzone gebildet. Dort leben heute keine Menschen. Und damit ist das mit dem Tunnel-Verkehr natürlich auch erst einmal auf diese Art und Weise vorbei.

Jetzt gibt es eben Verhandlungen, dass Flüchtlinge mit Doppelstaatsbürgerschaften eventuell ausreisen können. Warum macht Ägypten die Grenze zum Gazastreifen nicht allgemein für Flüchtlinge auf?

Karim El-Gawhari

Manfred Weis

Karim El-Gawhary leitet seit Mai 2004 das ORF-Büro in Kairo und betreut von dort den gesamten arabischen Raum.

Ich glaube, das hat mehrere Gründe. Einer der Gründe ist natürlich eine Sicherheitsfrage. Ägypten ist kein Freund der Hamas, besonders nachdem das Militär in Ägypten die Macht übernommen hat und ganz heftig gegen die Muslimbruderschaft vorgegangen ist. Die eigene ägyptische Opposition und die Hamas sind sozusagen ein Offspring der Muslimbruderschaft. Das ist einmal dieser Sicherheitsaspekt.

Zum zweiten ist es natürlich so, dass das Schultern von vielen Leuten für die Ägypter, die selber sehr viele ökonomische Probleme haben und auch schon jetzt mehrere Millionen Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern im Land haben und auch viele Syrer und viele Iraker, dass das eben für sie wirklich ein großes zusätzliches Problem wäre.

Und das Dritte ist eher eine politische Geschichte. Es werden in Ägypten seit Jahrzehnten Szenarien diskutiert, dass es einen israelischen Plan geben könnte, die Palästinenser für immer aus dem Gazastreifen zu vertreiben in Richtung Ägypten. Und das ist sicherlich eine der Sorgen, dass die Palästinenser dann, wenn man da aufmacht, nach Ägypten kommen und dann nicht wieder in den Gazastreifen zurück können. Das sind die drei Fragen: Sicherheit, dass man es wirtschaftlich schwer packt und eben diese generelle politische Frage und diese Angst vor der Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen.

Es gibt praktisch in allen Nachbarländern Israels große palästinensische Flüchtlingslager, die inzwischen ganze Städte sind. Das heißt, Ägypten will solche permanenten palästinensischen Flüchtlingslager auch nicht auf seinem Staatsgebiet haben.

Es leben viele Palästinenser in Ägypten, aber nicht in Lagern. Wir haben keine Lagerbildung hier in Ägypten, wie wir das etwa aus Syrien oder aus Jordanien oder aus dem Libanon kennen. Aber es gibt durchaus sehr viele Palästinenser, die in Ägypten tatsächlich leben. Da würde Ägypten auf jeden Fall alles tun, um zu verhindern, dass sich da irgendwelche palästinensischen Lager bilden.

Würde die Hamas überhaupt tausende, zehntausende Flüchtlinge aus dem Gazastreifen heraus lassen? Die ist doch auch daran interessiert, dass die Menschen im Gazastreifen bleiben.

Ich glaube, all das hängt am Ende davon ab, wie groß der humanitäre Druck ist. Es gibt sozusagen politische Erwägungen und Sicherheits-Erwägungen - auf Seiten der Hamas als auch auf ägyptischer Seite. Ich glaube, entscheidend wird sein, wie groß der humanitäre Druck dann sein wird und wer das Ganze dann „ausbadet“, die israelische Seite oder eben in diesem Fall Ägypten. Und bisher ist der offizielle ägyptische Standpunkt, dass das, was sich da humanitär im Gazastreifen abspielt, dass das eigentlich im Wesentlichen vom Verursacher selbst geregelt werden sollte, nämlich vor allem von Israel, die ja seit 15 Jahren den Gazastreifen blockieren - und von der Hamas im Gazastreifen.

Ich habe jetzt aber auch schon gelesen, dass in Ägypten auch schon Vorbereitungen getroffen werden für eine Flüchtlingswelle, etwa dass in dieser Pufferzone Zelte vorbeugend aufgestellt werden, um nicht überrascht zu werden. Kannst du so etwas bestätigen?

Ich glaube, es gibt solche Dinge. Aber das Problem ist, Journalisten kommen im Moment oder eigentlich seit vielen, vielen Jahren nicht in diese Gegend. Es ist ein militärisches Sperrgebiet im Norden Sinais, und das nicht nur wegen dem Gazastreifen, sondern vor allem auch, weil es dort sehr viel Unruhe gibt, weil seit vielen Jahren der IS in diesem Nordsinai operiert und es immer wieder Scharmützel gibt zwischen der ägyptischen Armee und auch Gruppierungen, die dem IS oder anderen militanten Islamisten zugeordnet sind. Das heißt, im Grunde genommen wissen wir Journalisten eigentlich nur sehr wenig darüber, was da tatsächlich im Nordsinai abläuft. Was man weiß, kommt meistens über offizielle Erklärungen, die man von der ägyptischen Regierung oder von dem Militär bekommt. Aber es gibt keine Journalisten, die das selber in Augenschein nehmen können.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

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