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Bulgarische Flagge vor Gebäude

Ivil12/Pixabay

Todor Ovtcharov

Der Stadtrat und seine Cousins und Cousinen

In Bulgarien kommt bei Wahlen ein System zum Einsatz, das man Direkte Familiäre Demokratie nennen könnte.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

In Bulgarien wurden im ganzen Land Wahlen für Bürgermeister und Stadträte durchgeführt. Die Bewerber für die Posten waren fast 40 000 Personen. Die Bevölkerung Bulgariens beträgt offiziell 6 800 000 Personen. Man sagt, dass 3 000 000 dieser Bevölkerung im Ausland leben. Sie wählen bei lokalen Wahlen nicht, daher bleiben 3 800 000. Nimmt man von denen die Personen unter 18 und die Häftlinge, die nicht wählen dürfen, weg, bleiben 3 000 000 Wahlberechtigte. Die Wahlbeteiligung betrug 44%. Das macht 1 320 000 Personen, die gewählt haben. Das sagt aus, dass die Bewerber grob 3% von allen, die gewählt haben, ausmachen. Bei der niedrigen Wahlbeteiligung in kleinen Gemeinden braucht man fünfzig Stimmen und kann schon als gewählt gelten. Man könnte das Direkte Familiäre Demokratie nennen. Man braucht nur eine große Familie mit vielen Cousins und Cousinen. Nach der Wahl kann man sich bei der Familie mit öffentlichen Aufträgen bedanken. Kleine Gemeinden haben auch kleine Budgets, aber sie reichen aus, um eine Familie zu ernähren.

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Mein Bekannter L hat sich um den Posten eines Stadtrats in einer kleinen Stadt beworben. Er hat einige Jahre in Wien gelebt, wo er sich durchs Leben schlug. Ab und zu borgte ich ihm Geld. Man kann sich ein Bild von seinem Erfolg machen, wenn er sich gerade von mir, eurem Low-Life-Experten, Geld borgen musste. Plötzlich verschwand er, bis ich ihn neulich als Kandidat um die Macht in seiner Geburtsstadt gesehen habe. In seiner Biografie stand, dass er ein Experte mit viel internationaler Erfahrung sei. Ich bin Zeuge seiner internationalen Erfahrung, werde aber davon nicht erzählen, um die Würde der Volksvertreter nicht zu schädigen.

Stadträte werden in einem Wahlgang gewählt. Wer gewählt wurde, ist gekommen um zu bleiben. Dann darf er sein Telefon ein ganzes Mandat lang nicht mehr abheben. Was mit den Reichtümern, die den Wählern versprochen wurden, passiert, ist egal. L wird sich wahrscheinlich auch bei mir nicht melden. Das Geld, das ich ihm geborgt habe, bleibt für immer verloren. Aber ich bin auch kein Wähler. Und L hat sicherlich viele Cousins und Cousinen, die er ernähren muss.

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