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Sonja Maier in Corpsepaint

Baits/Noise Appeal

FM4 HOUSE OF PAIN

Black Metal Rainbows: Ein dunkles Genre öffnet sich

Das FM4 House of Pain sticht mit einer Spezialsendung ins schwarzweiße Wespennest. Wir berichten über neue progressive und inklusive Tendenzen in einem Reich, das bislang männliche Misanthropen dominierten.

Von Christian Fuchs

Black Metal, behaupte ich mal provokant, ist keine Radiomusik. Will er auch gar nicht sein. Das dunkelste aller Todesblei-Genres entstand nicht, um einer breiteren Gruppe von Hörer:innen zu gefallen. Die Verweigerung, die Rebellion, der Weltekel, all das ist diesem Musikstil eingeschrieben.

Das sage ich als jemand, der sich ganz weit weg von Spezialistenzirkeln (die bislang immer nur aus Männern bestanden) bewegt. Einer, der all things rock liebt, bis in die wildesten, weirdesten und härtesten Bereiche. Trotzdem ist mir das Minenfeld Black Metal immer eher fremd geblieben, zumindest in seiner puristischen Variante. Nicht nur wegen dubioser Inhalte (mehr dazu gleich) sondern auch wegen der Form. Dieses tosende Nebeneinander von ultraschnell und langsam begann der Schreiber dieser Zeilen erst sehr spät zu schätzen.

Sonja Maier in Corpsepaint

Noise Appeal

Abseits meiner geschmacklichen Befindlichkeiten war aber spätestens Anfang der Nullerjahre klar: Black Metal muss auch Thema im FM4 House of Pain sein. Dank Co-Moderatoren wie Dr. Nachtstrom und Paul Kraker passierte diese Annäherung mit Fachwissen, aber auch mit einer gewissen Distanz zu manchen martialischen Dummheiten in der Präsentation der Bands. Jetzt gibt es eine neue Blackmetal-Supporterin in unserer Sendung. Wobei die fantastische Sonja Maier aka sonjafrombaits sich eh schon über ein Jahr das Mikro mit mir teilt. Aber erst unlängst, beim Gespräch über das lesenswerte Buch „Gott Hassen“ der Norwegerin Jenny Hval, offenbarte sich Sonjas großes Interesse. Und jetzt hole ich sie gleich hier herein...

Christian Fuchs: Liebe Sonja, wenn jemand noch nie von Black Metal gehört hat, wie würdest du dieser Person bildlich das Genre beschreiben?

Sonja Maier: Dunkle Wälder, schneebedeckte, einsame Friedhöfe und schreiende Männer mit Schwertern und Äxten - die einzige norwegische Subkultur Black Metal hat sich längst als nicht mehr wegzudenkendes Genre im Mainstream des extremen Metals etabliert. Ihre einfache, niedrig aufgelöste Bildsprache ist sowohl im Rap als auch bei H&M angekommen. Die „menschenverachtende Untergrundmusik“ ist aber auch ein tiefer, grausamer Abgrund, in dem einem bei genauerer Betrachtung vor lauter Antisemitismus, Homophobie, Rassismus und Misogynie kotzübel wird. Die überzeugten Genre-Gatekeeper klopfen sich zu ihren 1990er First and Second Wave of Black Metal-Platten eifrig auf die Schultern und hassen offenkundig den Ausverkauf ihrer treuen „Heldensagen“, spätestens seit dem schockierend-satirisierenden Film „Lords of Chaos“.

Christian Fuchs: Okay, jetzt bin auch auf den Twist in deiner Erzählung gespannt...

Sonja Maier: Zwischen den harten Kanten des schwarzweißen Corpsepaint (hier gilt der Dank den Glamrockern Alice Cooper und Kiss für die Inspiration) bricht immer mehr ein neues Farbspektrum hervor, ein bunter Regenbogen, eine farbenfrohe Mischung aus Menschen, die sich den Blast-Beat-Spaß von traurigen Hatern nicht vermiesen lassen und die sich die Freiheit des ultrabrutalen musikalischen Ausdrucks in all seinen Facetten zurückerobern. In diesem Sinne: Nazi Black Metal, fuck off! Here’s a beautiful Black Metal Rainbow!

Gruppenfoto mit Sonja Maier, Christian Fuchs, Farce und Julie Hill

radio FM4

Christian Fuchs: Genauso werden wir das im FM4 House of Pain zelebrieren, mit Gästen wie Farce und Julie Hill (Dreqs, Requiem), die beide im Black Metal aktiv sind/waren. Aber nach diesem Teaser will ich mehr über deine jugendliche Black-Metal-Sozialisation wissen, wie ist die tatsächlich verlaufen?

Sonja Maier: Nach Nirvana kam längere Zeit musikalisch für mich nichts, was mich wirklich gepackt hat - bis ich mit 15 von einem Brieffreund Immortals “At the Heart of Winter” auf Kassette bekommen habe. Was mich sofort in den Bann zog, war die absolut kalte, tiefschwarze Atmosphäre, die ich in der Form aus keinem anderen Genre kannte. Man kann nicht wirklich mitsingen oder dazu tanzen, die Drums sind teilweise absurd schnell, die Gitarren bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, die Stimme meist nur schmerzerfülltes Geschrei.

Und doch bekommt man Gänsehaut und hört unter all dem Lärm unglaublich viel Melodie und eben Raum. Guter Black Metal schafft es, dein Unterbewusstsein durchzuschütteln und stellt für mich immer eine Art rebellischen Akt gegen “das System” dar, zumeist die christlich anerzogene Vorstellung von Ordnung oder die kapitalistische Logik, und bringt stattdessen Groteskes, Urweltliches, Mystisches und Gespenstisches in den Vordergrund. Das hat etwas Meditatives, Kathartisches, das ich sehr genießen kann. Im Chaos die Ruhe finden.

Das FM4 House Of Pain sticht ins schwarzweiße Wespennest: Ein feministisch-inklusives Black Metal Special von SonjafromBaits, mit den Gästen Farce und Julie Hill (Dreqs, Requiem), die beide im Black Metal aktiv sind/waren. Mittwoch 22:00 Uhr auf FM4.

Christian Fuchs: Kann ich gut nachvollziehen, trotzdem gibt es mindestens so viele fragwürdig-narrische Lyrics wie im Gangsta-Rap. Was macht Black Metal dennoch attraktiv für kritische Geister?

Sonja Maier: Als ich später von all den wahnsinnigen Charakteren in der BM-Szene hörte, wurde das Genre für mich uninteressant. Ich hatte gehofft, dass Black Metal wie Punk eine kritische und klare Haltung gegen Faschismus und Rassismus einnimmt, aber leider passiert das ja bis heute teilweise gar nicht, siehe die Menge an fragwürdigen Aufnähern bei den meisten BM-Konzerten. Daher freute ich mich umso mehr, als es nach und nach, vor allem aber seit den 2010er Jahren, immer mehr Bands gab, die musikalisch die Inspiration des Black Metal fortsetzen und ausweiten, aber ganz klar Nein zu Hass und Menschenverachtung sagen. Extremer Metal steht nicht für Gewalt, Misogynie, Rassismus, Homo- oder Transphobie, sondern ist ein Raum für Wut und Hass auf den Ist-Zustand von marginalisierten Menschen, gegen das turbokapitalistische Auseinanderfallen der Gesellschaft, und es gilt sich gegen alle Gatekeeper und weiße cis Hater zu stellen, die das anders sehen. Das Genre ist bereit, erobert zu werden. Das ganz laut und mit Blast Beats bitte.

Sonja Maier in Corpsepaint

Sonja Maier

Christian Fuchs: Bevor ich beim True Norwegian Black Metal an brennende Kirchen und Gewalt denke, kommen mir pubertierende Bubenrunden in den Sinn. Ich assoziiere mit dem wirklich harten Stoff eine latente Männerbündelei und Frauenfeindlichkeit. Was hat sich da alles verändert?

Sonja Maier: Natürlich gibt es den Bubenverein nach wie vor. Leider auch in voller Größe, wie z.B. am Wacken Open Air, wo szenebekannte Faschobands auftreten und das von der Festivalleitung in keiner Form kommentiert wird. Da gibt es viel Gerede à la “Man muss den Artist von der Musik trennen” - gerade bei BM finde ich diese Aussage absurd, denn es ist ganz klar, dass man über diverse brutale Straftaten und Aussagen kein Gras wachsen lassen kann und darf. Außerdem ist es doch traurig, für immer in dieser Blase hängen zu bleiben, während sich die Szene rundherum extrem weiterentwickelt und explodiert. Immer mehr Frauen schaffen sich ihre Räume und machen damit BM zu ihrem Bollwerk gegen die Unterdrückung. Man nehme zum Beispiel das neue Ragana-Album “Desolation Flower”, das von Pitchfork als eines der besten neuen Metal-Alben gelobt wird. Somit haben Frauen den Black Metal in den (Hipster-)Mainstream getragen, und wir können gespannt sein, was daraus noch blühen wird.

Oathbreaker

Oathbreaker

Christian Fuchs: Ein Film, den die True Fraktion hasst, der für mich aber die Essenz dieser frühen, mörderischen Tage des Black Metal auf den Punkt bringt, ist Jonas Åkerlunds „Lords of Chaos“. Da sieht man einfach, wie aus diesen pickeligen Kindern aus der Mittelklasse eitle Menschenhasser wurden. Wie siehst du den Film?

Sonja Maier: Ich fand den Film sehr amüsant. Er behauptet von Anfang an nicht, die Wahrheit darzustellen, sondern eine Sichtweise auf die Entwicklung der frühen norwegischen Black-Metal-Szene zu bieten. Es ist ein schockierender, grauslicher und witziger Film, der für mich auf den Punkt bringt, dass viele der Ideen der frühen Szene ziemlich dumm waren und sich aus einem postpubertären männlichen Hahnenkampfgehabe entwickelten. Und natürlich hat mich die Aufregung der BM-Edgelords sehr amüsiert, die sich über diese Darstellung echauffierten - the internet was on fire - alle haben recht, aber keiner war dabei. Ich fand auch, dass die karnevalesken, lustigen und vor allem selbstironischen Züge der Musik klar herausgearbeitet wurden. Man braucht sich nur alte BM-Musikvideos anzusehen und weiß sofort, dass das alles nicht todernst gemeint sein kann, aber extrem viel Spaß macht.

Filmstill aus "Lords of Chaos"

24 Bilder Film GmbH

Christian Fuchs: Aber lassen wir die Vergangenheit mal hinter uns, die Gegenwart des Black Metal bietet viele progressive Nischen, einige von ihnen schillern ganz bunt, in allen Regenbogenfarben...

Sonja Maier: Mittlerweile gibt es wirklich ein riesiges Spektrum an Black Metal, unter anderem eine Red-and-Anarchist-Black-Metal-Szene mit Bands wie Ancst, Iskra, Dawn Ray’d; feministischen Black Metal à la Feminazgûl, Grot, Ragana, Denigrata; pink Black Metal von Deafheaven, Zweizz, The Soft Pink Truth; queer Black Metal mit Impaled Northern Moonforest, Liturgy, A Constant Knowledge of Death; green (ökologischen) Black Metal von Wolves in the Throne Room und Panopticon oder African Black Metal wie z.B. Demogoroth Satanum, etc. Bei dieser bunten Vielfalt sollte es einem nicht schwerfallen, die alten Faschobands nicht zu supporten und stattdessen denen Aufmerksamkeit schenken, die die Szene neu beflügeln.

Christian Fuchs: *Die norwegische Musikerin Jenny Hval hat mir mit ihrem autobiografisch angehauchten Roman „Gott hassen“ (zugegeben nur wegen des Titelels gekauft) unlängst nochmal die Augen geöffnet. Über weibliche oder auch LGBTQIA+-Perspektiven im Black Metal, über das neue Gefühl hinter dieser Strömung, die einst bloß nach abgefackelten Kirchen und Männerschweiß gerochen hat...

Sonja Maier: Vor allem am Beginn ihres Buches macht sie klar, dass sie sich von der biederen christlichen Atmosphäre der 90er in Norwegen erdrückt fühlte und Black Metal ihr eine Art Ausbruch bot. Das Wort “Hass” war so negativ aufgeladen, dass sie nachsitzen musste, weil sie einmal laut sagte, dass sie Gott hasse. Gleichzeitig war sie enttäuscht, dass es keine Frauen in der Szene gab, keine weiblichen Rolemodels, mit denen sie sich in ihrem Leiden und Hass identifizieren konnte. Deswegen gründete sie bald ihre eigene Black-Metal-Band, aber auch davon zeigte sie sich bald demotiviert, weil sie sich trotz weiblicher Bandmitglieder immer nur von Männern umgeben sah.

Bücher "Black Metal Rainbows" und "Gott Hassen"

FM4

Aber die Ästhetik früher BM-Musikvideos hat Jenny Hval lange nicht losgelassen und auch ihre Filme beeinflusst. Mittlerweile gibt es aber einige Bücher, die sich mit der Szene auseinandersetzen. Sehr empfehlen kann ich “Black Metal Rainbows”, ein mit Kunst gespicktes Kompendium an teils akademischen Texten und Interviews, die die Entwicklungen beleuchten und viele unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen lassen. Wenn man sich mit der Metaebene von BM auseinandersetzen und viele neue Bands kennenlernen will, dann kann ich euch das Buch samt Playlist ans Herz legen.

Am 8.11.2023 im House Of Pain

Das FM4 House Of Pain sticht ins schwarzweiße Wespennest: Ein feministisch-inklusives Black Metal Special von SonjafromBaits, mit den Gästen Farce und Julie Hill (Dreqs, Requiem), die beide im Black Metal aktiv sind/waren. Am Mittwoch, 8. November, ab 22:00 Uhr auf FM4 und danach auch für 7 Tage im FM4 Player.

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