Streit bringt die Welt zum Drehen

Todors Bekannte L stellt sich gern lautstark auf die Seite der Schwachen.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Es gibt Menschen, die Streitereien einfach lieben. Sie baden in ihrer Wut. Streiten ist für sie wie prickelndes Wasser, das ihren Gaumen kitzelt. Sie haben so viele Argumente bereit, dass man es kaum glauben kann. Wie meine Bekannte L zum Beispiel, die sonst ruhig und bescheiden ist. Wenn sie einen Streit in der Luft riecht, ändert sich aber was. Sie kann aus der kleinsten Sache einen Streit produzieren – wenn jemand sich in einer Schlange vorgedrängelt hat, wenn jemand zu laut in den Öffis spricht oder wenn jemand keinen Platz für Kinderwägen auf dem Gehsteig macht – solche Menschen sollen besser nicht auf L treffen.

Denn sie sprudelt vor Kreativität, Menschen auf ihren Platz zurechtzuweisen. Ich habe einmal zugehört, wie sie mit jemanden stritt, der unerlaubt geraucht hatte, und es hörte sich so an, als hätte er mit seiner Zigarette das Armageddon ausgelöst.

L meint, sie stelle sich immer auf der Seite der Armen und Schwachen. Die Starken seien immer schuld. Die Gesellschaft lebe in Angst, ihre Ruhe und Gemütlichkeit zu verlieren. Wir alle, die Streitigkeiten meiden, verschließen lieber die Augen vor Ungerechtigkeiten, um unseren Komfort nicht zu verlieren. Die Heuchelei sei die größte Tugend der Menschheit, meinte der Schriftsteller Kurt Vonnegut.

Ein Freund hat mir erzählt, dass er in seinem Büro in Schweden einmal laut darum gebeten habe, ein Fenster zu schließen. Einer der anwesenden Kollegen war so erschrocken von seiner Tonlage, dass er danach zur Psychotherapie gehen musste. Zum Glück hat er nicht auf L getroffen. Dann könnte ihm auch Freud nicht mehr helfen.

Ich frage L, ob sie es nicht ruhiger angehen und nicht immer von einem Streit in den nächsten springen könnte. „Streit bringt die Welt zum Drehen!“, antwortet sie. Ich weiß nicht was ich sagen soll, denn die Erde soll sich ja weiterdrehen.