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25.04.24 neues Justice Album "Hyperdrama"

Andre Chemetoff

Justice und ihr Hyper, Hyper!

Nach acht Jahren Pause sorgt das Elektro-Duo Justice mit einer Fusion von Gabber, Disco und French Pop für „Hyperdrama“. Mit dabei illustre Gäste wie Tame Impala, Thundercat und Miguel.

Von Christian Lehner

„Hyperdrama“ ist kein Album über die Krisen unserer Zeit, „Hyperdrama“ ist eine Utopie, ein schöner Traum. „Larger than life“, sagen Gaspard Augé und Xavier de Rosnay dazu beim FM4 Interview in Berlin, das noch vor ihrem Coachella-Auftritt stattgefunden hat. „Größer als das Leben“, so wirken Justice selbst an diesem Tag mit ihren Lederjacken, Frisuren und Sonnenbrillen im sleazy Look der Neunzehnsiebzigerjahre, als Rockstars noch Götter waren.

Acht Jahre sind seit dem letzten Album „Woman“ vergangen. Danach kam die „Woman World Wide Tour“, für deren Livealbum Justice einen Grammy bekommen haben, dann die Pandemie, dann die Arbeit am neuen Album, die dreieinhalb Jahre in Anspruch genommen hat und die etwas mühsam war, denn für „Hyperdrama“ haben sich Justice etwas Besonderes überlegt.

Hardcore meets Disco

Der Vorsatz: Zwei musikalische Welten verschmelzen, die vordergründig nicht zusammenpassen. Auf der einen Seite Hardcore, Techno und Gabber aus den 90s, auf der anderen Disco und Siebzigerjahre-Pop. „Es war schwierig, diese beiden Ansätze zu einem organischen Sound zu fusionieren“, gibt Xavier zu. „Wir haben dafür sehr viele Sessions gebraucht und mussten an vielen Knöpfen drehen, auch deshalb der Titel ‚Hyperdrama‘...“

Exemplarisch der Track „Generator“, der fließend von einem finsteren Hardcore-Sound der Neigungsgruppe Altern8 in funky Disco samt Streichersatz übergeht. Die Blende vom Gasmasken-Rave mit tanzenden Glatzen in eine Pariser Filmszene der 1970er-Jahre mit wallendem Haar, Polyesterkrägen und Schlaghose ist perfekt gelungen. „Es zeigt, dass es im Grunde keine gegensätzliche Musik gibt“, sagt Gaspard, „denn alles kommt von derselben Quelle. Viele der Samples, die Hardcore-Produzenten bis zur Unkenntlichkeit verfremdet haben, stammen von alten Funk- und Soul-Platten.“

25.04.24 neues Justice Album "Hyperdrama"

Ed Banger Records

Auch wieder am Cover, das Kreuz als Bandlogo. „Hyperdrama“ ist via Ed Banger erschienen. Hier geht’s zum Interview-Podcast mit Justice.

Hyper-Experiment geglückt. Nun mussten für die Reise ins Traumland Erzählungen gefunden werden. Miguel, die außerirdische Stimme des R’n’B, konnte ebenso für ein Feature gewonnen werden, wie der der kalifornische Funk-Erneuerer Thundercat und der neuseeländische Psych-Hipster Connan Mockasin. Auch dabei die Neuentdeckungen The Flint und die niederländische Sängerin Rimon. In den Liner-Notes tauchen sie nicht unter „featuring“ auf, sondern unter „starring“. Das sagt viel aus über die Wertschätzung der Gäste.

Apropos Star: Justice wollten schon lange mit Kevin Parker von Tame Impala zusammenarbeiten – auch so ein Fachmann für Beats und traumwandelnde Melodien. Der Australier war sofort Feuer und Flamme. Allerdings wollte er nicht das machen, was von ihm verlangt wurde. Xavier: „Kevin plante die Zusammenarbeit mit uns als Ausbruch von Tame Impala, er wollte einen ganz anderen Stil ausprobieren.“

Eine knifflige Situation, denn man will ja genau das von einem bekannten Gast haben, wofür der bekannt geworden ist. Die Lösung: Justice haben Kevin Parker so lange herumexperimentieren lassen, bis der von selbst mit den typischen Sounds und Vocals von Tame Impala angetanzt kam. „Du kannst halt nicht deinen natürlichen Instinkt verleugnen“, sagt Xavier dazu und grinst.

25.04.24 neues Justice Album "Hyperdrama"

Christian Lehner

Justice beim FM4 Interview in Berlin, März 2024

So haben Justice nach acht Jahren Albumpause das getan, wofür sich Pop seit jeher gut eignet: Sie haben sich ihre eigene Welt in Form von 13 Tracks geschaffen. Xavier und Gaspard, zwei französische Elektro-Baumeister, die in Stücken wie „Generator“, „Incognito“ und „Afterimage“ viel Beton anrühren, dazwischen aber Märchenwälder und wunderlichen Blumengärten anlegen („Neverender“, „Moonlight Rendez-vous“) und in Hyper-Discos zum Tanzen einladen („One Night/All Night“ und „Dear Alan“, als Ode an Alan Braxe von Stardust, einem der Begründer des neuen französischen Dance-Sounds der Neunzigerjahre).

Romantik und KI

Als Pariser Künstler inszenieren sich Justice als ewige Romantiker. „Alles, was wir tun, ist romantisch, wir haben sogar den Release des Albums extra auf den Frühling gelegt“, so Xavier. Im Musikvideo zu „One Night/All Night“ tauchen die Zusehenden durch einen animierten, tanzenden Körper bis zum Herzen. Im Clip zu „Generator“ kann man Androiden beim Sex beobachten.

Romantisch im Sinne von endzeitlich ist auch die Einschätzung über die Zukunft des Pop. „In spätestens fünf Jahren hat die KI alles durcheinandergewirbelt“, so Xavier. „Es ist faszinierend und verrückt zugleich und es ist eine große Versuchung. Wir halten uns davon aber fern. Viel cooler sind ‚happy accidents‘, also Fehler, die beim Produzieren entstehen, wenn man zum Beispiel ein Kabel verkehrt einsteckt und so ein neuer Sound entsteht. In gewisser Weise ist das gar nicht so anders als Künstliche Intelligenz, die ja auch nur Bestehendes kombiniert.“

„Hyperdrama“ ist ein tolles Album für den Club und die Fantasie geworden, ein utopischer Ort, größer als das Leben. Und auch ein Album, das man so noch nicht gehört hat.

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