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FM4 Frequency

Die Punkrock-Pose und der Zartcore

Musikrundschau vom Eröffnungstag beim FM4 Frequency Festival 2017: At the Drive-In, D. D Dumbo, Moderat.

Von Philipp L’heritier

Es kann auch manchmal Rockmusik der alten Prägung sein. Manchmal kommen sie wieder - vor allem gerne bei Festivals. Am Dienstag, dem Eröffnungstag des diesjährigen FM4 Frequency Festivals, erscheint um rund halb sieben Uhr abends auf der Main Stage eine Band, die “Legende” genannt wird. Das stimmt schon so.

“In Kreisen” zu Recht berühmt, flächendeckend mit Schulterzucken bedacht. At the Drive-In aus El Paso. At the Drive-In machen seit über 20 Jahren - mit großzügig bemessenen Pausen in der Bandgeschichte - Hardcore für Menschen, die vielleicht Hardcore nicht so mögen. Oder sich bloß blass ans Skateboardfahren von vor 20 Jahren und klassische Vans-Schuhe erinnern können.

Analog zu schematischen Bezeichnungen für Weiterkomm-Genres - wie den Wörter “Postpunk” oder “Postrock” - wollen wir die Musik von At the Drive-In als “Post-Hardcore” bezeichnen. Das gefällt der Gruppe selbst wahrscheinlich nicht.

Das Album “Relationship of Command” aus dem Jahr 2001 ist in dieser Hinsicht strenger Leuchtturm auf lange Zeiten - was davor und danach von At the Drive-In gekommen ist, ist meist solide gewesen, oft egal. Live hat das alles auch heute noch Saft und Biss, auch wenn das Quintett schon leger in die Jahre gekommen ist - und man das heute alles nicht immer so genau verstehen kann, was da ins Mikrofon gekeift und gesummt wird.

Auch wenn die Darbietung hier nahezu teilnahmslos im Interesse-Vakuum verpufft und die Band sich auch nicht groß müht, ihre Genervtheit zu verheimlichen. Der Wind verbläst Geräusche.

FM4 Frequency 2017

Mehr zum FM4 Frequency 2017 gibts auf frequency.at und natürlich auch hier bei uns!

Die Mitglieder von At the Drive-In erscheinen fast durchwegs dunkelblau uniformiert und erinnern da nicht bloß kleidungstechnisch an die wegweisende Soul-Punk-Gruppe Nation of Ulysses und deren Nachfolge-Projekt The Make-Up. Frontmann Cedric Bixler ist mit Maracas bewaffnet und nach wie vor - obwohl optisch und vom Habitus her schon nahe am älteren James Brown - ein pantherhafter Derwisch. Ekstatisch, erratisch. Noise und Pyschedelik, Garagenrock, kaputter Gospel und spröder Funk, gar ein bisschen Dub - so kann die Rockmusik gehen.

In der kleineren Kammer

Braver geht es auf der Weekender Stage zur Sache, wo sich wie jedes Jahr vornehmlich Acts des Segments “Geheimtipp” versteckt haben. Manche werden auch welche geblieben sei.

Nicht so das Duo Little Hurricane, das in White-Stripes-Besetzung souverän-juvenilen Blues-Rock mit Pop-Appeal verwaltet. Rockmusik als Museum für immer neue Generationen. Kann es geben.

Es wird spannender. Nach Little Hurricane steht der interessanteste Act des Dienstags auf der Weekender Stage: Einen besseren Künstlernamen hätte sich der australische Musiker Oliver Hugh Perry aber ausdenken können. Sein Projekt nennt er D.D Dumbo. Vielleicht soll da schon ein bisschen die Kindlichkeit und die Spielzeug-Liebe durchwirken.

Zuhause ist D.D Dumbo beim immer verlässlichen englischen Label 4AD, wo er zwischen anderen sensiblen Spinnern und Spinnerinnen wie Grimes, Deerhunter, Beirut und etlichen mehr nur bestens ins unsystemierte System passt.

Bei D.D Dumbo gibt’s putzig verbogenen Pop aus Sampler, Loop-Station und Keyboard, dazu Tupfer von Afrobeat und Tropicalia, überlagert mit pastoralem Folk-Singsang. Das Weiterdenken der Idee “Animal Collective” in Richtungen zurück hin zu wieder etwas normalerem Songwriting. Live analoger und barocker dargereicht als auf Platte, mit ganzer Band geschmückt, mit allerlei Geflöte, Gebläse, Percussions und Glockenspiel ausgekleidet. Es ist eine liebe Musik.

Skate or Die

Gleichzeitig auf der Space Stage - der erwartbare Magnet, komischerweise, eine Band, die es immer noch gibt, oder, die es nie nicht gegeben hat. Mittelalte Männer in - immerhin metaphorisch - Dreiviertelhosen, die den Aufstieg von kalifornischem Pop-Punk der 90er in den Mainstream so verkörpern wie niemand anderer.

The Offspring. Sie spielen immer irgendwo. Und können auch nach gut 30 Jahren immer noch jungen Menschen auf der Welt irgendetwas sagen. Green Day haben es wenigstens mit der Politik probiert. Teenager-Angst in schicken Anti-Klamotten, Sirup-Melodien, Laut/Leise-Dynamik, fünfhundert nasale “Yay-yay-ya”s - wird auch nicht alt. Bierzelt-Musik ohne Gnade, Hilfe, wir werden nie erwachsen.

Die Weiterführung des Kinderzimmers ins Erwachsenenalter geht weiter: Das Interessanteste an der kanadischen Band Billy Talent, die am Dienstagabend auf der Space Stage den offiziellen Headliner gibt, ist, dass sie sich nach der Figur “Billy Tallent” (sic) aus dem sehr guten kanadischen Film “Hard Core Logo” von Bruce McDonald aus dem Jahr 1996 benannt hat.

Der Film folgt im Stile der Mockumentary-Urmutter “This is Spinal Tap” einer heruntergewirtschafteten, zerworfenen Band, die es nach Jahren auf Eis noch einmal versuchen mag. Speckiger Tourbus, Punkrock, Drogen, Zerstörung und - nicht zuletzt - Selbstzerstörung. “Hard Core Logo” lässt kein Klischee aus - das ist rührend, komisch und sehr traurig.

Die Band Billy Talent sieht sich also gleich selbst ohne Scham als Abziehbild. Die Einflüsse von Hardcore und Punk werden da mal mehr Richtung Metal, dann wieder Richtung Pop gedübelt, Lieder über die Revolution im Kopf, die Angst und den Schweiß. Energie und Schmerz werden gut vorgelebt und durchlitten.

Natürlich hat so etwas Erfolg, die Band Billy Talent hat gut drei Millionen Alben verkauft. Man könnte sich aber auch lieber Gruppen wie Fugazi oder Refused anhören. Oder At the Drive-In.

Digitaler Soul aus der Rumpelkammer

Zum Glück dann: die Weichheit. Das Fühlen. Nach dem Post-Hardcore kommt der Post-Techno. Der unerwartete Post-Headliner am Dienstag beim FM4 Frequency, der sich erfreulich nach dem ganzen Rock’n’Roll auf die Mainstage geschlichen hat.

Das Berliner Trio Moderat, das man sich nie zu schade werden muss, als “elektronische Boygroup” zu bezeichnen, bezirzt. Das ist so das Ding von Moderat. In der Zusammenkunft der Herren Modeselektor und des Herren Apparat verschmilzt, ja, das ist hier das Wort, quecksilbrig der zärtliche Elektronikschrott, die luftig-verträumte Indie-Boy-Melancholia und der Hauruck-Techno aus der Fabrikshalle.

Moderat finden da meist einen feinen Mittelweg zwischen den konventionellen Popmomenten von Radiohead und den experimentelleren, ambientösen Augenblicken von Depeche Mode, wenn die gerade nicht unbedingt auf Megahit aus sind. Und dann doch auch immer wieder Prog-Trance-Rave.

Es geht ums Schwelgen, ums Surren und ums Freundlich-Rumpeln. Es blitzelt und knistert - das ist der digitale Pop-Entwurf, den wohl irgendwann Coldplay sachte anproben werden. Ein genau ausgemessenes Sounddesign, das funkelt, wenn die Reibung kommt. Schmelz in der Stimme, Ächzen, Quietschen und Fauchen im Maschinenpark.

Der rundlaufendende und gut schief eiernde Sehnsuchtsautomat. Nach einem Konzert von Moderat kann man dann vielleicht schon leise erleuchtet ins Bett steigen und eventuell von süßen, wunderlichen Dingen träumen. Elektronische Schafe zählen. Tresor und Romantik. Computerliebe.

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