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Nick Cave Burg Clam

Nikolaus Osternann

Ein Akt der berührenden Anteilnahme

Nick Cave & The Bad Seeds haben gestern auf der Burg Clam gespielt. Seit dem letzten Album „Skeleton Tree“, das den Tod von Nick Caves Sohn verarbeitet, ist der Kontakt zum Publikum noch intensiver als bisher.

Von Susi Ondrušová

Es war schon eine Überraschung, als nach der Hallentour letzten Herbst die neuen Daten für eine Bad Seeds-Tour angekündigt wurden. Nicht nur Festivals wie das Primavera oder Roskilde standen auf dem aktuellen Tourplan, sondern auch ein Einzel-Konzert in Oberösterreich. In einer Woche, in der Konzert-Fans in der Hauptstadt schon mit Gigs von Interpol, David Byrne oder Angus & Julia Stone verwöhnt wurden, stand für viele auch eine Reise auf die Burg Clam auf dem Programm.

Der schlechten Wetterprognose geschuldet mit festem Schuhwerk und hässlichem Regengewand ausgerüstet, konnte man beim Wanderweg vom Parkplatz zum Eingang nur hoffen, dass die Musik mächtiger sein wird als Regen, Wind und Kälte. Bis auf ein paar Regentropfen (ausgerechnet!) während „Tupelo“ sollte der Konzert Abend ein trockener, schwüler, vernebelter und schön herbstlicher werden.

Wir haben es bei Nick Cave & The Bad Seeds mit einem Musiker und einer Kapelle zu tun, die so etwas wie eine Naturgewalt sind. Ob man erst seit „Skeleton Tree“ oder „Push The Sky“ dabei ist, sich an ein Konzert im Raimundtheater in den Achtzigern erinnern kann, an ihren Auftritt mit dem Gospelchor in Wiesen oder eines der Konzerte in der Stadthalle: Nick Cave hat Phasen - und seine Fans auch. Manche sind mitgewachsen, andere sind später dazugekommen, manche haben sich abgewandt und denken an damals. „Früher mit Blixa Bargled…, früher mit Mick Harvey …“ Früher. Ja früher.

Nick Cave Burg Clam

Nikolaus Osternann

Spätestens seit „Skeleton Tree“ fragt man sich, inwiefern man Nick Cave und seine Bad Seeds überhaupt kritisieren kann. „Skeleton Tree“ wiegt schwerer, als ein Konzeptalbum über Mord & Totschlag je wiegen könnte, weil sie zum Teil vom Tod des eigenen Sohnes inspiriert ist. Es ist eine Platte, von der man sich eigentlich wünscht, dass es sie nicht gäbe. Dass der Schmerz, die tragischen Umständen dieser Platte, die in der Doku „One More Time With Feeling“ gezeigt werden, diesen Menschen gar nie passiert wäre.

Nick Cave hat in seinen Songs bislang Charaktere zum Leben erweckt, teilweise sterben und leiden lassen. Bis die lyrische Phantasie von der Realität überrollt wurde und diese Gruppe den unvorstellbarsten Schmerz erfahren hat aus dem diese Songs entstanden sind und aus dem die Energie dieser Konzerte entsteht. Es sind Erfahrungen, mit denen wir alle konfrontiert sind und sein werden: Tod und Verlust. Man steht vor dem Dilemma, ein Werk von einem Menschen zu bewundern, dem dieser Schmerz zugestoßen ist. Wie kann man über so ein Werk, so ein Kapitel in der Bandgeschichte urteilen?

Nick Cave Burg Clam

Nikolaus Osternann

In den wenigen Interviews, die Nick Cave seit dem Tod seines Sohnes gegeben hat, hat er unter anderem von „Mitleid“ gesprochen. Eine Emotion, mit der er beim Kontakt mit seinem Publikum bis zum Tod seines Sohnes eher wenig konfrontiert war. Die Worte seiner Fans, die im Netz von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Tod berichtet haben und ihr Beileid ausgesprochen haben, haben ihm und seiner Frau Trost gespendet.

Auf „früheren“ Nick Cave-Konzerten gab es oft einen Moment, an dem er sich jemanden aus dem Publikum ausgesucht und angesungen hat. Ein kurzer Moment, in dem man nicht der großen Masse ein Lied vorträgt, sondern in ein Augenpaar hineinsingt. Seit „Push The Sky Away“ ist der Kontakt mit den ersten Reihen mehr und intensiver geworden, seit der Tour rund um die „Skeleton Tree“-Platte ist ein Bad Seeds-Konzert ein einziger Akt berührender Anteilnahme.

Tatsächlich dirigiert Nick Cave die ihm aus den ersten Reihen emporgestreckten Arme. Berührt sie immer wieder. Lässt sich halten und hält. Holt Fans auf die Bühne, tanzt und singt mit ihnen. Dreht sich um, wenn der Gast auf der Bühne das Handy zum Selfiemachen zückt und der sanften Aufforderung das Gerät wegzulegen, nicht folgt. Hier ist eine Band, die Songs geschrieben hat, die für viele Anwesende der Soundtrack für Hochzeiten, Begräbnisse und all die Ereignisse dazwischen waren. Ein Bad Seeds-Konzert ist alles, was ein Selfie nie sein wird.

Die Setlist des gestrigen Abends!

„Look at me now“ schreit Cave bei „Jubilee Street“ ins Mikrofon, während Warren Ellis sich über sein Instrument krümmt. Die Band könnte nicht besser gelaunt sein, sie spielen „Shoot Me Down“ und Cave sagt, er weiß gar nicht, ob das Publikum das Lied kennt oder ob es die Band überhaupt spielen kann. Bei „Ring Of Saturn“ springt das Publikum als Chor ein. So wie auch bei „Into My Arms“, jene Sehnsuchtshymne, die Cave dem Paar widmet, das er am Konzerttag in der Hotellobby kennengelernt hat. Er glaube nicht an einen “interventionist God. But if I did I would kneel down and ask him not to intervene when it came to you. Not to touch a hair on your head, to leave you as you are and if he felt he had to direct you, then direct you into my arms.”

Ein Weltsong, der auch beim tausendsten Mal hören nicht abgedroschen klingt. Genauso, wie das viel jüngere und nicht weniger intensive Lied über Himmel und Erde: „Some people say it’s just rock ’n’ roll, but it gets you right down to your soul. You’ve got it, just keep on pushing and, keep on pushing and push the sky away.”

Was soll man da noch sagen?

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