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Kondensstreifen am Himmel, EU-Flagge

APA / dpa-Zentralbild / Patrick Pleul / Radio FM4

Erich Moechel

EuGH-Entscheidung zu Flugpassagierdaten rückt näher

Ein nicht-öffentlicher Ministerratsbeschluss vom 11. Mai zur Vorratsspeicherung aller Flugbewegungen ist offensichtlich bereits zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gedacht.

Von Erich Moechel

Der EU-Ministerrat hat eine nicht-öffentliche Erklärung zur Vorratsspeicherung von Flugpassagierdaten (PNR, Passenger Name Record) gefasst. Das zugehörige Positionspapier, das ORF.at vorliegt, bezieht sich auf die Evaluation der PNR-Abkommen der EU mit Australien und den USA durch die EU-Kommission vom Jänner. Dieser Beschluss ist offensichtlich bereits zur Vorlage an den EU-Gerichtshof (EuGH) gedacht.

Dort sind nämlich bereits seit Jänner 2020 zwei Klagen aus Deutschland und Belgien gegen die anlasslose Protokollierung sämtlicher Flugbewegungen aller EU-Bürger anhängig. Ein Urteil dazu könnte also noch vor der Sommerpause fallen. Bereits 2017 hatte der EuGH ein drittes, fast gleichlautendes PNR-Abkommen mit Kanada gestoppt.

Screenshots aus Dokumenten

EU-Ministerrat/EU-Kommission

Da das vorliegende Dokument derzeit nirgendwo öffentlich zugänglich ist, stellt es FM4 für Evaluierungen zur Verfügung. Es handelt sich um die zweite Revision des Beschlusses. Wie der EU-Datenbank des österreichischen Parlaments zu entnehmen ist, gilt diese Version bereits als verabschiedet, weil es keine Einsprüche seitens der Mitgliedsstaaten mehr dazu gegeben hat.

Datenschutzgrundverordnung fast vergessen

Die Klagen der NGOs gegen die PNR-Abkommen wurden bereits im Oktober 2019 auf den Weg durch die Instanzen zum EuGH gebracht.

Von Inhalt und Wortwahl her ist dieser Ratsbeschluss absolut defensiv. Er beruft sich vor allem auf Evaluierungen der Abkommen mit den USA und Australien durch die EU-Kommission vom Jänner. Ganz vorne in Erwägungsgrund fünf heißt es: Diese Abkommen hätten den „Zusatzwert und die Effektivität im Kampf gegen den Terrorismus und internationale Schwerkriminalität demonstriert und wirkungsvolle Grenzkontrollen ermöglicht, um Reisebewegungen von Terroristen zu verhindern und Akteure des organisierten Verbrechens zu identifizieren ... und sie strafrechtlich zu verfolgen“.

Zudem hätten die USA und Australien „Anstrengungen unternommen, den Anforderungen in den Abkommen technisch und organisatorisch zu entsprechen, inklusive des Schutzes personenbezogener Daten der Passagiere“, so Erwägungsgrund sechs. Diese Aneinanderreihung von euphemistischen Phrasen und Behauptungen, die durch nichts belegt werden, zieht sich durch den gesamten Text der Erklärung. Erst ganz zuletzt war den Erstellern im Ministerrat aufgefallen, dass sie die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht einmal erwähnt hatten. Das wurde dann im 18. von 20 Erwägungsgründen nachgeholt.

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EU-Ministerrat/EU-Kommission

Die fett gekennzeichnete Passage wurde erst in der zweiten und letzten Revision des Dokuments nachgetragen, die allein für diesen Halbsatz erstellt wurde. Ein zweiter Halbsatz bezieht sich verschämt auf die Vorratsspeicherung der Metadaten. Die in allen PNR-Abkommen gleiche, überschießende Speicherdauer von fünf Jahren war im Fall Kanada einer der hauptsächlichen Gründe für den Verfahrensstopp des EuGH.

Maulkörbe für die Evaluierer

In den beiden Evaluationen durch die Kommission wird davon freilich überhaupt nichts belegt. Auch hier dominieren euphemistische Phrasen und unbelegte Tatsachenbehauptungen. Zwischen den Zeilen und aus einzelnen Passagen geht allerdings klar hervor, wie diese „Überprüfungen“ tatsächlich verliefen. Der EU-Delegation sei der Zugang zu dem (angeblich) vom australischen Innenministerium betriebenen PNR-Komplex gestattet worden, heißt es in der Evaluation der Kommission. Als Bedingung für den Zugang hatten die EU-Delegierten „auf Aufforderung der Behörden Verschwiegenheitserklärungen unterzeichnen“ müssen, auch „hatte das EU-Team keinen Zugang zu irgendeinem System, das PNR-Daten prozessiert“.

Anhand dieser Auflagen ist hinlänglich klar, wo dieses Untersuchungsteam aus Europa gastierte hatte, nämlich in einer Anlage des Australian Signals Directorate (ASD), dem Gegenstück zur NSA. Die Delegation aus Europa hatte also überhaupt keine Möglichkeit, irgendetwas nachzuprüfen, und musste sich deshalb auf Hörensagen verlassen. Das heißt, die „Überprüfungskommission“ aus Europa hörte sich die Schilderungen und Zusicherungen der australischen Überwachungsbehörden an und hatte dann generöserweise „außerdem die Gelegenheit, den Beamten weitere Fragen zu stellen und weitere Aspekte des Abkommens zu besprechen“.

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EU-Ministerrat/EU-Kommission

Screenshot aus der Evaluation des PNR-Abkommens mit Australien durch die EU-Kommission. Wie auch die „Überprüfung“ des PNR-Vertrags mit den USA war es ein reiner Formalakt.

Die Geschichte der PNR-Abkommen der EU mit den USA und Australien, sowie die nie finalisierten Abkommen mit Kanada und Mexiko in 32 FM4-Artikeln von 2010 bis 2021.

„Nicht gänzlich im Einklang“

Wie der Ministerrat musste die EU-Delegation über das Abkommen mit den USA konstatieren, dass „mehrere Aspekte des Abkommens nicht gänzlich im Einklang mit dem Gutachten 1/15 des Gerichtshofs zum geplanten PNR-Abkommen mit Kanada stehen“. Gemeint ist damit das Gutachten des EuGH, das 2017 ein gleichartiges EU-Abkommen mit Kanada gestoppt hatte. Anders als der Ministerrat listet die Evaluation der Kommission allerdings diese Aspekte auf, „die nicht gänzlich im Einklang stehen“.

Diese „Aspekte“ sind: die Speicherdauer von PNR-Daten von mindestens fünf Jahren; die Art und Weise der Verarbeitung sensibler Daten und die erforderlichen Schutzmaßnahmen; die Benachrichtigung der Fluggäste über Zugriffe auf ihre Daten; die unabhängige Überprüfung der Verwendung von PNR-Daten ex ante; Regeln für die Weitergabe durch den Empfängerstaat an das Inland und Ausland, unabhängige Aufsicht und die ausschließliche Nutzung der Datenbanken im Zusammenhang mit schweren Verbrechen. Genau diese Punkte hatten den EuGH dazu veranlasst, das PNR-Abkommen mit Kanada zu stoppen, dasselbe trifft vollinhaltlich auf die beiden anderen Abkommen zu.

Screenshots aus Dokumenten

EU-Ministerrat/EU-Kommission

Das Wording von Erwägungsgrund 7 in der Erklärung des Ministerrats wurde direkt aus den Evaluationen der Kommission entlehnt.

Was tatsächlich mit den PNR-Daten passiert

Die gesamte Frühgeschichte des PNR-Abkommens der EU mit den USA in rund hundert Artikeln der ORF-Futurezone von 2003 bis 2010.

Dieses klägliche Schauspiel, das in seiner Berechenbarkeit an japanische Kabuki-Theater erinnert, wird von den EU-Institutionen allein dazu aufgeführt, um dem hochillegalen Status Quo dieser Abkommen einen rechtsstaatlichen Anstrich zu verleihen. Ausnahmslos alle Beteiligten - von den Klägern bis zum Ministerrat, von der EU-Kommission bis zu den Richtern am EuGH, sowie alle Beobachter - wissen nämlich, was tatsächlich mit diesen enorm umfangreichen, personenbezogenen Datensätzen passiert, die auch von Österreich vor jedem Flug an die USA geliefert werden.

Sie werden dazu benutzt, um von sämtlichen Flugreisenden persönliche Profile anzulegen, die bei jedem Flug mit neuen Daten angereichert werden. Ministerrat und Kommission haben das seit 15 Jahren vertuscht und die europäische Öffentlichkeit systematisch hinters Licht geführt. In Deutschland hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen diese Abkommen geklagt, dazu kommt eine weitere Klage aus Belgien, die vom belgischen Verfassungsgerichtshof ebenfalls an den EuGH übermittelt. Die Klage der österreichischen NGO epicenter.works wurde - sehr zum Verdruss der Aktivisten - von einem Gericht in Wien nicht weitergegeben, sondern bis zum Spruch des EuGH ruhend gestellt.

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