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Popfest Arena Wien Tag 1 Konzert Eli Preiss, Publikum sitzt und tanzt auf der Wiese, die Sonne geht unter

Franz Reiterer

Läuft: Der erste Abend beim Popfest in der Arena Wien

Von Privilegien, Gemeinschaften und Mut: Symbolhafter Auftakt des Popfests 2021 mit T-Ser, Dacid Go8lin, Slav, Anna Mabo, KMT, Zack Zack Zack und Buntspecht in der Wiener Arena.

Von Katharina Seidler

„Es ist ein Privileg, hier zu sein. Wir müssen es doppelt genießen für alle, die das nicht können.“ Dies sagt die Wiener Hip Hop-Schlüsselfigur Dacid Go8lin zur Konzert-Einleitung an diesem ersten Tag des Popfests zu einer gut gelaunten, motivierten, geimpften, getestet oder genesenen Crowd in der späten Sonne im Arena Hof. Der Sommerabend ist so idyllisch, dass man sich für einen Moment lang fühlt wie früher, auch wenn uns das Wort Normalität in den vergangenen 16 Monaten schal geworden ist. Die Pandemie ist in der Arena, die schon davor in vielen Nächten ein sicherer Hafen und eine Insel der Seligen war, sekundenweise vergessen, ausgesperrt durch quadratische Codes auf kleinen Bildschirmen, geprüfte Flüssigkeiten, besprühte Ziegelmauern.

Das dazugehörige Gefühl ist mitunter ambivalent, denn während dem Popfest seit jeher der offene, niederschwellige Charakter innewohnt - „normalerweise“ verkörpert durch zehntausende Menschen auf dem warmen Karlsplatzboden sitzend – schwebt hier das Wissen um das dramatische Draußen immer mit. Wer nicht impfen will, bleibt draußen (SSKM), aber auch, wer noch nicht die Gelegenheit dazu bekam oder wer durch Umstände, die außerhalb des eigenen Einflusses liegen, heute zwei Stricherl statt einem in einem weißen Plastikkasterl auftauchen sehen musste. Es ist also genau das - ein großes Privileg, in dieser wohltemperierten Sommernacht gemeinsam Musik erleben zu dürfen. Menschen fallen einander in die Arme, bei anderen ist das Wiedersehen geprägt von ungelenken Begrüßungen, Faust, Ellbogen oder Schulterklopfen, Masken rauf oder runter, anfängliche Schüchternheit, wachsende Euphorie.

Es liegt nicht nur an der neuen Location, bei der Zufalls-Zusehende wie am Karlsplatz praktisch wegfallen, sondern vor allem an dem klugen wie weitsichtigen Lineup des Kurator*innen-Doppels Esra Özmen und Herwig Zamernik, dass an diesem Abend im Popfest-Publikum viel mehr neue Gesichter als sonst zu sehen sind. „Wer ist unter 25?“ ruft T-Ser irgendwann, und bekommt lautstarke Antworten zurück, auch Unter-20-Jährige findet er zuhauf.

Unsere FM4 Publikumsumfragen bestätigen, dass Viele zum ersten Mal beim Popfest sind, und das Programm spricht diesmal mehr denn je ihre Sprache. Diese Sprache ist in Wien eben nicht nur Deutsch, sondern neben Englisch etwa auch Albanisch, Türkisch, Polnisch oder Mazedonisch, ihr Plauderton heißt Autotune. Ihre Beats kommen von DJs in der Bühnenmitte, vor denen die junge Hip Hop- und R’n’B-Riege der Stadt, von T-Ser bis Dacid Go8lin, Savitrii & Snessia, Eli Preiss bis Slav und Gaststar Yugo die Main Stage durchmisst. Gar nicht arrogant gemeint: Läuft, Bruder, läuft.

Am Bühnenrand und in den vorderen Reihen stehen jeweils ganze Heerscharen an Freund*innen und Supporter*innen: Crew ist alles, und endlich kommt im echten Leben wieder zusammen, wer viel zu lange rein durch virtuelle Netzwerke verbunden bleiben musste. Was diese neuen Headliner außerdem eint, ist Haltung, Weltoffenheit und Mut, das Wissen um die Macht der Gemeinschaft und ein Drive, es besser zu machen als die egozentrischen Generationen zuvor. „Als Rapper ist der struggle real und das erst recht in Wien / Haberer das hier hat nichts zu tun mit West-Berlin / Doch verschwend keinen Gedanken daran wegzuziehen / Denn ich hab das beste Team“.

Während Hip Hop als neuer Pop längst alle Popfest-Tage im Lineup durchzieht, hört man zum Auftakt auch höchst unterschiedliche Töne. Anna Mabo verbindet als Opener auf der Großen Bühne kompromisslose Dichtkunst mit hoher Musikalität. Sie kann kleinkunstartig witzig und theatralisch sein („Baby ich weiß, wir hatten andere Pläne, aber jetzt bin ich mit dir in Quarantäne“), im nächsten Moment steigert sie sich in dunklen Existenzialismus mit psychedelischen Einsprengseln.

In der kleinen Halle buchstabiert später Katarina Maria Trenk alias KMT den Begriff Abriss so konzentriert und kompromisslos aus, dass Unvorbereiteten, die gerade von den souligen Tönen Eli Preiss’ hereingespült wurden, der Mund offen stehen bleibt. „Ich brauch einen Kaffee“, schreit KMT minutenlang über die spannungsgeladenen Noise-Drones aus ihrem Synthesizer. Sie verschluckt dabei fast das Mikro, wälzt sich am Boden, pustet in eine Trompete und funkelt einzelne Besucher*innen so eindringlich an, dass sie am liebsten selbst hinauslaufen würden, den Kaffee besorgen. „Ohne Zucker!!“

Ebenfalls ausgezeichnet gibt sich der nachtgetränkte Post-Punk/Darkwave der Newcomer Zack Zack Zack in der Liveversion. Die höchst klassische Ästhetik des Musiker-Duos bekommt live zu Fünft durch eine zweite Stimme, die türkische Laute Cümbüş und den prominenten Einsatz des Saxophons genau jenen Tick Scharfkantigkeit, der ihren Auftritt allen Dagewesenen noch lange in Erinnerung halten wird. Auch genau dafür ist das Popfest da.

Wenn sich zum Abschluss des Eröffnungsabends vor der Open Air Bühne schon wieder alle Menschen in den Armen liegen, dann liegt das daran, dass Buntspecht den idealen Soundtrack dafür spielen. Das Wiener Sextett verbindet weltumarmenden Indie-Folk mit Balkanpop und südamerikanischen Rhythmen, feuert also aus der Hüfte direkt in Herz und Beine ihres Publikums, während das Vokalisten-Doppel Lukas Klein und Florentin Scheicher dem Kopf für später so schöne Zeilen füttert wie: „Denn du wickelst meine Haare wie die Welt um deinen Finger, Und all die Dinge, die waren, sind es deiner Meinung nach noch immer“.

Ein Abend, der lustvoll die Zukunft zelebriert und dennoch nie ignorant wird gegenüber der taumelnden Gegenwart: Ein symbolhafter Auftakt für das Popfest 2021.

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