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Vanja ist einer der friedlichsten Menschen, die ich kenne

Ich habe Jahre lang nichts von Vanja gehört. Vanja lebt in Kiew. Wir haben mal zusammengewohnt in Wien. Damals hat er sich als Janos vorgestellt.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Vanja hatte damals eine ungarische Uroma gefunden, damit er einen ungarischen Pass bekommt. Geboren wurde er im ukrainischen Städtchen Uschhorod. Er hatte mit dieser Uroma genau so viel zu tun wie ich.

(Anmerkung des Chronisten: Im 10. Jahrhundert hat die Stadt Uschorod kurzfristig zum damaligen bulgarischen mittelalterlichen Staat gehört. Wir wollen aber nicht in die Geschichte reingrübeln, um nicht wie Putin zu sein. Putin meint ja, dass es ein Land wie die Ukraine eigentlich gar nicht gibt und dass die Ukraine immer zu Russland gehört habe. Stellt euch vor, dass Bulgarien territoriale Forderungen an Uschorod stellt. Das wäre natürlich ein Blödsinn.)

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Ich rufe Vanja in Kiew an, da ich mir Sorgen mache, dass er mobilisiert wird und kämpfen muss. Vanja ist einer der friedlichsten Menschen, die ich kenne. Als er mein Mitbewohner war, war er kein einziges Mal böse zu mir. Und Gründe dafür hätte er reichlich gehabt. Er hat manchmal Gäste von mir in seinem Bett schlafend gefunden. In so einem Fall hat er sich einfach auf den Boden gelegt und seine alten Schuhe als Polster genommen. Er ist nicht mal böse geworden, als Gäste von mir sich Zigaretten aus seinem Ungarisch-Lehrbuch gedreht haben. Vanja schlief immer mit einem Ungarisch-Lehrbuch neben seinem Kopf, damit er, falls die Fremdenpolizei kommen würde, etwas auf Ungarisch sagen kann. Laut Pass war er ja ein Ungar.

Über den Vorfall mit den Zigaretten hat er nur gelacht. Aus dem Lehrbuch fehlten die Seiten, wo es um einen Jagdausflug ging. „Wenn ich irgendwann jagen gehen sollte, dann nicht mit Ungarn!“, lachte er.

Als ich Vanja anrufe, hört man seine Stimme schlecht, da er laut den Song „Kvasa Kvasa“ hört, von einer russischen Band mit dem deutschen Namen Markscheider Kunst. „Ich habe Zeit für nichts und die Zeit vergeht so schnell“ singen sie. Er meint, er höre ein russisches Lied, um sich auf eine Okkupation vorzubereiten, und lacht. „Ich glaube, ich bin schuld an dem Ganzen“, meint er, „ich habe einen ungarischen Pass und Ungarn ist ein russischer Satellit. Ich habe in Österreich gelebt und die Österreicher wollen bloß nicht den Russen in die Quere kommen. Ich bin ein Ukrainer und unser Land ist machtlos.“

Ich will ihn beruhigen, dass alle Diktatoren irgendwann früher oder später weg sind. Er antwortet unerwartet auf Ungarisch: „ők elmennek, mi pedig maradunk.“ Und das heißt: „Sie gehen und wir bleiben.“

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