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Verlassene Tankstelle vor Weizenfeldern

Pixabay/Daria

mit akzent

Gestrandet an der Tankstelle - wegen der Ideale

Ein echter Idealist verkauft seine Seele nicht - auch dann nicht, wenn er ganz allein und ohne Geld an einer Tankstelle festsitzt.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Ihr wisst, dass ich euer Low-Life-Experte bin. Ein Experte, der mit einem Mikrobudget zu existieren weiß. Ich habe nichts außer meine Ketten zu verlieren, frei nach Karl Marx.

Vor einigen Tagen rief mich mein Freund Sascho an. Sascho und ich haben mal ganz Bulgarien per Autostopp durchkreuzt. Wir fuhren in LKWs durch Bergpässe und sangen, besser gesagt schrien, gegen die Luftströmung unsere Lieblingslieder - am meisten das Lied, wo man singt, dass alle Polizisten Bastarde sind. Manchmal nahmen uns Manager in teuren Limousinen, manchmal Arbeiter in Traktoren mit. Einmal schlug uns ein Typ vor, dass wir auslosen, wer seine Tochter heiraten darf, da wir sympathische junge Leute seien.

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Lange habe ich nichts von Sascho gehört, bis er mich neulich angerufen hat. Er meinte, er muss schnell sprechen, da er in Serbien stecken geblieben war und dort waren die Roaming Preise anders als in der EU. Er fuhr per Anhalter Richtung Wien, um mich zu besuchen. Ohne mich vorher anzurufen und ohne sich vorher zu erkundigen, ob ich überhaupt hier bin. Er habe aber sein Gepäck in einem Auto vergessen, er stieg ohne Geld und ohne Dokumente auf einer Tankstelle aus und wusste nicht weiter.

Was konnte ich jetzt machen? Geld in Richtung „die Tankstelle auf der Autobahn“ schicken? Wie konnte man ihm einen Pass besorgen? Ich riet ihm, die Polizei aufzusuchen und einen Weg ins bulgarische Konsulat in Belgrad zu finden. Vielleicht konnten sie ihm in so einem Notfall helfen. Er nahm meinen Vorschlag empört entgegen. Er konnte doch nicht diese Bastarde, die Polizisten, um Hilfe fragen, und die vom Konsulat seien auch alle Polizisten. Wo waren meine einstigen Ideale? „Jetzt weiß ich, warum du in Österreich prosperiert hast! Du hast deine Seele verkauft!“ Dann legte Sascho auf. Es gab keine Zeit, ihm zu erklären, dass ich nicht so viel prosperiert habe und dass ich hoffe, dass meine Seele immer noch bei mir ist. Ich mache mir Sorgen um ihn. Wenn ihr durch Serbien fahrt und einen dünnen Mann mit lockigen Haaren seht, der an der Autobahn wartet, nehmt ihn bitte mit. Das ist mein Freund Sascho, ein echter Idealist.

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