Todor kennt einen Pferdeflüsterer

Er trägt eine Winterjacke und kann ein bisschen zaubern.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Es ist verdammt heiß. Ich gehe über den Gürtel und ich fühle mich wie ein Eis, das jeden Moment auf dem Asphalt schmelzen wird. Mir gegenüber steht Mihai. Er hat eine Jacke an. Eine dicke, blaue Jacke, die man zum Skifahren anzieht. Menschen meiden ihn. Sie halten ihn für verrückt. Und ganz Unrecht haben sie nicht. Ich hingegen mag es, mich mit Mihai zu unterhalten. Ich frage ihn, warum er so angezogen ist. „Ich sammle Wärme für den Winter“, sagt er und lächelt mich mit seinen Pferdezähnen an.

Mihai liebt Pferde. Den ganzen Tag schaut er den vorbeifahrenden Fiakern nach, die träge Touristen herumführen. Aber ihm sind die Touristen und die Fiaker egal. Mihai beobachtet die Pferde. Er weiß, wie jedes Pferd heißt.

Einmal war Mihai traurig. „Maximilian hat sich am Knie verletzt“, sagte er. Ich dachte zuerst, dass dieser Maximilian ein Freund von Mihai sei, verstand aber dann, dass es sich um ein braunes Fiakerpferd handelte, das immer rechts am Fiaker steht. Leider war der Fiakerfahrer an diesem Tag krank und sein Vertreter ließ Maximilian links an der Kutsche gehen. Das führte zu der Verletzung, die Mihai so traurig gemacht hat.

Ich fragte ihn, ob er dabei war, als sich das Pferd verletzte. Er war nicht dabei, aber er habe alles gespürt, meinte Mihai. Er spüre alle Pferde und könne ihre Gedanken lesen. Wie ich bereits sagte, ist Mihai ein bisschen crazy. Bald fuhr aber ein Fiaker an uns vorbei, links ein braunes Pferd mit einem verletzten Fuss. Ist Mihai tatsächlich verrückt oder ist er ein Prophet, der unter uns lebt? Mihai schaute bereits dem nächsten Pferd nach. „Jemand sollte sich seine Hufeisen anschauen, ein Nagel ist lose“, sagte er.

Mihai kann sich nicht erinnern, wo er geboren wurde und seit wann er in Wien ist. Er weiß nur, dass seine Familie eine Pferdekutsche hatte, als er klein war. Eines Tags fuhr sein Vater betrunken damit und die Kutsche hatte ein Unfall. Mihai kam unter die Hufe. Das Pferd hätte ihn zertrampeln können, aber es sprang über ihn drüber und Mihai überlebte. Seitdem erinnert er sich an nichts mehr.

Ich schwitze schon, wenn ich nur die Jacke von Mihai sehe. Er hingegen schwitzt nicht und riecht so, als ob er gerade geduscht hätte. Er sammelt ja Wärme für den Winter. Im Winter läuft er in Unterhemd herum und schläft unter einer Tischtennisplatte im Park. Vielleicht sammelt er tatsächlich Wärme für den Winter. Ein orientalisches Sprichwort sagt, dass die Verrückten auf einer Brücke zwischen zwei Welten stehen. In welcher Welt lebt Mihai?