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Vampire Survivors

Poncle

Kleines Game mit großem Impact

Das minimalistische Spiel „Vampire Survivors“ hat seinen Macher reich und die Spielwelt um ein neues Genre reicher gemacht. Versuch einer Annäherung an ein Phänomen.

Von Rainer Sigl

Es ist so etwas wie der ewige Traum aller Indie-Games-Entwickler: Eine gute Idee haben, ein kleines Spiel machen und damit aus dem Nichts zum Millionär werden. Für die Macher von „Minecraft“, „Undertale“, „Stardew Valley“ und doch so einiger anderer Spiele hat es geklappt. Für Luca Pieracci Galante ebenfalls.

Der aus Rom gebürtige Entwickler, der in London lebt, hat Ende 2021 sein Spiel „Vampire Survivors“ veröffentlicht, im Early Access, um knapp unter drei Euro. Die Grafik ist minimalistischer Pixelstyle, eingekauft in einem Sprite-Pack, der Sound ist zweckmäßig und nicht einmal das Spielprinzip ist neu. „Vampire Survivors“ wird in der dritten Dezemberwoche auf Steam veröffentlicht, zugleich mit 257 anderen Spielen.

Dann passiert: nichts.

Von Null auf 100

Erst im Januar beginnt sich etwas zu bewegen. Das kleine Spiel zum lächerlich niedrigen Preis findet Käufer*innen, die ersten Rezensionen sind begeistert. Einzelne, gar nicht einmal so große Streamer wie der US-Amerikaner Splattercat entdecken den Reiz der „Reverse Bullet Hell“: Zu Beginn lenkt man noch eine schwache Spielfigur, doch nach schnellen Upgrades wird jede*r in „Vampire Survivors“ selbst zur wandernden Monstermähmaschine, die sich einen Weg durch buchstäblich tausende Gegner bahnt. Erste Rezensionen feiern den Underdog als Überraschungsentdeckung und Geheimtipp.

Im Januar spielen durchschnittlich 10.000 Menschen das Spiel, im Februar klettert diese Zahl auf ein Alltime-High: 77.600 Menschen spielen gleichzeitig „Vampire Survivors“, bedeutend mehr als etwa das zum selben Zeitpunkt erschienene AAA-Vehikel „Cyberpunk 2077“. Luca Galante kündigt seinen Brotjob, um sich ganz der Entwicklung seines Spiels zu widmen; im April knackt das Spiel die Marke von 2,5 Millionen Verkäufen. Im August führt es die Statistik als meistgespieltes Spiel auf dem SteamDeck an, heute hat das Spiel auf Steam fast 120.000 Rezensionen, 98% davon positiv - auch das ein Rekord.

20 minutes Till Dawn

flanne

„20 Minutes Till Dawn“: Stylish, actionlastiger und empfehlenswert.

Aber: warum?

„Vampire Survivors“ erfindet wenig neu und schafft es trotzdem, quasi aus dem Nichts ein ganzes Genre zu begründen. Unzählige Epigonen buhlen seit seinem verblüffenden Erfolg um Aufmerksamkeit. Darunter liebevoll gemachte, wie „Boneraiser Minions“, „20 Minutes Till Dawn“ oder „Rogue: Genesia“ sowie - natürlich - jede Menge billiger Kopien, die das Originalkonzept nur minimal variieren. Die Frage, die sich aufdrängt: Warum hat es dieses kleine, nicht besonders hübsche und nicht einmal überragend originelle Spiel geschafft, so ein Phänomen zu werden?

Die Antwort darauf findet sich vielleicht in der Berufslaufbahn seines Schöpfers. Bevor Luca Galante als Indie-Entwickler Erfolg hatte, war er für die Glücksspielindustrie als Programmierer tätig. Die Ästhetik der Belohnungsmaschine „Vampire Survivors“ ist nicht zufällig jener von realen Casinos verwandt, wie der Entwickler auch in einem Interview freimütig eingestand. Die wohligen Endorphinstöße, die etwa einarmige Banditen mit ihren genau getimten Feedback-Loops in uns auslösen, sind auch in „Vampire Survivors“ am Werk.

Rogue Genesia

Huard Ouadi

„Rogue: Genesia“ ist das bislang hübscheste Vampire-Survivors-like.

Die Slot-Machine, die kein Geld von uns will

Kein Wunder, dass viele Menschen diesem unscheinbaren Spiel verfallen: „Vampire Survivors“ nimmt die Belohnungsintervalle, die bewährten ästhetischen Reize und vielleicht sogar das zurückgenommene Maß an Interaktionsmöglichkeit der weiten Welt der Slot-Machines und überträgt sie in ein Videospiel. Nicht einmal diese Idee ist neu, denn exakt das versucht gewissermaßen so gut wie jedes Free-to-Play-Spiel von „Diablo Immortal“ abwärts seit Jahren.

„Vampire Survivors“, seit Dezember 2020 im Early Access, entwicket und vertrieben von Poncle, erscheint am 20.10. final für Windows.

„Vampire Survivors“ hat vielleicht einfach nur eine besonders gut funktionierende neue Mischung der altbekannten Ingredienzen hingekriegt - und, das versöhnt ein wenig, mit einem im Gegensatz dazu grundsympathischen Preismodell verknüpft. Offensichtlich gab es da einfach auch eine Marktlücke, ein bislang unerkanntes Bedürfnis nach kleinen Spielen zum kleinen Preis, die ohne übermäßige Anstrengung ganz entspannt nebenbei gespielt werden können, in kleinen Runs von maximal 20 Minuten, und uns regelmäßig und großzügig mit Endorphinen überschwemmen.

Das Leben ist prinzipiell, aber 2022 vielleicht ganz besonders, schon hart genug.

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