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Argentina's forward #10 Lionel Messi lifts the World Cup trophy during the Qatar 2022 World Cup trophy ceremony after the football final match between Argentina and France

FRANCK FIFE / AFP

Karim El-Gawhary zum Abschluss der WM in Katar

Was wird von dieser Fußball-WM in Katar übrig bleiben? ORF-Experte Karim El-Gawhary teilt seine Einschätzungen.

Im Vorfeld gab es vor allem im Westen eigentlich kaum Vorfreude auf diese WM. Angefangen von den Menschenrechtsverletzungen bis zu den Temperaturen, gab es kaum etwas, das nicht kritisiert oder bemängelt wurde. Was kann man jetzt im Rückblick sagen, haben sich diese Ängste bestätigt oder war es am Ende doch eine ganz normale WM?

Karim El-Gawhary: Viel Kritik war natürlich berechtigt, von der Korruption bei der Vergabe der WM bis zum Umgang mit den Arbeitsmigranten. Das spielte beides bei der WM aber dann keine wirkliche Rolle mehr. Andere Kritik, über Frauen- und LGBTIQ-Rechte, betrafen mehr die Gesellschaft selbst und da muss man die Gesellschaft einfach dort abholen, wo sie ist. Es ist durchaus nicht so schwarz-weiß, wie oft dargestellt wird. Nehmen wir die Frauen: Ja, es gibt immer noch, wie überall am Golf, ein System der männlichen Vormundschaft. Aber die Technische Universität in Doha hat beispielsweise einen wesentlich höheren Frauenanteil als die TU in Wien.

Karim El-Gawhari

Manfred Weis

Karim El-Gawhary leitet seit Mai 2004 das ORF-Büro in Kairo und betreut von dort den gesamten arabischen Raum. Er meldet sich als Auslandskorrespondent regelmäßig in den Nachrichtensendungen des ORF zu Wort. Seine Eindrücke der ersten Fußball-WM im arabischen Raum teilte er mit FM4 bereits hier und hier.

Ich finde, viel Kritik war gerechtfertigt, andere kam oft doch sehr selbstgerecht rüber, so als wolle man sich in Europa auf die Schulter klopfen, wenn man sich moralisch überlegen fühlt. Das war dann, glaube ich, nicht mehr sehr zielführend, zum Beispiel wenn es darum geht, die Lage von Frauen zu verbessern. Es war eine kontroverse WM, es war aber nicht so schwarz-weiß, wie oft dargestellt wurde. Katar ist ein Land im Fluss und am Ende wurde halt dann doch auch Fußball gespielt und gefeiert. Und das dramatische Finale hat dann dem Fußballspielen selbst endgültig die Krone aufgesetzt.

Der Erfolg von afrikanischen und arabischen Teams war eine der großen Storys bei dieser WM. Hat der Austragungsort zu diesem Erfolg beigetragen?

Karim El-Gawhary: Es war natürlich ein Heimspiel für die arabischen Teams. Es gibt normalerweise eine unheimliche Konkurrenz, gerade zwischen den nordafrikanischen Mannschaften, wenn zum Beispiel Ägypten gegen Algerien spielt oder Marokko gegen Algerien. Am Ende standen dann alle hinter Marokko, das dann als erstes afrikanisches, arabisches Team in die Geschichte der WM in ein Halbfinale zog. Das ist eben anders als in Europa, wo es ja zum Beispiel in Österreich viel Häme gibt, wenn Deutschland verliert. In der arabischen Welt unterstützen alle die verbliebenen arabischen Teams und der Austragungsort war hierbei sicherlich ein Faktor. Jedes Marokko Spiel war ein Hexenkessel und ich war bei mehreren dabei. Und es waren nicht nur die angereisten Fans aus Marokko. Seit Wochen sind die Marokko-Trikots in Katar zum Beispiel ausverkauft.

Auch während der WM haben die Kontroversen nicht aufgehört. Zuerst der Verbot von One-Love-Armbinden und am Ende dann die Korruptionsaffären rund um EU-Abgeordnete. Hat das alles die WM überschattet?

Karim El-Gawhary: Hier hat man davon wenig gespürt. Das kommt darauf an, wen man fragt. Fragt man in Europa, dann gibt es viel Kritik, und da wird natürlich etwas an Katar kleben bleiben. Fragt man die Kataris selbst, dann sind sie unheimlich stolz, diesen Mega-Sportevent gestemmt zu haben. Und diesen Stolz teilen sie sicherlich mit der gesamten arabischen Welt. Als dann der Erfolg Marokkos noch dazu kam, gab es hier einfach nur noch eine Fußball-enthusiastische Atmosphäre.

Zeitweise schien es so, als würden zwei unterschiedliche Weltmeisterschaften stattfinden. In Europa die Diskussionen, während in arabischen, afrikanischen und asiatischen Staaten die WM groß gefeiert wurde. Kann man sagen, dass die Erinnerungen an diese WM ganz anders sein werden?

Karim El-Gawhary: Das mit Sicherheit. Ich habe es ja schon erklärt: Hier in Katar wird die WM als Erfolg gefeiert. Das gilt übrigens auch für alle Fans, die hier waren, auch die europäischen. Ich habe vor ein paar Tagen ein Dutzend Fans gefragt, welches Zeugnis sie dieser WM ausstellen, und das war durchwegs positiv.

Marokko ist bis ins Halbfinale gekommen. Das Land will sich jetzt auch in Zukunft als Austragungsort bewerben. Wird die WM in Katar dazu führen, dass arabische, afrikanische und asiatische Staaten eine größere Rolle im internationalen Fußball spielen?

Karim El-Gawhary: Der Erfolg Marokkos und die Tatsache, dass eine afrikanische Mannschaft ins Halbfinale eingezogen ist, wird automatisch bei der nächsten WM das Kontingent afrikanischer Teams erhöhen. Und in den europäischen Ligen spielen Afrikaner und Araber schon längst eine große Rolle. Das war so interessant bei dem Spiel Frankreich gegen Marokko: 14 von 26 Spielern im marokkanischen Kader waren in Europa geboren oder spielten dort von ihrer Jugend an Fußball. In gewissem Sinne war die marokkanische Mannschaft ein Team aus Europa, das aber nicht für Europa gespielt hat. Und andersherum: Im französischen Team waren viele Spieler afrikanischen Ursprungs. Die nationalen Grenzen, die verschwimmen immer mehr im Fußball.

Bei allen Sportgroßereignissen ist die Nachhaltigkeit immer die große Frage. Was wird von dieser WM in Katar übrig bleiben?

Karim El-Gawhary: Nachhaltig war die WM sicherlich nicht. Ich muss sagen, für mich war es ein gewisser Schock. Ich kam direkt von der Weltklimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheikh nach Katar zur WM, und da spielte Nachhaltigkeit keine Rolle. Manche Stadien werden abgebaut und woanders aufgebaut, zum Beispiel in Tunesien. Aber insgesamt gesehen gibt es hier in diesem Land jetzt eine riesige Sport-Infrastruktur und wir werden sehen, wie Katar diese in der Zukunft weiter nutzen wird.

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