FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Neues Album von Will Butler

Alexa Viscius

Will Butler nach Arcade Fire

20 Jahre hat Will Butler neben seinem Bruder in der eine Ära prägenden Indie-Rock-Band Arcade Fire gespielt. Vor einem Jahr gab der Multiinstrumentalist seinen Ausstieg bekannt. Jetzt liegt sein erstes Album als Will Butler + Sister Squares vor.

Von Christian Lehner

So lässt sich aus wenig viel machen. Im Video zum Song „Arrow of Time“ erzählt ein eingeblendeter Text eine Geschichte, die mit den Lyrics des Songs korrespondiert. „We shot this footage in July 2023“, ist da zu lesen. Und weiter: „About 18 months before the bomb in Jūrmala.“ Es folgt eine dystopische Erzählung. Vermutlich durch einen Unfall hat Russland eine Atombombe auf den lettischen Badeort abgeworfen und so eine nukleare Katastrophe ausgelöst. „There were infinite fuckups“, so das Spruchband weiter. „But also we’ll never know“. Im Hintergrund ein im Sinne der Talking Heads nervöser Song, dessen Lyrics klagen: „Waiting for the sun to go down / Waiting for the kill.“

Das Video zeigt eine Autofahrt, die von Brooklyn zu einem unbekannten Auftrittsort führt. Die Bandmitglieder von Will Butler + Sister Squares werden aufgesammelt. Es geht über die George Washington Bridge zu einer kleinen Venue irgendwo in der Tri-State-Area. Die Band spielt, die Band fährt wieder nach Hause. Der Clip bildet den Musiker:innenalltag ab, der bald nicht mehr so sein wird, wie er war. Bild, Text und Ton ergeben einen Road-Movie, der durch den Subtext zum Disaster-Movie wird. Gekostet hat der Film nichts außer Zeit und Kreativität.

Ich bin zwar etwas nervös, wie die neue Platte ankommt, aber mein Bauchgefühl hat mir gesagt, dass es Zeit für etwas Neues ist.

„Ich habe die Footage mit einem 20 Jahre alten Camcorder aufgenommen“, erzählt Will Butler im FM4 Interview. „Ich begann das Material noch auf der Rückfahrt im Band-Van zu editieren. Ich weiß nicht, woran es lag, vielleicht an der alten Kamera und der körnigen Aufnahme, aber plötzlich überkam mich ein starkes Gefühl von Nostalgie wegen diesem Gig, den wir gerade mal sechs Stunden zuvor gespielt hatten. Vielleicht war ich einfach müde, aber es fühlte sich an wie der Blick zurück auf etwas, dessen Zukunft vollkommen anders sein würde, als wir es gerade erleben.“

Zwischen Arcade Fire und Kunstgalerie

Dann knüpft Butler Assoziationsketten, erzählt vom Kalten Krieg, den er als Kind in den Achtzigerjahren eher als Gefühl wahrgenommen hat, von der drohenden Apokalypse, die das allgemeine Empfinden dieser Zeit prägte, vom Süden Brooklyns, wo er mit seiner Frau und drei Kindern lebt, gleich nebenan die osteuropäisch eingefärbten Communitys, die bis nach Coney Island hinunterreichen und im Volksmund „Little Odessa“ gerufen werden. Menschen aus dem Baltikum, aus Russland und der Ukraine leben hier zusammen. Der Krieg hat auch in diesen Neighborhoods für Spannungen gesorgt. „Ich hatte darüber hinaus regen Kontakt zur Rockszene in Moskau“, sagt Will mit Sorgenfalten in der Videoschalte, „keiner dieser Menschen lebt heute noch dort“.

Neues Album von Will Butler

Merge Records

„Will Butler + Sister Squares“ ist auf Merge Records erschienen. Hier geht es zum FM4 Interview-Podcast mit Will Butler.

Die ersten drei Soloalben, die Will Butler noch während seiner Zeit bei Arcade Fire veröffentlicht hatte, waren politisch motivierte Fragestellungen zum gesellschaftlichen Zusammenleben in den USA. Bereits die Songs von Arcade Fire kreisten immer wieder um dieses Thema. Will fand neben dem intensiven Band-Leben sogar Zeit, in Harvard ein Master-Studium in Public Policy zu absolvieren.

Das neue Album wollte er eigentlich frei von Politik halten. „Es geht darum herauszufinden, was vor der Bildung des Bewusstseins war, oder darum, was mit einem los ist, bevor man die Tageszeitung aufschlägt“, so Butler. „Wie fühlte sich etwa der zehnjährige Will, bevor er all die Musik, Bücher und Filme konsumierte, die einen zu dem Menschen formen, der man geworden ist?“

„Will Butler + Sisters Squares“, so auch der Titel des Albums, taucht ein in die unmittelbaren Empfindungen. „Saturday Night“ beschreibt die einzigartige Stimmung einer Night-Out in New York, wo man nicht unbedingt in einem Club abhängen muss, um eine gute Zeit zu verbringen: „Man nimmt den F-Train und fährt über Brooklyn nach Manhattan und denkt sich: Wow! Da war der Proberaum der legendären Band Suicide und hier feierte die Clique von Andy Warhol. Man geht die 14. Straße runter und alle zwei Blocks ändern sich Menschen und Sounds.“

In „Car Crash“ wird das Entsetzen über einen schweren Verkehrsunfall vom Sound der Nachbarschaft absorbiert. „Der Song basiert auf einer Beobachtung“, erklärt Will Butler. „Wir leben in einer relativ ruhigen Gegend Brooklyns. Aber da ist diese Hauptstraße. Und dann war da dieser Einbruch des Brutalen in die Idylle. Ein Unfall. Das Auto auf dem Dach. Überall Glassplitter. Es war Mitternacht. Nach dem Knall sind die Menschen auf die Straße geströmt und es setzte ein babylonisches Sprachengewirr ein! Ein bengalische Familie steht herum, daneben ein sich auf Russisch zankendes Ehepaar und orthodoxe Juden, die staunen.“

Ein New-York-Album

Eigentlich wollte Will Butler nach seinem Ausscheiden bei The Arcade Fire bei sich zu Hause im Dachboden ein nerdiges Soloalbum aufnehmen. Aber dann kamen immer mehr Menschen aus dem unmittelbaren Umkreis dazu. Zunächst Wills Frau, die Tänzerin Jenny Shore, dann ihre Schwester, die Musikerin Julie Shore, dann deren Bekannte Sara Dobbs, eine Schauspielerin und schließlich Miles Francis von der Band Antibalas. Mit Will bilden sie nun Will Butler + Sister Squares. „Wir sind keine Folk-Band, aber wir funktionieren ähnlich, indem wir mit dem Material und den Leuten arbeiten, die aus unserer Community stammen.“

Die Freiheit, zu improvisieren und selbst zu entscheiden, war der Grund, warum Will nach der Fertigstellung des letzten Arcade-Fire-Albums „WE“ die Band verlassen hatte. Die Entscheidung fiel noch vor dem Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen seinen Bruder Win Butler. „Ich bereue es nicht. Ich bin zwar etwas nervös, wie die neue Platte ankommt, aber mein Bauchgefühl hat mir gesagt, dass es Zeit für etwas Neues ist, und das fühlt sich noch immer so an.“

Die Musik von Will Butler + Sister Squares wirkt dementsprechend leichtfüßig und unbekümmert, erinnert im Gesang, den Arrangements und der Melodieführung aber doch immer wieder an Arcade Fire. Aber Will Butler + Sister Squares sind frei von dem zuletzt etwas verkrampften Bombast von Arcade Fire. Es wirkt wie eine Blockparty im Gegensatz zum Mega-Konzert im Madison Square Garden.

Uptempo-Songs wie „Stop Talking“ oder „Long Grass“ nehmen Anleihen am Synth-Pop und Post-Punk der Achtzigerjahre. Daneben stehen sprechintensive Stücke wie „Hee Loop“ oder „Good Friday, 1613“, die man eher im New Yorker Theaterbezirk Broadway vermuten würde als auf einer Pop-Platte. „Es hat definitiv eine etwas andere Form und auch einen anderen Swagger als traditionelle Rockmusik. Man hat das früher ja auch bei David Bowie gemerkt, dass er Schauspielunterricht genommen hat und dass sich das auf die ganze Präsentation und auch die Form der Songs ausgewirkte.“

Diese artsy Einsprengsel drücken das Niveau des Albums etwas. Einige Songs bleiben Fragmente und kommen nicht über eine Grundidee hinaus. Will Butler ging es hörbar nicht um Perfektion oder den großen Wurf. Sein Debüt mit Sister Squares hört sich vielmehr nach einem lustvollen Spaziergang durch die Abenteuerecken von New York York an – hier eine Gallery, dort eine Dive Bar und natürlich die Straßen und ihre Menschen und Geschichten. Will Butler genießt seine neu gewonnene Freiheit. Man darf gespannt sein, was da noch kommt.

Aktuell: