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Abschiebedrama in Walding

Eine armenische Familie, schwer gezeichnet durch Krankheit und Tod des Vaters, soll abgeschoben werden. Die Zivilgesellschaft leistet Widerstand - vorerst erfolgreich.

Von Christoph Weiss

Narine Bughdaryan lebt mit ihrer Familie seit sechs Jahren im Flüchtlingshaus Walding Rottenegg. Die Familie trägt ein schweres Schicksal: Der Vater Tigran, schon bei der Flucht schwer krank, erkrankte zusätzlich in Österreich an Krebs.

Wenn in Österreich eine Flüchtlungs-Familie abgeschoben werden soll, darf sie nicht getrennt werden. Die Behörde muss alle Familienmitglieder gemeinsam in Schubhaft nehmen. Anfang Juni wurde Narine Bughdaryan mit ihren zwei Kindern aus dem oberösterreichischen Ort Walding abgeholt. Erst dann fiel den Behörden auf, dass der krebskranke Vater im Spital lag, weil er sich gerade einer Chemotherapie unterzog. Der Abschiebeversuch wurde abgebrochen. Doch die Geschichte war noch nicht zu Ende.

Drei Wochen später stirbt der Vater an seiner Krebserkrankung. Kurz danach, nämlich vorgestern, holt die Polizei die Familie wieder ab. Jetzt, wo der Vater tot ist, reißt man die Familie ja nicht mehr auseinander – so denkt man bei den Behörden anscheinend. Es scheint auch egal zu sein, dass die kleinen Kinder – der siebenjährige Maxim und die neunjährige Mane - in Österreich aufgewachsen sind und Deutsch sprechen, und dass eine ohnehin durch den Tod ihres Ehemanns völlig zerstörte Mutter noch mehr traumatisiert wird.

Flüchtlingsfamilie vor Abschiebung

Netzwerk Überbrücken Walding

Vorgestern Nachmittag hätte der sieben Jahre alte Maxim eigentlich auf eine Geburtstagsfeier seines Freundes gehen sollen. Als ihn die Mutter des Geburtstagskindes abholen will, ist die Polizei aber schon da.

Weinend übergibt Maxim der Mutter des Freundes sein Geburtstagsgeschenk und sagt „Er soll mich nicht vergessen.“ Es war nicht die einzige verstörende Szene, sagt Brigitte Raffeiner, Obfrau von Überbrücken, einem Integrations-Netzwerk aus Walding: „Es war für alle sehr erschütternd. Die Mutter hat dem Buben beim Einpacken geholfen. Auch die anderen Kinder sind auf der Geburtstagsfeier in Tränen ausgebrochen, als man ihnen erzählt hat, was gerade passiert, während sie Party feiern sollen.“

Familie Bughdaryan würde bei einer Abschiebung alles verlieren: ihr Zuhause, ihre Freunde, und auch den Ort der Trauer, denn Ehemann Tigran liegt in Walding begraben. Nach dem Tod hat die Familie einen Antrag auf humanitäres Bleiberecht gestellt, dieser hat aber keine abschiebende Wirkung – deshalb konnte sie vorgestern nach Wien ins Anhaltezentrum gebracht werden.

Dann allerdings wurde die Zivilgesellschaft Waldings aktiv. Das Netzwerks Überbrücken aus Walding Rottenegg ist überparteilich, seine Mitglieder sind teils bei SPÖ, ÖVP und den Grünen aktiv. „Jeder hat seine Kanäle aktiviert“, sagt Brigitte Raffeiner. „Das ist dann raufgegangen bis zu Nationalratsabgeordneten und bis zum Bundespräsidenten. Obwohl wir keinerlei Pressekontakte oder Erfahrung mit Pressearbeit hatten, haben wir uns auch die Kontaktdaten von Redaktionen herausgesucht und Presseaussendungen verschickt. Und wir haben auf Facebook und anderen Social Media gepostet.“

Welche Maßnahmen genau dann gewirkt haben, lässt sich derzeit nicht feststellen – auf jeden Fall ist ein kleines Wunder passiert: Mutter Narine, Sohn Maxim und Tochter Mane wurden gestern wieder aus dem Anhaltezentrum in Wien entlassen. Im Moment sind sie wieder in Walding. Die Ungewissheit aber und der Tod des Ehemanns und Vaters der Kinder haben der Mutter schwer zugesetzt, sagt Brigitte Raffeiner: „Sie wird immer dünner und dünner. Sie hat Durchfälle. Sie ist nervlich ziemlich kaputt. Die Kinder stecken es oberflächlich sehr gut weg und sind sehr aufgeweckt. Als ich jetzt gerade im Flüchtlingshaus war, hat die neunjährige Mane gerade das Stiegenhaus geputzt und gesagt: ‚Diese Woche sind wir dran und der Mama geht’s nicht so gut.‘ Der Bub ist halt einer, der gar nicht spricht – weder über den Tod seines Papas, noch über die anderen Sachen.“

Wieder einmal war es die Reaktion der Zivilgesellschaft, die eine noch schlimmere Tragödie verhindert hat. Wie der Fall nun aber weitergeht ist unsicher - der Antrag auf humanitäres Bleiberecht wird von den Behörden noch einmal geprüft. Aufschiebende Wirkung hat ein solcher Antrag prinzipiell nicht. Fest steht aber, dass die im Amtdeutsch „Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen“ genannte Möglichkeit eigentlich für genau solche tragischen Fälle geschaffen wurde.

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