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Anote's Ark

Anote's Ark

Auf der Flucht vor dem Klima

Versunkene Inseln und wandernde Menschen

Von Nina Hochrainer

Wenn in den Geschichtsbüchern der Zukunft das Kapitel „versunkene Inseln“ aufgeschlagen wird, dann kann es sein, dass die Malediven im Indischen Ozean oder entlegene Pazifikinseln wie Kiribati, Tuvalu oder die Cook Islands als Beispiele angeführt werden. Diese niedrig gelegenen Inselgruppen stehen an der Frontlinie des Klimawandels – der Anstieg des Meeresspiegels bedroht ihre Existenz und die ihrer Bewohnerinnen und Bewohner.

„Climate change is not a political issue. It’s an issue of survival, it’s not an entirely economic issue. Maybe today for countries like mine. But in the future, for the planet, as a whole.” Mahnende Worte des Ex-Präsidenten von Kiribati, Anote Tong, aus der aktuellen Doku Anote’s Ark. Der Film folgt Anote Tong auf seiner verzweifelten Mission, seine kleine Nation vorm buchstäblichen Untergang zu retten. Letzten wissenschaftlichen Einschätzungen zufolge wird Kiribati noch vor Ende des Jahrhunderts von der Erde verschwunden sein.

Anote's Ark

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Anote Tong

Neben zahlreichen tropischen Inselstaaten zählen vor allem die Subsahara-Region, Gebiete im Nahen und Mittleren Osten und Südamerika sowie südasiatische Küstenzonen zu den durch die Klimaerwärmung besonders bedrohten Weltregionen. Jährlich durchschnittlich rund 14 Millionen Menschen - vor allem aus ärmeren Ländern - sahen sich zwischen 2008 und 2016 gezwungen, aufgrund durch den Klimawandel verschlechterter Lebensbedingungen ihre Heimat zu verlassen.

Ein Mensch pro Sekunde

Die Folgen der globalen Erwärmung können in den nächsten Jahrzehnten zum Hauptfluchtgrund werden. Bis zu 140 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2050, lautete der Warnruf der Weltbank vor einigen Monaten. Anders ausgedrückt: Jede Sekunde wird ein Mensch durch den Klimawandel vertrieben.

Als Fluchtgründe gelten dabei einerseits akute Ereignisse wie Stürme, Überschwemmungen oder Dürre aber vor allem auch schleichende Entwicklungen wie Küstenerosion, die Versalzung küstennaher Gebiete, Desertifikation oder Mangel an Ressourcen wie Wasser oder Boden. Willi Haas, der sich am Institut für Sozialökologie der BOKU Wien mit gesellschaftsbezogener Klimaforschung beschäftigt, erklärt: „Klimawandel wirkt langfristig auf die Bodenfruchtbarkeit. Wenn dadurch die Erträge zurückgehen, bedeutet das gerade in Gesellschaften die vorwiegend Subsistenzwirtschaft betreiben, also wo sich Menschen durch die Landwirtschaft selbst ernähren, dass die Lebenschancen geringer werden. Diese Menschen werden dann als Wirtschaftsflüchtlinge geführt, obwohl das über einen längeren Zeitraum sehr wohl mit dem Klimawandel zusammenhängt.“ Der Klimawandel wirkt so als Fluchtverstärker und Motor für Migration.

Anote's Ark

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Als erste Klimaflüchtlinge der Welt wurde 2014 eine Familie aus dem pazifischen Inselstaat Tuvalu bezeichnet – bei ihrem Antrag auf Bleiberecht in Neuseeland wurde Klimawandel erstmals als Gefahr berücksichtigt, Flüchtlingsstatus bekam die Familie allerdings nicht – denn für Klimaflüchtlinge existiert bisher keine eindeutige rechtliche Definition. Um Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu bekommen, werden rein persönliche und soziale Gründe anerkannt, also Verfolgung etwa aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität oder politischer Überzeugung. Äußere Umstände, wie Krieg oder eben Naturkatastrophen oder der klimabedingte Verlust des Lebensraums, zählen nicht dazu. Menschen, die aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen, bezeichnet das UN-Flüchtlingskommissariat deshalb als Klimavertriebene. Ruth Schöffl, Sprecherin des UNHCR warnt auch davor, die Flüchtlingskonvention anzugreifen: „Wenn man die Konvention jetzt aufschnürt, würde sie nie wieder zugehen - dann müssten sie alle Staaten neu unterschreiben und angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage würde das sehr schwer werden.“

Die Fluchtursachen sind zumeist vielfältig und wirken ineinander und aufeinander. Entlang vieler Konfliktzonen und Kriegsgebiete herrscht oft zugleich auch Ressourcenknappheit. Der Klimawandel verstärkt somit das Konfliktpotential, wie beispielsweise in Somalia: „Flüchtlinge aus Somalia sind doppelt betroffen: Einerseits konnten sie ihr Land nicht mehr bebauen und mussten deswegen in ein anderes Gebiet im eigenen Land ziehen. Dort wurden sie dann Opfer von gezielter ethnischer Verfolgung und mussten das Land verlassen“, erklärt Ruth Schöffl. Sie ergänzt: „Das kommt dann dem klassischen alten Flüchtlingsbegriff sehr nahe, das heißt, solche Menschen können dann natürlich auch als Flüchtlinge anerkannt werden.“

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Migration als Anpassungsstrategie

Den Großteil der klimabedingten Migrationsströme macht die Binnenmigration aus. Menschen wandern zumeist innerhalb der Grenzen ihres Landes – oder ziehen in weiterer Folge in Nachbarländer. „Die Meisten bleiben sehr nahe an ihrer Heimatregion. Wir gehen also nicht davon aus, dass auf einmal zig Millionen nach Europa kommen werden, auch wenn der Klimawandel weiter zuschlägt“, so Ruth Schöffl. Dem pflichtet Willi Haas bei: "Insgesamt ist das Migrationsthema natürlich mit einem Bedrohungsszenario besetzt. In vielen Fällen wollen die Menschen aber gar nicht weg.“ Er beschreibt die Migrationsbewegung als stufenartig: „In den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Gegenden findet eine Migration in Gegenden statt, die ein bisschen weniger vom Klimawandel betroffen sind. Es gibt kaum jemanden, der von einem ganz stark betroffenen Land in ein reiches Land geht.“

Migration ist demnach eine Form der Anpassung an den Klimawandel – die oft letzte Strategie, wenn alle anderen Mittel und Wege erschöpft sind. Reichere Länder verfügen dabei freilich über mehr dieser Mittel: So wird in den Niederlanden, das zu einem Viertel unter dem Meeresspiegel liegt, schon lange vorrausschauend in Hochwasserschutz und Umsiedlungen investiert, während in einem flachen Land mit mangelnder Infrastruktur und schlechten Versorgungskapazitäten wie Bangladesch die Auswirkungen einer Überschwemmung ungleich dramatischer sind.

Anote's Ark

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Klimawandel ist unfair

Jene Länder die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, und auch jene, die die meisten Klimavertriebenen aufnehmen, tragen am wenigsten zum Klimawandel bei. Geht es nach einem Beratergremium der deutschen Regierung, soll deshalb ein „Klimapass“ solchen Klimaflüchtlingen Staatsbürgerrechte in jenen Ländern verschaffen, die als Hauptverursacher der klimaschädigenden Treibhausgase gelten – also vorwiegend westliche Industrienationen. Ein kühner Vorschlag im Sinne globaler Fairness, doch wohl kaum umsetzbar.

2015 wurde von 109 Staaten die Nansen-Initiative verabschiedet, mit dem Ziel, Schutzmechanismen für Menschen zu finden, die wegen Naturkatastrophen und anderer negativer Klimawandelfolgen außer Landes geflüchtet sind. Als Nachfolgemechanismus dieser Initiative soll die Plattform zur Flucht vor Naturkatastrophen die festgelegte Schutzagenda umsetzen. Eine gesetzlich bindende internationale Übereinkunft wird aktuell jedoch nicht gefordert.

Bleibt der völkerrechtlich verbindliche Klimavertrag von Paris. Er hält fest, dass Staaten ihren Verpflichtungen gegenüber Klimavertriebenen dringend nachkommen müssen. Willi Haas appelliert: „Das Klimaabkommen muss von den Unterzeichnerstaaten ernst genommen werden. Das hilft zwar kurzfristig am wenigsten, ist aber langfristig das Wichtigste.“

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Was bedeutet das alles für die Bewohner von Kiribati? Letztjährige Überlegungen der neuseeländischen Regierung, ein Klimaflucht-Visum für Bewohner pazifischer Inselstaaten einzuführen, wurden mittlerweile wieder verworfen. Kiribatis früherer Präsident Anote Tong hat während seiner Amtszeit für sein Volk Land auf den Fiji-Inseln gekauft. Freiwillig weg von Kiribati wollen jedoch die wenigsten. Tongs Erkenntnis: “Climate change is the greatest moral challenge for humanity. We haven’t risen to the challenge.”

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