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Zwei Frauen mit Nikab verhüllt

APA/AFP/AHMAD AL-RUBAYE

Deshalb fliehen junge Frauen aus Saudi-Arabien

Zwei Schwestern aus Saudi-Arabien wollten während eines Familienurlaubes über China nach Australien fliehen. Doch in Hongkong wurden sie aufgehalten - angeblich hat das saudische Konsulat eingegriffen. Eine Recherche über den Hintergrund solcher Fluchtversuche.

Von Sophie Liebhart

„We are Reem and Rawan. We use these names to protect our identity. We have been hiding in Hongkong since September 2018.”

Diese Botschaft teilten zwei Schwestern aus Saudi-Arabien, die sich Reem und Rawan nennen, letzte Woche auf twitter, gemeinsam mit einem kurzen Video. Darauf zu sehen sind nur ihre Hände, denn sie wollen ihre Identität schützen. Über China wollten die beiden nach Australien ausreisen. Am Flughafen Hongkong wurden sie allerdings gestoppt. Ihr Weiterflug wurde storniert, das saudische Konsulat soll dahinterstecken. Reem und Rawan geben an, sich seitdem in Hongkong zu verstecken und ständig ihren Aufenthaltsort zu verändern, aus Angst vor einer Entführung. Die beiden sagen, sie seien vor der ständigen Unterdrückung und Gewalt in ihrer Heimat geflohen.

In Saudi-Arabien gilt das Vormundsystem. Das bedeutet, dass Frauen quasi für alles die Erlaubnis ihres männlichen Vormundes - ihres Vaters, Ehemanns, Bruders oder Sohns brauchen. Diese Einschränkung, oft kombiniert mit psychischer oder körperlicher Gewalt, geben die beiden Frauen als Fluchtgrund an. Und sie sind damit nicht die einzigen.

Auf der Flucht

Im Jänner ist der Fall der 18-jährigen Rahaf Mohammed Al-Kunun publik geworden, die vor ihrer Familie aus Saudi-Arabien geflohen und dann in Bangkok gestrandet ist. Über twitter bat sie um Hilfe. Es gab weitreichende internationale Solidarisierungsbekenntnisse und die junge Frau bekam schlussendlich Asyl in Kanada.

Rahaf Mohammel Al-Kunun bei ihrer Ankunft in Kanada

APA/AFP/Lars Hagberg

Rahaf Mohammed Al-Kunun bei ihrer Ankunft in Kanada

Zuletzt haben immer mehr junge Saudis versucht, zu fliehen. EU-weit waren es in den vergangenen vier Jahren knapp 700 Saudis, die um Asyl gebeten haben. Im Vergleich zu Asylanträgen aus anderen Ländern ist diese Zahl niedrig, aber in den Jahren zuvor hatte es kaum einen Antrag aus dem arabischen Königreich gegeben.

Laut Amnesty International haben 2017 drei Mal so viele Menschen aus Saudi-Arabien Asyl beantragt, wie in den Jahren zuvor. Es gibt keine genauen Zahlen darüber, wieviele Asylanträge davon von Frauen waren. Amnesty International sieht aber einen eindeutigen Zusammenhang dieser Zahlen mit dem verstärkten Vorgehen der saudischen Regierung gegen KritikerInnen und AktivistInnen. Die NGO spricht von einer „alarmierenden Situation der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit im Land“.

Die saudische Verwaltungs-App „Absher“ bringt einen Einschnitt

Ein weiterer Grund dafür, dass es immer mehr Fluchtversuche aus Saudi-Arabien gibt, ist aber noch ein anderer: Seit einigen Jahren gibt es im Land eine App namens „Absher“, was im saudischen Dialekt so etwas heißt wie: „In Ordnung!“. Das Programm regelt digital alle möglichen Behördengänge von der Zahlung eines Strafzettels bis zur Beantragung eines Passes. Über die App verwalten Männer und Väter auch die Daten der Frauen und können für sie beispielsweise festlegen, an welchem Flughafen sie Saudi-Arabien verlassen dürfen.

Die App wurde viel kritisiert, weil sie eine weitere Möglichkeit darstelle, die Freiheit der Frau einzuschränken. Tobias Zumbrägel von der Uni Erlangen, Experte für die Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens, sieht den Zeitpunkt der Einführung dieser App aber auch als Zäsur, seit der es deutlich mehr Fluchtversuche gibt. Denn die App eröffnet ganz neue Möglichkeiten – vor allem für Frauen. Mit den Berechtigungen der App kann man das Land verlassen, man muss dazu nur an das Handy des Vormundes kommen. Und das wäre früher mit Papier-Dokumenten nie möglich gewesen.

Schein-Öffnung?

Was die strengen Gesetze für saudische Frauen angeht, gab es in den letzten Jahren ein paar Lockerungen. Seit 2017 dürfen Frauen etwa Auto fahren. Tobias Zumbrägel sieht für diese aktuelle Veränderung jedoch andere Gründe, als eine gesellschaftliche Öffnung hin zu mehr Frauenrechten. Man müsse auch die ökonomischen Auswirkungen mitbedenken, sagt er. Ein Fahrer kostet beispielsweise 400 Dollar im Monat und das können sich nur sehr gut situierte Familien in Saudi Arabien leisten, sagt Zumbrägel. „Gleichzeitig steckt das Land seit dem Ölpreisverfall in großen ökonomischen Schwierigkeiten. Hier ist es einfach nicht möglich, auf die Hälfte der Bevölkerung als Arbeitskraft weiterhin verzichten zu können.“

Zumbrägel sieht die Veränderungen aber trotzdem als Hinweis auf einen bevorstehenden Wandel des Landes. Es seien kleine Schritte notwendig, um den konservativen Großteil der Bevölkerung, der gerade in den ländlichen Regionen lebt, auf eine gesellschaftliche Öffnung vorzubereiten, so der Wissenschafter. Und dass eine solche Entwicklung bevorsteht, das sei seines Erachtens nach „unumstößlich“.

Rüdiger Lohlker vom Institut für Orientalistik an der Universität Wien nennt die aktuellen Veränderungen allerdings eine Schein-Öffnung: „Autofahren und ins Kino gehen ist erlaubt, Konsum ist also okay, aber mach nichts Anderes! Dann kriegst du Ärger. AktivistInnen, die sich für Frauenrechte einsetzen, werden verfolgt“, kritisiert er.

Voraussetzungen zur Flucht

Und es ist wohl genau diese Bedrohung, die dazu führt, dass saudische Frauen beschließen, zu fliehen. Aber nur ein Bruchteil der Frauen hat überhaupt die Möglichkeit, eine Flucht in die Wege zu leiten, sagt Zumbrägel. Denn für eine Flucht braucht es gewisse Voraussetzungen, die für saudische Frauen nicht selbstverständlich sind. Fliehen können meist nur junge, gut gebildete Frauen, die oft schon Auslandsaufenthalte hinter sich haben. Denn nur sie verfügen überhaupt über einen Pass und über gewisse Sprachkenntnisse, sagt Zumbrägel. Außerdem sei es wichtig, „dass sie ausgebildet sind im interkulturellen Dialog, dass sie sich dadurch auch mit anderen Kulturen auseinandersetzen können. Und das trifft nur auf eine recht begrenzte Gruppe von saudischen Frauen zu“, so der Wissenschafter.

„Persönliche Familienangelegenheit“

Im Gegensatz zu dieser Gruppe junger Akademikerinnen, die das saudische System möglicherweise in Frage stellen, ist beim Großteil der saudi-arabischen Bevölkerung das Vormundschaftssystem tief verankert und wird nicht in Frage gestellt. Tobias Zumbrägel spricht bei der Umsetzung und Ausführung des Systems von einer „fast persönlichen Familienangelegenheit“.

Für die beiden Schwestern Reem und Rawan könnte genau das noch zum Problem werden. Wenn sie dazu gezwungen werden, nach Saudi-Arabien zurückzukehren, dann sind die Konsequenzen nur schwer abzuschätzen, weil sie eben in einen sehr privaten Bereich fallen, sagt Zumbrägel. „Das geht hin zu häuslicher Gewalt, die als eine gewisse Bestrafung staffinden kann. Das kann natürlich in einem noch stärkeren Protektionismus enden, der für diese Frauen dann jegliche Möglichkeiten untersagt, einen öffentlichen Raum zu nutzen.“

Laut ihrem Anwalt Michael Vidler wollen Hongkongs Einwanderungsbehörden die beiden 20 und 18 Jahre alten Schwestern noch bis zum 28. Februar „dulden“. Danach könnten sie abgeschoben werden.

Reem und Rawan hoffen nun in Hongkong darauf, dass ein sicheres Drittland, das Frauenrechte anerkennt, ihnen politisches Asyl gibt. Darum bitten sie auch in ihrem Video auf Twitter: „Everyday we fear that we will be kidnapped. We want desperately to be settled in a third country, in a place of safety before February 28th, when our time in Hongkong will expire.”

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