Das monumentale 5G-Sicherheitsdilemma hinter Huawei
Von Erich Moechel
Die Entscheidung Großbritanniens, Huawei als 5G-Lieferant zuzulassen, hat die Strategie der USA durchkreuzt, den gesamten Westen in ihren Handelskrieg gegen China hineinzuziehen. Der engste militärische Verbündete der USA hat damit seine Teilnahme abgesagt. Diese Entscheidung wenige Tage vor dem Brexit war paradoxerweise mit den EU-Staaten penibel akkordiert. Tags danach, am Mittwoch, zog die EU mit einer ganz ähnlichen Empfehlung nach.
Huawei-Equipment kann eingesetzt werden, aber nicht in kritischen Funktionen und nur bis zu einem gewissen Grad, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Das eigentliche Problem ist nämlich weniger Huawei, als vielmehr, dass auch die Konkurrenten Ericsson und Nokia ihr 5G-Equipment großteils in China entwickeln. Alle drei großen 5G-Lieferanten verbauen dabei massenhaft Elektronikkomponenten, die ebenfalls Made in China sind.
Ericsson
Als Sicherheitspolitik getarnte Martktpolitik
Im August 2019 hatte das britische GCHQ vor einem Totalboykott von Huawei gewarnt. Wenn nur mehr zwei Zulieferer übrig seien, sei das ein deutlich höheres Sicherheitsrisiko als der Quellcode von Huawei.
Bezeichnend sind die Reaktionen aus den USA. Außenminister Mike Pompeo, oberster Scharfmacher gegen Huawei der Trump-Regierung, zeigte sich zwar „enttäuscht“ und orakelte über mögliche negative Folgen für die europäische Sicherheit. Ansonsten nahm er die europäischen Entscheidungen zur Kenntnis und kündigte eine Überprüfung der britischen Sicherheitsmaßnahmen an, direkte Drohungen blieben diesmal aus. Für die Verhältnisse Pompeos war das eine ausgesprochen maßvolle und zurückhaltende Reaktion.
Der Maximalanteil von 35 Prozent für Basistationen, Switches und anderes 5G-Equipment von Huawei pro Mobilfunknetz wird in Europa als sicherheitspolitische Maßnahme verkauft. Dazu erließen die Briten noch andere Auflagen, etwa dass rund um militärische Anlagen etc. keine Komponenten von Huawei verbaut werden dürften. Tatsächlich ist das alles freilich eine rein marktpolitische Maßnahme. Seit den Anfängen von GSM trachten die Telekoms danach, möglichst mehrere Lieferanten als Netzwerkausrüster heranzuziehen, um nicht von einem Unternehmen abhängig zu werden.
Im Februar 2019 hatte das US-Außenministerium vor Schadsoftware, „Killswitches“ und möglichem Großdiebstahl „geistigen Eigentums“ gewarnt, wenn Equipment von Huawei in den kommenden 5G-Netzen verbaut werde.
Qualcomm und das 3G-Modem-Monopol
Ein solches Beispiel hatte Qualcomm, der einzige verbliebene US-Player unter den Mobilfunklieferanten, rund um den ersten Breitbandstandard 3G abgeliefert. Qualcomm hatte durch eine Myriade an Patenten de facto Lufthoheit über die Funkmodems in allen Endgeräten weltweit und Wucherpreise für die Lizenzen verlangt. Das hatte zuletzt eine EU-Kartellstrafe in Höhe von 240 Millionen Euro zur Folge, auf den Märkten in Südostasien wurde Qualcomm zu einer Milliardensumme verdonnert. Vor allem Huawei und ZTE, die damals nur über sehr wenige 3G-Patente verfügten, waren die Leidtragenden.
Nokia
Viele europäische Telekoms blieben bei dieser Linie der Diversifikation, andere aber gerieten unter Spardruck und in Folge wurde die gesamte Technik ausgelagert. Viele neuere Unternehmen im Mobilfunkmarkt haben ihre Netze ebenfalls an die Lieferanten ausgelagert und die hießen dann in den allermeisten Fällen Huawei oder ZTE. Diese Ausgangslage, meint der niederländische IT-Analyst und Entrepreneur Bert Hubert, sollte erst einmal überdacht werden und vor allem die Konsequenzen, die daraus resultieren.
Im Juli 2019 ging eine drakonische „Lex Huawei“ durch den US-Senat. Dazu die Hintergründe über die Kartellstrafen gegen Qualcomm.
Der Fluch des Outsourcing
Bereits in den frühen 2000er-Jahren hatten die Telekoms angefangen, Teile ihrer Services wie Callcenters, Abrechnungen usw. nach Indien und andere Staaten auszulagern. Vor allem in der Wirtschaftskrise nach 2008 steigerte sich das massiv, immer mehr Technik wurde ausgelagert und immer öfter hieß die Destination dann China. Besonders ZTE und Huawei bieten den kompletten Aufbau und technischen Betrieb der Netze als Service an. Das sieht der erfahrene Analyst Hubert - er ist seit 20 Jahren im Geschäft - als die weitaus größte Gefahr.
Bevor man sich also über die Spionagegefahr durch die Integration von Huawei-Technik in 5G-Netzen den Kopf zerbreche, sei erst einmal eine Überprüfung der bestehenden Praktiken angesagt, schreibt Hubert in seinem Blog. Wenn nämlich Spionage durch China befürchtet werde, denn stelle sich schon die Frage, ob es denn ratsam sei, hochsensible Datensätze wie alle Metadaten aller Kommunikationen zur Verarbeitung ausgerechnet nach China zu transferieren.
Ericsson
Im Sommer 2018 wurden in den USA „Sensationsmeldungen“ - die sich als haltlos erwiesen - über manipulierte, chinesische Hardware für die Clouds von Amazon und Apple lanciert.
Verlust der technischen Expertise
Die größte Gefahr sieht Hubert darin, dass bei den Mobilfunkfirmen durch die Auslagerung der Technik auch die gesamte technologische Expertise verlorengeht. Damit werde es immer schwieriger für die Telekoms, die Angaben von Lieferanten und Dienstleistern zu ihren Sicherheitsmaßnahmen überhaupt zu überprüfen. In Konsequenz daraus werde so die erste und wichtigste Linie der Verteidigung gegen Spionage oder Destabilisierungsmaßnahmen durch bösartige Lieferanten ausgeschaltet.
Sollte es tatsächlich irgendwann zu einer Konfrontation Chinas mit dem Westen kommen, dann sind in erster Linie also weniger Spionage durch Huawei-Hardware oder gar eingebaute „Killswitches“ zu befürchten. Das ist bei dieser einseitigen Ausgangslage auch gar nicht nötig. Um dem Westen nachhaltig zu schaden, müsste China eigentlich nur seine Managed Services für europäische Telekoms über Nacht einstellen und einen Ausfuhrstopp für Industrie-Elektronik verhängen.
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Publiziert am 02.02.2020