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Szenenbild "Berlin Alexanderplatz"

Stephanie Kulbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

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Verloren in Berlin, verwirrt in New York

Was bleibt über von den zwei Weltpremieren der Wettbewerbsfilme „Berlin Alexanderplatz“ und „The Roads not taken“? Naja, nicht viel, aber merkt euch den Namen Albrecht Schuch!

Von Pia Reiser

Dass ich noch nie aus einem Film rausgegangen sei, erzähl ich am Weg zur Vorführung von „Berlin Alexanderplatz“, nicht zufälligen Passanten, so berlinerisch bin ich jetzt in den zwei Tagen noch nicht geworden, sondern Kolleginnen. Meine Heldin nach circa 40 Minuten „Berlin Alexanderplatz“ ist die Dame ein paar Reihen vor mir, die aufsteht und geht. Ich bleibe sitzen, aber die Hoffnung, etwas Großartiges zu sehen, die hat auch ungefähr zum gleichen Zeitpunkt den Kinosaal verlassen.

Dabei klingt die Prämisse doch eigentlich gut. „Berlin Alexanderplatz“, der Roman von Alfred Döblin über den ewig strauchelnden Franz Biberkopf im Berlin Ende der 1920er Jahre als neonlichterne Parabel im Jetzt angesiedelt. Und Franz heißt hier Francis und flüchtet aus Westafrika nach Deutschland, die erste Einstellung haut einen auch tatsächlich noch um. Francis (Welket Bungue) und seine Freundin Ida in den Wellen des Meeres, das rot eingefärbt und bedrohlich ist. Und das Bild steht kopf. Ida ertrinkt, Francis schafft es an Land und schwört, ein gutes, ein anständiges Leben zu führen.

Schlecht für dieses Vorhaben und das Schicksal von Francis ist, dass er auf Reinhold trifft. Für uns ist das ziemlich gut, denn so können wir Albrecht Schuch bei der Tätigkeit scene stealing zusehen. Reinhold, der krumme, dürre Reinhold mit dem unironischen Schnauzer wird zum Highlight dieses Films. Albrecht Schuch wird Lars Eidinger den Rang ablaufen, schreib ich in mein Notizbuch. Wie er dieses Wiesel von einem Charakter auf die Leinwand bringt, den Arm stets seltsam geknickt in die Hüfte gestemmt, ohne zur Knallcharge zu werden, das ist fantastisch.

Szenenbild "Berlin Alexanderplatz"

Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

Nachdem das Schicksal Francis straucheln lässt, landet er also doch bei Reinhold, dem Drogendealer. Im Volkspark Hasenheide sorgt Reinhold dafür, dass der Drogenverkauf reibungslos verläuft. Regisseur Qurbani kennt diesen Park, er hat hier früher gewohnt und wollte einen Film über diese Männer machen. Doch er hatte Angst, dass ein Film über schwarze Drogendealer niemanden interessiert. Aber eine radikal neu gedachte Interpretation eines Romanklassikers, das kann man nicht ignorieren, so Qurbani.

Szenenbild "Berlin Alexanderplatz"

Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

Mit dem Roman hat dieser Film nur mehr wenig zu tun und das wäre auch völlig egal, wenn er stattdessen eine Bestandsaufnahme der Gegenwart wäre, ein Blick darauf, wie in Deutschland, in Europa mit Menschen, die als Flüchtlinge hierherkommen, umgegangen wird. Doch auch das ist „Berlin Alexanderplatz“ nicht wirklich. Nicht, dass ich mir Realismus von Filmen wünsche, die sich mit etwas Aktuellem auseinandersetzen, aber das Überhöhte, Parabelhafte und vor allem ein Arsenal an Schießbudenfiguren verbaut dem Film die Chance, das zu sein, was er gerne wäre: eine Gesellschaftsanalyse.

Wenn aber hier Clubbesitzerinnen, Sexarbeiterinnen und Kriminelle (Joachim Krol als Gangsterboss) stellenweise recht blumige Stehsätze austauschen, kann man schon zum Augenrollen verführt werden. Stellenweise behäbig und allzu bemüht stylish (Tiermasken mit kleinen Neonlichtern) poltert „Berlin Alexanderplatz“ einem Ende entgegen, das die einen vielleicht happy, die anderen hanebüchen oder aufgesetzt nennen werden.

Eine ganz andere Odyssee als die des Francis steht Javier Bardem und Elle Fanning in Sally Potters „The Roads not Taken“ bevor. Potter, die mit ihrem letzten Film „The Party“, einer satirischen Abrechnung mit Politik, Kunst und Zwischenmenschlichem im Rahmen einer desaströsen Dinnerparty, große Erfolge gefeiert hat, wiederholt sich nicht gerne und legt nun einen Film vor, der nicht von größerem Kontrast zu „The Party“ sein könnte. Statt formal streng und temporeich, wabert „The Roads not taken“ recht unentschlossen vor sich hin und die Kamera wabert mit. Elle Fanning spielt Molly, die ihren Vater Leo (Javier Bardem) an diesem Tag zum Zahn- und zum Augenarzt begleitet. Leo spricht kaum und scheint verwirrt, richtiggehend abwesend. Woran genau er erkrankt ist, erfahren wir nie, aber Potter verarbeitet hier die Erfahrungen, die sie gemacht hat, als sie sich um ihren demenzkranken Bruder gekümmert hat.

Szenenbild

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Während sich Molly und die Ärzte, die Leo begegnen stets wundern ob er noch ganz da ist sind wir denen einen Tagtraum voraus. Wir sehen Leo auf zweien seiner roads not taken. Was wäre, wenn er wirklich nach Griechenland gegangen wäre, um dort zu schreiben? Was wäre, wenn er bei seiner Jugendliebe Dolores (Salma Hayek) in Mexiko geblieben wäre. Javier Bardem stattet alle drei Leos, denen wir hier begegnen mit einer anderen Dynamik, einer unterschiedlichen Sanftheit und unterschiedlichem Schmerz aus. Doch abgesehen von Bardems Spiel bleibt „The Roads not Taken“ eine unentschlossene und blasse Angelegenheit. Was von den beiden Weltpremieren der Wettbewerbsfilme übrig bleibt sind zwei großartige Darsteller in alles andere als großartigen Filmen.

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