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Igor Matovic vor einer Menge Menschen

APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK

Die Slowakei steht vor einem Machtwechsel

Am 29. Februar 2020 wählt die Slowakei ein neues Parlament. Die aktuelle Regierung gilt bereits jetzt als abgewählt. Die große Frage ist: Werden die liberalen Kräfte diese Protestwahl für sich entscheiden können oder wird die extreme Rechte profitieren?

Von Paul Pant

Zwei Tage vor der Wahl hat das erstinstanzliche Urteil gegen den slowakischen Geschäftsmann Marian Kocner wegen Betrug die Emotionen noch einmal hochkochen lassen. In einem Wahlkampf, der an Aggressivität und Aufregungen seinesgleichen sucht in der Geschichte der Slowakei. Die grassierende Korruption und der Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová haben den Wahlkampf dominiert.

Zersplitterte Parteienlandschaft

Der Unternehmer Marian Kocner, ist auch im Mordfall Ján Kuciak als mutmaßlicher Auftraggeber angeklagt. Das Urteil wird frühestens im Mai erwartet. Auch deswegen wurde das erste Urteil gegen Kocner nun mit großer Spannung erwartet. 19 Jahre Haft, entschied das Gericht, wegen Betrug und Urkundenfälschung. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

25 Parteien stehen bei der slowakischen Parlamentswahl am Stimmzettel. Alles deutet darauf hin, dass die links-populistische, sozialdemokratische Regierungspartei Smer (Richtung) abgewählt werden wird. Die jüngsten (innoffiziellen) Umfragen sehen die Smer nur noch auf Platz zwei (15-17 Prozent), mit einem Stimmenverlust im zweistelligen Prozentbereich. Die beiden Junior-Regierungsparteien, die ungarische Minderheitspartei Most–Híd (Brücke) und die rechtspopulistische SNS (Slowakische Nationalpartei), würden laut den jüngsten Umfragen überhaupt aus dem Parlament fliegen und an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Allianz gegen Robert Fico

Bis zu neun weiteren Parteien – teilweise neu gegründete Listen – haben indessen Chancen, dieses Mal den Einzug ins Parlament zu schaffen. Fast alle haben sich bereits darauf festgelegt, nicht mit der Smer mit Robert Fico an der Spitze koalieren zu wollen. Der Langzeit-Regierungschef musste im Zuge der Proteste wegen dem Mord an Kuciak zwar seinen Hut nehmen, zieht aber weiterhin hinter dem offiziellen Smer-Spitzenkandidaten Peter Pellegrini die Fäden als Parteivorsitzender.

Angeführt wird die Allianz gegen Fico und mittlerweile auch die Umfragen von der Anti-Korruptionspartei OĽaNO (Gewöhnliche Leute und unabhängige Personen) von Igor Matovič. Im Sommer 2019 lag die Bewegung des ganz und gar nicht scheuen Unternehmers bei fünf Prozent. Jetzt werden OĽaNO Platz eins und 19 Prozent zugetraut.

Protestbewegungen

Wo die Partei OĽaNO steht und wo sie sich politisch verortet, ist selbst für die Mitglieder manchmal schwer zu sagen. Genauso unbestritten wie Igor Matovič’ frischer Zugang bei der Sichtbarmachung von Korruption ist auch seine Wankelmütigkeit in Sachfragen. Aber nicht nur die Kandidat*innen von OĽaNO können nur schwer im politischen Diskurs irgendwo zwischen liberal und konservativ verortet werden.

Auch der Rest der zersplitterten Parteienlandschaft zeigt ein sehr heterogenes Bild. Da befinden sich zu Beispiel die Partei Progressive Slowakei (PS), die links-liberale Positionen vertritt und gemeinsam mit SPOLU, einer liberalen Partei, antritt. Za ľudí (Für die Menschen) ist ebenfalls eine neue Liste. Sie wird von Expräsident Andrej Kiska angeführt. Die Christdemokratische Bewegung (KDH) hat ebenfalls gute Chancen. Um ins Parlament einzuziehen, müssen Parteien fünf Prozent, bei einem Antreten als Wahlkoalition sieben Prozent der Stimmen erreichen.

Demonstration  in Gedenken an Jan Kuciak und  Martina Kusnirova

APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK

Gegen Korruption, Klientelismus und Verflechtungen zwischen Politik und organisierter Kriminalität sind auch am zweiten Todestag von Jan Kuciak, am 21. Februar, wieder Tausende Slowak*innen auf die Straße gegangen. Verhältnis und Vertrauen der Zivilgesellschaft zur Politik und ihren Institutionen befinden sich in der Slowakei in einer tiefen Krise. Auch die Wahl der Anwältin und Umweltschützerin Zuzana Čaputová zur Präsidentin der Slowakei im vergangenen Jahr hat die Gemüter nur vorübergehend beruhigen können.

Auch Rechtsextreme profitieren

Ein Zulauf wird aber auch bei den rechten und rechtsextremen Parteien erwartet, sie könnten ebenfalls bei dieser Protestwahl profitieren. Die ultranationalistische und rechtsextreme Partei Kotlebovci (Kotlebianer – Volkspartei Unsere Slowakei) von Parteichef Marian Kotleba wurde zeitweise auf Platz zwei gesehen und ist in den jüngsten Umfragen auf Platz drei gerutscht, allerdings noch immer mit leichtem Stimmenzuwachs. Auch die Rechtspopulistische SME Rodina (Wir sind Familie) könnte Protestwähler*innen an den Urnen überzeugen.

Nach der Wahl könnte vor der Wahl sein

Egal wie die Wahl am Samstag ausgehen wird, schon jetzt ist klar, dass dieses heterogene Bündnis gegen Fico und die Smer es nicht einfach haben wird, eine stabile Regierung zu bilden, sollten die Wähler*innen ihnen ihr Vertrauen aussprechen. Die breite Front gegen Fico hat einen wackeligen Block entstehen lassen, der erst zeigen muss, wie stark der Wunsch nach Veränderung im politischen System ist.

Kritische Stimmen sehen die Smer zwar schon als Wahlverliererin, aber noch lange nicht geschlagen. Im Wahlkampffinale versuchten die Smer und SNS jedenfalls noch einen letzten Befreiungsschlag. Zusammen mit den Rechtsextremen brachte die Regierung vier Tage vor der Wahl in einer Sondersitzung im Parlament die 13. Monatspensionen für Senioren durch. Die demokratische Opposition sprach empört von Bestechung der Wähler*innen. Ein Teil der breiten Fico-Ablehnungsfront hatte aber mit der Koalition gestimmt.

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