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Polizist mit Maske

APA/BARBARA GINDL

Polizeieinsätze in Zeiten von Corona

Immer mehr häufen sich Berichte über ungewöhnliche Polizeieinsätze im Rahmen der Corona-Maßnahmen. Menschen bekommen Strafen, weil sie auf Parkbänken sitzen oder weil sie sich in öffentlichen Räumen aufhalten. Die Covid-Verordnungen sind streng, aber ist das Vorgehen der Polizei verhältnismäßig? Menschenrechtsaktivist Philipp Sonderegger erklärt die Gründe für das Vorgehen der Polizei.

Von Ali Cem Deniz

Seit einigen Tagen kursiert ein Video von einem Polizeieinsatz vom 3. April am Schöpfwerk in Wien. In den chaotischen Szenen ist zu sehen, wie ein Polizist einen älteren Mann auf dem Boden fixiert. Sein Sohn filmt das Geschehen, ein weiterer Mann liegt ebenso auf dem Boden. Was ist dort vorgefallen?

Laut Polizeipressesprecher Daniel Fürst ist eine Fußstreife auf drei Männer aufmerksam geworden, die sich nicht entsprechend der Corona-Verordnung verhalten haben, konkret: „Sie haben nicht den Mindestabstand zueinander eingehalten.“

Die Männer sollen sich danach unkooperativ verhalten und Widerstand geleistet haben. Die Situation sei eskaliert und die Streife habe Verstärkung angefordert. Im Video sind tatsächlich auffällig viele Beamt*innen zu sehen. Einige von ihnen tragen keinen Mundnasenschutz, obwohl es auch für die Polizei eine Maskenpflicht gibt. Auch nicht jener Polizist, der minutenlang auf dem älteren Mann kniet. „Es kann in der Dynamik einer Amtshandlung passieren, dass eine Maske runterrutscht oder, dass es zeitlich nicht möglich war, weil ein rasches Einschreiten gewährleistet sein muss“, sagt Daniel Fürst. Beim Einsatz sind zwei Männer festgenommen worden.

Philipp Sonderegger ist Menschenrechtsaktivist und berät auch die Polizei in Menschenrechtsfragen. Dass sich Berichte über ein vermeintliches Fehlverhalten der Polizei häufen, kommt für ihn nicht überraschend.

Ali Cem Deniz: Es ist nicht das erste Mal, dass ein solches Video auftaucht. In den sozialen Medien berichten viele Leute, dass sie Strafen bekommen haben, weil sie auf Parkbänken gesessen sind oder mit ihren Kindern auf einer Wiese gespielt haben. Wie geht die Polizei mit der Corona-Krise um?

Philipp Sonderegger: Ich möchte vorausschicken, dass die Polizei in einer ähnlichen Situation ist wie alle anderen und sich an die neue Situation gewöhnen muss. Interessant ist, dass plötzlich so viele Situationen aufpoppen, wo sich die Polizei augenscheinlich daneben benimmt. Man könnte unterschiedliche Thesen haben, warum das so ist.

Die eine könnte sein, dass die Polizei jetzt einfach überschießend handelt und ich denke, dass das einen Teil dessen erklärt, was jetzt sichtbar ist. Einen anderen Teil kann ich mir damit erklären, dass es eine stärkere Wahrnehmung gibt, weil Restriktionen im öffentlichen Raum jetzt eine sehr breite Schicht betreffen. Für Flüchtlinge oder Bettler ist das ja nichts Neues, dass man aus dem öffentlichen Leben vertrieben wird.

Die erhöhte Wachsamkeit könnte auch damit zu tun haben, dass jetzt auch Otto Normalverbraucher mit Polizeirepression konfrontiert sind. Und das ist aus der Sicht eines Menschenrechtlers auch eine gute Entwicklung, weil man manchmal verzweifelt ist, wie wenig Solidarität es mit Gruppen gibt, die so eine Behandlung jeden Tag über sich ergehen lassen müssen. Da kann eine erhöhte Sensibilität in der breiteren Bevölkerung nicht schaden.
Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass die Politik, die Polizeiführung und die meisten Polizist*innen sehr gut mit der Situation umgehen.

Hat sich durch die Ausnahmesituation das Verhalten der Polizei geändert?

Das Verhalten der Polizei hat sich wahrscheinlich nicht verändert, bis auf eine große Handlungsunsicherheit zu Beginn, wo aus der Politik sehr unterschiedliche Stimmen gekommen sind, was jetzt zulässig ist und was nicht. Das verunsichert natürlich auch die Polizei.

Man muss aber schon sagen, dass diese Einschnitte viel gravierender sind als die Eingriffe, die man bisher gekannt hat, etwa im Asylrecht, wo Asylsuchende Gebietsbeschränkungen unterworfen sind und ihren Bezirk nicht verlassen dürfen. Am meisten bereitet mir Sorge, dass offenbar die Politik versucht, die gesetzlichen Spielräume maximal auszureizen. Wir haben beobachten können, dass es dabei zu Überdehnungen gekommen ist von Verordnungen und polizeilichem Verhalten.

Um es konkret zu sagen, die Corona-Verordnung, die das Betreten des öffentlichen Raumes regelt, ist viel weiter gefasst als es das Gesetz tut, auf dessen Basis die Verordnung formuliert wird. Das Gesetz sagt, dass das Betreten bestimmter Orte verboten werden kann und in der Verordnung wird gesagt, dass der öffentliche Raum zunächst grundsätzlich nicht betreten werden darf. Das ist schon ausreizend.

Seit die Verordnungen in Kraft getreten sind, hat es über 16.000 Anzeigen gegeben. Können sich Leute, die Strafen bekommen haben, dagegen wehren oder sind sie dem ausgeliefert?

Das Bittere ist, dass man das mit Sowohl als Auch beantworten muss. Es ist total wichtig, dass im Zuge der Entspannung so viel wie möglich Beschwerden vor die Höchstgerichte kommen, damit es wenigstens im Nachhinein geklärt werden kann, ob es zu überschießendem Verhalten oder zu rechtswidrigen Verordnungen gekommen ist, wie der Verdacht jetzt begründeter Weise im Raum steht. Der Wermutstropfen ist, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen gar nicht die Chance haben, den Rechtsweg zu bestreiten, weil ihnen das finanzielle Risiko zu groß ist, weil sie keinen Zugang zu Anwälten haben, weil der Zugang zum Recht überhaupt für sie zu hochschwellig ist. Gerade Bevölkerungsgruppen, die von Polizeirepression besonders betroffen sind, sind meistens justizfern.

Ansonsten gilt der Appell, jetzt über alle Vorfälle Notizen zu machen, gut zu dokumentieren und wenn es ein bisschen ruhiger wird, Anwälte zu suchen und möglichst viele Fälle vor Gericht zu bringen.

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