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Beggars Group

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Corona und Musiklabels

Die Musikbranche leidet unter den Corona-Maßnahmen. Die Pandemie hat sich nicht nur auf den Live-Sektor ausgewirkt, sondern auch auf den Verkauf von Tonträgern und Streams.

Von Christian Lehner

Die Corona-Pandemie hat die Musikindustrie nicht nur sehr früh, sondern auch sehr hart getroffen. Der anstehende Sommer wird ohne Festivals stattfinden – Veranstalter, Crews, Booking-Agenturen und auch viele Musiker und Musikerinnen geraten durch die Ausfälle in arge finanzielle Turbulenzen. Doch wie steht es um die Plattenfirmen? Warum werden bestimmte Albumveröffentlichung verschoben und andere nicht? Wie sieht es mit dem Verkauf aus und wie mit Hilfsfonds für bedrängte Labels?

Von Wenig ins Nichts

„Das Label steht auf sicheren Beinen, weil wir eine kleine Struktur haben und keine zusätzlichen Mitarbeiter, aber mit der Promo-Agentur sieht das ganz anders aus. Das ist mein Brotberuf und da brechen derzeit viele Aufträge weg. Ich muss auf private Rücklagen zurückgreifen.“

Kerstin Breyer gehört zum Gründungsteam der Independent-Firma „Wohnzimmer Records“ in Wien. Ihre Erfahrungen mit der Corona-Krise sind branchentypisch. Die wenigsten Plattenfirmen beschränken sich heute auf die Veröffentlichung von Musik. „Wohnzimmer“ umfasst zusätzlich einen Promotion-Bereich und eine Agentur, die sich um Video-Produktionen und das Erstellen von Websites kümmert. Auch an Touren wird mitgeplant und mitverdient. Gerät ein Standbein ins Wanken, kann das ganze Label-Haus zusammenkrachen.

„Ich weiß von vielen heimischen Labels, denen es derzeit nicht sehr gut geht. Das tut mir sehr leid, weil das maßgebliche Kreative für die österreichische Branche sind. Vor allem um die größeren Indies muss man sich Sorgen machen. Ich hoffe, dass Corona sie nicht hingwegrafft.“

Dua Lipa hat’s getan, Lady Gaga nicht

Ein nicht geringer Schaden entsteht den Plattenfirmen durch das Wegbrechen des physischen Tonträgerhandels. Der Markt für CDs schrumpft zwar kontinuierlich, rangiert nach „Digital“ aber immer noch an zweiter Stelle. Im Indie-Sektor hat sich der Verkauf von Vinyl-Alben in den letzten Jahren zu einer wichtigen Einnahmequelle entwickelt.

Weitere Verluste entstehen durch den Wegfall des Lizenzgeschäftes. Keine Disco, keine öffentlichen Aufführungen, keine neuen Film und TV-Produktionen bedeuten keine Ausschüttungen an Labels und Musiker*Innen. Was bleibt, sind Radio-Airplays.

Die Planungsunsicherheit bei der Veröffentlichung von Alben ist groß. Die Band Kreisky ist das derzeit größte Signing bei „Wohnzimmer Records“: „Das neue Album sollte ursprünglich im August erscheinen und wir sind natürlich unsicher, ob das ein guter Zeitpunkt ist wegen der so wichtigen Tour danach und die sollte im Herbst stattfinden", so Breyer.

Unsicherheit auch bei den Stars der Popszene. Lady Gaga (Universal) hat sich nicht getraut und die Veröffentlichung ihres neuen Albums „Chromatica“ auf unbestimmte Zeit verschoben, Dua Lipa (Warner) hingegen hat den Release ihrer Platte „Future Nostalgica“ wie geplant am 27. März durchgezogen.

Lady Gaga

Universal

Lady Gaga hat die Veröffentlichung ihres neuen Albums wegen Corona auf unbestimmte Zeit verschoben.

Sven Herwig ist Sprecher der Beggars Group. Der Label-Verbund ist eine der größten Indie-Firmen weltweit mit Labels wie XL-Recordings und Rough Trade und Acts wie Radiohead, The xx und Adele. Bereits Anfang März legte die Beggars Group sämtliche Interview-Touren in Europa auf Eis.

„Wir hatten Ende Februar ein Länder-Meeting in London wegen der neuen Alben von Car Seat Headrest und Perfume Genius. Die italienischen Kollegen, die ihren Sitz in Mailand haben, waren da schon nicht mehr dabei, weil sie in Selbstisolation gegangen sind und niemanden anstecken wollten. Nach deren Lagebericht haben wir uns intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt und schnell entschieden.“

Herwig spricht von einer „Welt im Konjunktiv“, die das Planen fast unmöglich mache. Die Lage sei für die Beggars Group in jedem Land verschieden. Man müsse auch von Act zu Act entscheiden: „Eine einheitliche Strategie gibt es nicht, zumal unsere Labels unabhängig voneinander arbeiten. Rough Trade zum Beispiel veröffentlicht Mitte Mai das neue Sleaford-Mods-Rareties-Album, Jarvis Cocker wurde hingegen verschoben, weil man von einer älteren Zielgruppe ausgeht. Da wollen viele Fans das Vinyl im Plattenladen kaufen.“

Genaue Zahlen zu den Verlusten der Beggars Group liegen laut Herwig noch nicht vor. Doch der Label-Verbund ist gut aufgestellt und hat eigene Hilfsfonds für in Not geratene Partner eingerichtet. Herwigs Empfehlung für die Veröffentlichung von Musik während der Corona-Krise: „Wenn man eine „digitale“ Fangruppe hat, die viel im Netz ist, würde ich den Release wie ursprünglich geplant durchziehen und mit etwas Glück ein/zwei Monate später das Vinyl nachlegen. Wenn die Zielgruppe eher oldschool ist und auf klassische Tonträger abzielt, würde ich tatsächlich warten, bis sich die Lage einigermaßen normalisiert hat.“

Besonders hart von der Krise betroffen sind Vertriebe und Plattenläden. Solange dort nichts geht, fließt auch kein Geld zurück zu den Labels. „Das auch deshalb, weil Amazon einige Wochen gar keine Platten zugestellt hat, sondern nur Dinge wie Klopapier und Lebensmittel,“ so Herwig. Die Beggars Group hilft hier mit einer einfachen Idee. Auf der Firmenwebsite findet man eine interaktive Karte mit Record Stores. Viele dieser Läden bieten einen eigenen Mailorder-Service oder gar Home-Delivery an.

Marktentwicklung in Österreich seit Corona

Ende letzten Jahres war die Welt für viele Plattenfirmen in Österreich noch in Ordnung. Die Umsätze aus dem Handel von Musik waren laut IFPI-Jahresbericht 2019 mit insgesamt 166 Millionen Euro die höchsten seit 26 Jahren. Vor allem der Streaming-Sektor boomte. Dann kam Anfang März die Coronakrise. Die Verkäufe im Bereich CD, Vinyl und Download brachen gegenüber dem Vergleichszeitraum März 2019 um 22% bis 38% ein. Das sind Einbußen, die nicht wiederkommen, so Dr. Franz Medwenitsch vom Verband der Österreichischen Musikwirtschaft (IFPI). Diesem gehören Major Labels wie der Österreichableger von Universal an, aber auch heimische Indies wie Ink Music oder Seayou Records.

„Bei den Streaming-Units haben wir hingegen einen Zuwachs, das bedeutet aber zunächst nur, dass die Menschen, die ein Streaming-Abo haben, mehr hören, weil ihnen durch Homeoffice oder Kurzarbeit mehr Zeit zum Konsum bleibt. Ob viele Premium-Kunden aufgrund ihrer Notlage in den Gratisbereich abwandern, wird sich zeigen.“

Der Streaming-Gigant Spotify jubelt zwar im Bericht zum 1. Quartal 2020 über einen signifikanten Zuwachs an Bezahlabos in der Höhe von 30 Millionen Neukunden verteilt auf den Weltmarkt, aber die Corona-Krise hat erst Mitte März voll eingeschlagen und zumindest in den USA vorübergehend zu einem Rückgang der Streamingzahlen geführt. Endgültige Klarheit über die Marktentwicklung wird es wohl erst mit der Jahresbilanz geben.

Keine große Überraschung ist, dass vor allem die kleinen und mittleren Labels von den Umsatzeinbußen betroffen sind. In Not Geratene können es bei den staatlichen Programmen wie dem Härtefallfonds der WKO versuchen – was aber aufgrund der Bezugskriterien für Unmut in der Szene sorgt.

Branchenhilfen

Es gibt auch Hilfe aus der Branche. Major-Labels stellen mehrere Millionen für Acts und NGOs zur Verfügung. Streamingplattformen wie Apple Music und Spotify tun das ebenfalls, auch wenn Tools wie etwa der Spenden/Trinkgeld-Button bei Spotify, aus guten Gründen nicht unumstritten sind.

Der Verband der Österreichischen Musikwirtschaft hat gemeinsam mit der Verwertungsgesellschaft LSG einen Topf mit 1 Million Euro eingerichtet. Neben einer Strukturförderung für mittlere Unternehmen werden auch Produktionsförderungen bis zu 1.500 Euro ausgeschüttet. Hier wurden die Bezugskriterien so nachgebessert, dass auch kleine Indies wie Wohnzimmer Records zum Zug kommen. Das ist aber nur der berühmte heiße Tropfen auf dem Stein.

Da die Kreativwirtschaft sehr klein- und arbeitsteilig operiere, würde der Wegfall von Einnahmen die gesamte Struktur gefährden. Maßnahmen wie Fixkostenzuschüsse und Kreditgarantien helfen laut Medwentisch nur beschränkt. Gefragt sei hier die Regierung.

Weiterführende Links

  • IFPI Verband der Österreichischen Musikwirtschaft
  • Beggars Group
  • VTMÖ Dachverband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten Österreichs
  • Wohnzimmer Records
  • LSG - Verwertungsgesellschaft
  • BMI Kunst und Kultur

„Es gibt den Österreichischen Musikfonds, der ein Motor für die heimische Musikbranche ist. Der ist nur leider nicht sehr hoch dotiert. Aus den milliardenschweren Töpfen der Regierung fordern wir fünf Millionen Euro. Leider wurden bisher für das Jahr 2020 nur 100.000 Euro bewilligt. Das ist ein Betrag, mit dem der Neustart der Musikbranche nach der Corona-Krise nicht bewerkstelligt werden kann.“

Auch für Kerstin Breyer von Wohnzimmer Records gehen viele staatliche Angebote an den Bedürfnissen der Labels vorbei. So wäre die Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuerzahlungen auf die Zeit nach Corona eine Art Tod auf Raten. Die Beiträge müssten im kommenden Jahr zusätzlich zu den neu anfallenden Sätzen bezahlt werden. Viele kleine und mittleren Labels könnten diese Doppelbelastung aber nicht tragen, da man nach Ende der Corona-Krise jeden Cent zum Überleben brauchen wird. So macht die Unternehmerin das, was man in der Do-It-Yourself und Indie-Szene schon immer gemacht hat, man hilft sich gegenseitig.

Bandfoto Kreisky

Wohnzimmer Records

Wohnzimmer-Band Kreisky, Albumveröffentlichung von August in den Jänner 2021 verschoben.

„Sollte ein Label Unterstützung brauchen, ich habe Zeit zur Verfügung, weil es aktuell ja weniger Releases gibt. Ich kann bis Juni gerne ein bis drei Acts unterstützen in der Öffentlichkeitsarbeit und das mache ich auch gern gratis.“

Für das neue Album von Kreisky gibt es übrigens doch ein neues, Corona-typisches Veröffentlichungsdatum. Das Album kommt entweder am 8. oder 15. Jänner 2021, so die Letztinfo aus dem Hause Wohnzimmer Records. Dort erscheint übrigens am 1. Mai der gesamte Katalog der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV). Küss die Hand, Pandemie! Den Song gibt es übrigens wirklich.

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