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Sony Music

Zugezogen Maskulin lassen „10 Jahre Abfuck“ Revue passieren

Auf dem Jubiläums-Album des satirischen Rap-Duos wird ein unerwartet ernster Ton angeschlagen. „10 Jahre Abfuck“ lässt die letzte Dekade und ihre bisherige Karriere im Rap Revue passieren.

Von Alica Ouschan

Album Cover

Sony Music/Daniel Richter

10 Jahre Abfuck ist am 7. August bei Sony Music erschienen.

Das Albumcover wurde vom österreichischen Künstler Daniel Richter gemacht.

Kaum zu glauben, aber Zugezogen Maskulin feiern heuer tatsächlich ihr zehnjähriges Bestehen. Testo und grim104, damals noch ohne Künstlernamen, lernen sich im Praktikum bei Rap.de kennen (übrigens gibt’s einen gleichnamigen Song über ihre Zeit bei dem Online-Magazin auf der neuen Platte) und gründen die Gangsta-Rap-Persiflage Zugezogen Maskulin.

Seitdem sind sie durch ihre angriffslustigen, provokanten Texte aufgefallen und neben Gruppen wie K.I.Z zu einem wichtigen Bestandteil der Anti-Formation der deutschen Raplandschaft geworden. Einen richtig großen Durchbruch hat es für Zugezogen Maskulin zwar nicht gegeben, ihr letztes Album aus 2017 „Alle gegen Alle“ wurde aber zumindest im deutschen HipHop-Kosmos gefeiert. Nachdem grim104 im letzten Jahr ein Soloalbum veröffentlicht hat, ist vor zwei Wochen das vierte gemeinsame Album der beiden Rapper erschienen.

Bis dato hat ihre Musik davon gelebt, dass sie Klischees bis zur Lächerlichkeit ausreizen und bei fast allem, was sie sagen, maßlos übertreiben. Die Geschichten auf „10 Jahre Abfuck“ werden zwar weiterhin in typisch aggressiv-angriffslustiger ZM-Manier erzählt, sie sind dabei aber unerwartet reflektiert und viel erwachsener als auf dem letzten Album.

Alles, was einen abfuckt...

Der Titel des Albums könnte nicht besser gewählt sein. Zehn Jahre im Deutschrap, zehn Jahre Rechtsruck, Klimawandel, Alkoholexzesse und toxische Männlichkeit. Das und all die anderen Themen, die sie in den letzten Jahren inner- und außerhalb ihres Rapperdaseins abgefuckt haben. Außerdem zieht sich die Suche nach Antworten auf Fragen wie „Macht Erfolg wirklich glücklich?“ oder „Wie steht’s eigentlich um unsere Zukunft?“ mal mehr, mal weniger offensichtlich durch. Bereits die erste Single „Exit“ hat diese gewisse Untergangsstimmung angekündigt.

Der eben schon kurz erwähnte Song „Rap.de“ erzählt vom Kennenlernen der beiden im Praktikum, ihren Erfahrungen und der bitteren Einsicht, dass Erfolg nicht glücklich macht. Das spiegelt sich auf zynische Art und Weise im Track „Der Erfolg“ wieder, der sehr eindeutig aus der Sicht einer der berühmten, erfolgreichen Art von Rapper erzählt wird, zu dem Testo und grim104 nie werden wollten und dieses Bild nach wie vor deutlich ablehnen.

Eines der Highlights des Albums ist die dritte Single-Auskopplung namens „Sommer vorbei“. Der Song fasst den ultimativen Abfuck von heute zusammen: drohende Klimakatastrophen, nervigen Good-Vibes-Only-Fanatismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsruck. Untermalt mit einem gespielt fröhlichen Beat und der schief gesungenen Hook könnte „Sommer vorbei“ noch zum echten Anti-Sommerhit werden.

Im „Echte Männer Freestyle“ wird an der Baustelle der toxischen Männlichkeit und Homophobie weitergearbeitet. Auch diese Thematik wird anschließend im Song „Jeder Schritt“ weiter auseinandergenommen und erinnert sogar ein bisschen an den K.I.Z- Klassiker „Verrückt nach dir“. „Jeder Schritt“, erzählt die erste Strophe aus der Sicht eines Triebtäters, ruft unangenehme Bilder hervor und ist genau deshalb ein wichtiger und großartiger Song über Stalking, notgeile Incels und Möchtegern-Feministen.

Typische Songs dürfen nicht fehlen

Natürlich gibt’s mit „König Alkohol“ und „Normiefest“ zum Ausgleich auch wieder zwei zynische Party-Songs. Dabei ist „König Alkohol“ überraschenderweise einer der tiefgründigsten Songs auf dem Album und zeigt die gefährlichen Abgründe einer Alkoholsucht auf. Und um den K.I.Z-Vergleich ein für alle Mal auszuhebeln, singt Nico von K.I.Z in „Normiefest“ die Hook.

Außerdem wären es nicht Zugezogen Maskulin ohne die typischen Ellbogen-ins-Gesicht-Moshpit-Banger. Auf „10 Jahre Abfuck“ checkt „Tanz auf dem Vulkan“ ehrenwürdig diese Box und bringt mit geballtem In-your-face-Antifaschismus gleich noch eine zweite ZM-typische Eigenschaft mit.

Ein „zeitgeistiges“ Album

„10 Jahre Abfuck“ klingt trotz der Aneinanderreihung von ernsten Themen soundtechnisch betrachtet viel weniger dunkel, kalt und düster als der Vorgänger „Alle gegen Alle“. Die Anweisung von Zugezogen Maskulin an die beiden Produzenten Azumjoht und Silkersoft war nämlich, dass das Album sommerlich klingen sollte und wieder mehr in Richtung HipHop geht. „Alle gegen alle“ sollte zeitlos sein, „10 Jahre Abfuck“ wieder zeitgeistig.

Obwohl bei Zugezogen Maskulin schon auf ihrem zweiten Album „Alles brennt“ der ein oder andere ruhige, melancholische Song wie „Plattenbau O.S.T“ neben den vor Wut und Zynismus strotzenden Aggro-Nummern gestanden hat, fühlt sich das Ganze auf „10 Jahre Abfuck“ irgendwie anders und sehr neu an. Vielleicht ist es die Tatsache, dass Testo und grim104 älter geworden sind, gepaart mit der Tatsache, dass sie ihren journalistischen Blick auf Rap und die Gesellschaft nie ganz abgelegt haben.

Der Sound von Zugezogen Maskulin ist auf jeden Fall gereift und das Duo ist, ja doch, irgendwie erwachsen geworden. Sie klingen ernster, aber vor allem ernstzunehmender als noch vor wenigen Jahren. Auch wenn das neue Album vielleicht nicht dieselbe geballte Kraft hat wie seine Vorgänger, ist „10 Jahre Abfuck“ eine solide und spannend erzählte Zusammenfassung einer Dekade, in der zwar vieles, aber nicht alles schlecht war.

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