Wo man weiterliest entscheidet man in „Wenn Rot kommt“ selbst
Von Lena Raffetseder
Bevor es losgeht, gibt es eine Spielanleitung. Nicht zum Roulette – um das sich vieles in diesem Roman dreht – sondern dazu, wie „Wenn Rot kommt“ zu lesen ist: „Lesen Sie den Text nicht unter Einfluss von psychedelischen Drogen.“ „Lesen Sie den Text schnell.“ „Sorgen Sie für Störgeräusche.“
Auch dabei: Eine Anleitung, in welcher Reihenfolge das Buch zu lesen ist. Möglich ist die klassische Variante von der ersten bis zur letzten Seite oder man liest die Kapitel völlig durcheinander. Aber egal, wo man „Wenn Rot kommt“ aufschlägt, Protagonistin Lisa sucht immer nach ihrem Freund Tom, mit dem sie seit zwei Wochen in Las Vegas ist.
"ICH WILL HIER NIE WIEDER WEG TOM, DAS IST WIE DISNEYLAND FÜR ERWACHSENE.“
Kremayr & Scheriau
Achterbahnen, Roulette, Stripbars, Hochzeit, Black Jack, Partybusse. Lisa und Tom haben nichts ausgelassen. Weder an Sightseeing noch an Substanzen. Aber jetzt wacht Lisa am letzten Urlaubstag auf und Lesende versuchen mit ihr zu verstehen, was passiert ist. Man begleitet Lisa auf der Suche nach Tom durchs Casino, aber auch durch Erinnerungen, Flashbacks und viele Halluzinationen.
„SCHAU IN DEN SPIEGEL, flüstert der Clown in dein Ohr, du schreist, drehst den Kopf rasch zur Seite, siehst den Clown nicht. NEIN, LASS MICH IN RUHE, DICH GIBT ES NICHT, ICH WEISS, DASS ES DICH NICHT.“
Mit verschiedenen Schriftarten und unvollständigen Sätze zeigt Autorin Petra Piuk Lisas sprunghaftes Denken, Gedanken die von einem Erinnerungsfetzen zum nächsten rasen. Auch wenn die Prämisse vielleicht an den ersten Teil der Hangover-Filme erinnert, ist der Verlauf der Geschichte doch ein ganz anderer. Viel düsterer, viel heftiger. Denn nicht nur Lesende haben Schwierigkeiten zu verstehen, was wirklich passiert und was Einbildung ist, auch Lisa ist sich oft nicht sicher.
Nicht für einen gemütlichen Leseabend
In „Wenn Rot kommt“ hört man von realen Stimmen der Stadt, die einen an echte Schauplätze führen. Durch die schwarz-roten Bilder von Fotografin Barbara Filips ist man noch einmal näher am Geschehen dran.
Der Roman eignet sich nicht für einen „gemütlichen Leseabend“ schreibt Autorin Petra Piuk in der Einleitung. Gemütlich vielleicht nicht, denn das Chaos der Kapitel schwappt auf Lesende über. Das wird dadurch verstärkt, dass man ja selbst bestimmt wie es weitergeht. Was wie ein Gimmick klingt, funktioniert in „Wenn Rot kommt“ recht gut. Der Schluss ist aber doch der Schluss und da ist man dann froh, dass man nicht mit vor Ort war auf diesem Kurztrip. Denn am Ende gilt – wie auch beim Spiel - „Rien ne va plus.“
Publiziert am 14.10.2020